14.09.2025 08:02
NDR-Serie "Meyer-Burckhardts Zeitreisen"
epd Hubertus Meyer-Burckhardt ist prominenter Journalist, Talkshow-Host, Produzent, Medienmanager, Buchautor, kurzum: Hansdampf in vielen Gassen. Seit 2022 reist er fürs Fernsehen durch den Norden der Republik und in die Vergangenheit. Wobei sich der Norden sehr weit erstrecken kann. Bis ins Rheinland beispielsweise, ins Riesengebirge oder nach Bonn, wo er dem geneigten Publikum vorliest von der berühmt-berüchtigten Schläfrigkeit der Stadt und sich auf die entsprechende Spurensuche begibt. Der historische Bezugspunkt dagegen ist vergleichsweise fix: Was passierte, was bewegte die Menschen, was empfahl ihnen der Reiseführer vor etwa einem Jahrhundert? Nun liegt mit zwei weiteren Folgen die insgesamt vierte Staffel vor.
Meyer-Burckhardt jedenfalls reist wieder durch den Norden, und er reist wieder in zweifacher Hinsicht. Einmal in geografischer, gleichzeitig in historischer, was ja beides auch schon im Kompositum "Zeitreise" steckt. Dabei hält sich Grimme-Preisträger Meyer-Burckhardt (1994 für "Sowieso - Die Sonntagsshow", den meisten eher wohlbekannt als Co-Gastgeber der "NDR Talkshow") an das Goethe zugeschriebene Erstaunens-Wort "Frankfurt stickt voller Merkwürdigkeiten". Für "Cicerone" - Fremdenführer - Meyer-Burckhardt "stickt" nicht nur Frankfurt am Main - gern hätten wir ihn einmal hier - sondern der ganze Norden, ach was, die Republik insgesamt voller Merkwürdigkeiten. Ganz im Sinne von Merk-Würdigkeiten. Das Format "Meyer-Burckhardts Zeitreisen" mag im angenehmen Plauderton gehalten sein, wie es dem Gastgeber-Talent des Zeitreisenden entspricht, der an den Orten gern mit interessanten Menschen spricht, der richtig zuhört und Gesprächsfäden weiter spinnt und so erstaunliche Begegnungen präsentieren kann.
Aber das Format ist nicht bloß eine charmante Rarität mit Klassikeranmutung im Fernsehen, es "stickt" selbst eine Menge Merk-Würdiges drin. Was sich gut an den beiden neuen Folgen sehen lässt, die einerseits unter anderem auf die Insel Norderney und nach Sylt und Wilhelmshaven führen, aber auch in Meyer-Burckhardts Heimatstadt Kassel und in durchaus zwiespältige Erinnerungen an seine Jugend, wo im Friedrichsgymnasium alte Nazis, nicht selten Sadisten, den Lehrkörper bestimmten und Angst auf dem täglichen Lehrplan stand, wie er erzählt.
Unser "Cicerone", für den es vor dem 50er-Jahre Zweckbau seines Gymnasiums durchaus emotional wird (es scheint, er habe die Schule gehasst), entdeckt mit uns die Kasseler Museen- und Sehenswürdigkeiten-Landschaft wieder, besucht Kuriositäten wie die faszinierende Buch-Bibliothek im naturkundlichen Museum. Beiläufig ist zu erfahren, dass der Landgraf beim Ankauf des Werks sich zwar schlau vorkam, aber ein sehr schlechtes Geschäft gemacht hat.
Geschichte lebendig werden lassen, mit der Gegenwart in Beziehung setzen und das auf unterhaltsame, ansprechende Weise, mit menschenfreundlichem Blick, aber ohne Nostalgiegedöns - dafür versuchen die Öffentlich-Rechtlichen seit Jahren Rezepte zu finden. Die Ergebnisse sind bestenfalls gemischt. Meyer-Burckhardts Ansatz funktioniert sehr gut, nämlich mit alten Reiseführern unterm Arm, jetzt auch mit Tagebuch.
Besonders deutlich wird die Funktionsweise der Erzeugung des "Interessanten" und des persönlichen Bezugs auf Norderney. Hier hat er das Tagebuch von 1926 einer gewissen urlaubenden Thusnelda aus Berlin (Stimme: Tina Doreen Schwarzkopf) dabei, deren Urlaubsflirt Armin (die Dame ist anderweitig ernsthaft verlobt!) nicht von ihrer Seite weicht. Vor unseren Augen und Ohren entwickelt sich ein gelindes Empfindungsdreieck mit viel gefühliger Seelenforscherei und manch Leiden (so schreibt es Thusnelda) des Mannes. Sie weist ihn zurück, er entsagt, und nebenbei gibt es viel zu erfahren über Damen-, Familien- und Herrenbäder, über den Golfplatz, eine amtliche Trunkenboldliste und andere historische Gebräuche. In "Meyer-Burckhardts Zeitreisen" gibt es einfach eine Menge zu entdecken und zu sehen. Dass in den neuen Folgen alte Postkarten und Filmschnipsel mit KI animiert und so die historischen Figuren gelungen zum Leben erweckt werden, fügt dem lehrreichen Vergnügen eine weitere unterhaltsame Dimension hinzu.
infobox: "Meyer-Burckhardts Zeitreisen", zweiteilige vierte Staffel mit Hubertus Meyer-Burckhardt, Regie und Buch: Karl Koch, Kamera: Mike Rieth, Matthias Jürgensen (ARD/NDR, 3.9.25, 21.00-21.45 Uhr und 10.9.25, 21.00-21.45 Uhr, ARD-Mediathek seit 3.9.25)
Zuerst veröffentlicht 14.09.2025 10:02
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Hupertz, ema
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