Würdig ins Ziel gebracht - epd medien

12.09.2025 08:03

Machtspiele, Intrigen und Leidenschaft fünf Jahre nach dem ersten Skandal um das "Oktoberfest 1900": Alte Feinde kehren zurück, neue Gegenspieler betreten die Bühne - und mitten in Münchens Brauerei-Welt von 1905 entscheidet sich in der vierteiligen Fortsetzung der ARD-Serie, ob Liebe, Macht und Verrat nebeneinander bestehen können.

ARD-Dramaserie "Oktoberfest 1905"

Gemeinsam mit Nappi (Lisa Maria Potthoff, l.) brechen Colina Kandl (Brigitte Hobmeier) und ihr Sohn Maxi (Marwin Haas) auf in eine neue Zukunft

epd Bei der TV-Premiere des Sechsteilers "Oktoberfest 1900" vor fünf Jahren musste die reale Wiesn ausfallen: Es war Corona-Zeit. Geradezu grotesk wirkte im Kontext des Lockdowns die bildermächtige Schilderung der Exzesse auf dem historischen Volksfest. Heuer kann die ARD die lineare Erstausstrahlung der nur noch vierteiligen Fortsetzung punktgenau zum Start der weltgrößten Biersause am 20. September ins Programm nehmen - wobei die Fiktion diesmal auf Massenszenen von der Theresienwiese verzichtet und sich ganz auf die zwischen den Protagonisten schwelenden Konflikte konzentriert.

Das wieder federführend von Ronny Schalk verfasste Drehbuch lässt in der Story ebenfalls fünf Jahre vergangen sein. Unternehmer-Emporkömmling Curt Prank (Mišel Matičević), der sich nach dem über Leichen erkämpften Zusammenschluss mit der Traditionsfirma Deibel Bräu der Familie Hoflinger in der Münchner Großbrauer-Szene etabliert hat, bekommt eine Krebsdiagnose, denkt aber weiter visionär: Er will eine aus den USA importierte Achterbahn über seine Wiesn-Bierburg bauen, das Prank-Colosseum. Sich selbst sieht er bereits in einer Reihe mit Wilhelm Conrad Röntgen und Albert Einstein. Die kostspielige Expansion beißt sich allerdings mit den Plänen seiner Tochter Clara (Mercedes Müller) und seines Schwiegersohns Roman Hoflinger (Klaus Steinbacher), die nach Chicago auswandern wollen.

Nicht von ungefähr

Der Fluchtwunsch kommt nicht von ungefähr: Das einst gegen alle Widerstände wildromantisch verliebte Paar, inzwischen Eltern zweier kleiner Mädchen, hat sich auf brüchigem Fundament großbürgerlich eingerichtet. Zwar haben Clara und Roman in Folge eins noch Sex im Gerstenfeld, geraten aber gleich danach in Streit über das Geschäftliche. "Ich bin mehr als nur ein Prozent zwischen euch", beklagt sie sich über die Gewichtung der Firmenanteile, die ihr die undankbare Rolle zuschreibt, sich entweder auf die Seite ihres Ehemanns oder des Vaters zu schlagen. "I hab für di meine Mutter entmündigt, die sicher war, dass er meinen Vater und meinen Bruder aufm Gewissen hat", hält Roman mit Blick auf Curt Prank dagegen.

Neben dem charismatischen Cast liegt es nicht zuletzt an der bewährten, dunkel-schillernden Musik der Mundart-Band Dreiviertelblut ("Wos übrig bleibt", "Deifedanz"), dass der Figurenkosmos und die raue Atmosphäre der ersten Staffel schnell wieder präsent sind; Stephan Lacant, der anstelle von Hannu Salonen Regie führte, hat keine Mühe, den Erzählfaden wieder aufzunehmen. Zum vertrauten Personal gehören die Varieté-Sängerin Colina Kandl (Brigitte Hobmeier), Mutter des inzwischen zum jungen Mann herangewachsenen Maxi (Marwin Haas), die nach einer verbüßten Haftstrafe aus dem Zuchthaus entlassen wird, sowie der korrupte Politiker Alfons Urban (Michael Kranz).

Neu dabei sind der Plakatgestalter Kyrill (Slavko Popadic), der Clara umwirbt, und der undurchsichtige Banker Adam Mertz (Rainer Bock), der ebenfalls ins Biergeschäft drängt und nicht vor einem Brandanschlag auf Pranks Lager zurückschreckt. Mit der couragierten Wirtin Nappi (Lisa Maria Potthoff) wiederum kommt noch ein frischer Schauplatz ins Spiel: das (real existierende) Künstlerlokal "Deutsche Eiche" im damals verruchten Gärtnerplatzviertel. Dort findet Colina Kandl nicht nur eine Anstellung als Diseuse Mysteria, sondern auch Liebesglück mit der Chefin.

Furiose Plot-Volte

Für ein wenig Comic Relief sorgt die mit Nappis Bruder (Daniel Christensen) entwickelte Idee Colinas, nach dem Entzug der Schanklizenz durch Alfons Urban mit einem gewagten Stunt im Schaustellerzelt zu reüssieren: sechs nackerte Weiber auf stolzen Rössern! Zum wahren Gamechanger aber wird ab Folge drei Romans Mutter Maria (Martina Gedeck).

In einer furiosen Plot-Volte ausgerechnet von ihrem Erzfeind Prank aus der Psychiatrie befreit, macht sie sich daran, alte Rechnungen zu begleichen. Großartig, wie sie ihren Sohn zittern lässt, auf wessen Seite sie sich schlagen wird; großartig auch, wie sie mit beiläufiger Selbstverständlichkeit - und zum fassungslosen Entsetzen Claras - ihren Platz als Großmutter in der Familie einnimmt. "Was soll i machen, Mama?", wimmert Roman bald, um dann zu tun wie ihm geheißen: Er fordert Prank zum bayerischen Duell am Maibaum - ein dramatischer Höhepunkt, der bereits im Vorspann angerissen wird.

"Drei Dinge braucht die Liebe", philosophiert Clara in der Auftaktfolge einmal, "Verlangen, einen gemeinsamen Traum und Ehrlichkeit. Verlieren wir eins, können wir es noch schaffen. Aber wenn wir zwei verlieren, verlieren wir alles - uns." Das beschreibt treffend den emotionalen Kern der Handlung: Die Frage, ob sich das nicht unbefleckte junge Heldenpaar gegen die Intrigen der Eltern-Generation behaupten kann, ist das entscheidende Spannungs-Moment. "Oktoberfest 1905", auf dem Münchner Filmfest mit dem Bernd Burgemeister Fernsehpreis ausgezeichnet, hält das Niveau der ersten Staffel und bringt die wilde Saga würdig ins Ziel.

infobox: "Oktoberfest 1905", vierteilige zweite Staffel der Dramaserie, Regie: Stephan Lacant, Buch: Ronny Schalk (Headautor), Dirk Eisfeld, Dani Merkel, Benjamin Sailer, Kamera: Michael Kotschi, Produktion: Zeitsprung Pictures, Violet Pictures (ARD/BR/MDR/Degeto, 20.9.25, 20.15-23.15 Uhr, ARD-Mediathek seit 12.9.25)



Zuerst veröffentlicht 12.09.2025 10:03 Letzte Änderung: 12.09.2025 12:44

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serien, Luley, NEU

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