Kuratierte Träume - epd medien

15.09.2025 09:04

In Jan Tenhavens Dokumentation "Kraftfahrzeug - eine deutsche Liebe" kommen begeisterte Auto-Fans und ihre schärfsten Gegner gleichermaßen zu Wort.

ARD-Doku "Kraftfahrzeug - eine deutsche Liebe"

Im Studio von Fotograf René Staud wird ein aktuelles Porsche-Modell für ein neues Fotobuch ausgeleuchtet

epd Gleich mit den ersten Musiktakten legt Regisseur Jan Tenhaven die Messlatte für seine Doku ziemlich hoch. Die Walzerklänge zur "schönen blauen Donau" von Johann Strauß II. sind seit Stanley Kubricks Weltraumepos "2001 - A Space Odyssee" (1968) Filmgeschichte und zugleich Signum eines vergifteten Fortschrittsglaubens. Sodann lässt er den Hauptprotagonisten, das Auto, mit KI-generierter Stimme klagen, man wolle es wegen des Klimas und der Verkehrswende loswerden: "Aber ich bin doch eure Liebe!" Eine Hommage an fast 150 Jahre Automobilität und zugleich deren Dekonstruktion - dieses Kunststück gelingt dem Autor mit einer faszinierenden Bildästhetik.

Märchenhafter Meta-Diskurs

Tenhaven gelang auch der Zugang zu den Insidern der Branche, die verblüffende Einblicke in ihre Verführungskünste geben. Er trifft Automobil-Liebhaber und ihre schärfsten Gegner, bettet das Ganze ein in einen nahezu märchenhaften Meta-Diskurs über Sein und Schein des Freiheitsideals auf vier Rädern. Manche Filmmontagen setzen geradezu satirische Kontraste: Gerade noch schwärmt der Fotograf René Staud von drei Autos, die er brauche (Stadt-Elektromobil, Sportwagen für den Schwarzwald und SUV für Fernreisen), man sieht verzückte Smartphone-Fotografen auf der Essener Motorshow - schon wird Klaus Gietinger, Regisseur und Autor des "Autohasserbuchs", als Zaungast auf einer Autobahnbrücke interviewt. "Wieso muss man sich in Blechkisten fortbewegen?" Dass Leute wie der Hollywoodregisseur Quentin Tarantino nach Deutschland zögen, um ohne Tempolimit rasen zu können, ist für Gietinger ein pervertierter Freiheitsbegriff.

Jan Tenhaven ist jedoch nicht an einer ideologischen Eskalation interessiert. Er schlägt sich ehrenwerterweise nie als Propagandist auf die Seite der besseren Moral, sondern spielt künstlerisch mit den Gegensätzen. Nach Gietingers Anti-Tempo-Rede zeigt er einen grobkörnigen Super-8-Film mit einem DDR-Trabi, unterlegt mit Beethovens "Freude schöner Götterfunken". Gietinger pariert dieses automobile Freiheitsethos mit den Folgen nach der Wiedervereinigung. Die Aufhebung von Tempolimit und Null-Promille habe "15.000 Menschen das Leben gekostet".

Nur wenn du im Risiko Dinge tust, die schön sind, wächst deine Mündigkeit.

Dazu gibt es Kontra von Ulf Poschardt, dem streitfreudigen Publizisten und Springer-Herausgeber. Er attestiert den Kritikern "Freiheitsneid und Hass", formuliert dann das denkwürdige Credo: "Nur wenn du im Risiko Dinge tust, die schön sind, wächst deine Mündigkeit". Zu diesen Aktivitäten zählt für ihn offenkundig das Lauschen auf das Motorgeräusch seines Ferrari. Allerdings ist auch er kein Fan von SUVs, mag diese "Verpanzerung" nicht, dieses "Zurückziehen auf eine erhobene Position" sei ein Zeichen von gesellschaftlicher Verunsicherung. Man wolle wenigstens seine Familie schützen.

Auch da kommt Einspruch - vom Notfallsanitäter Frank Borelbach. Die hohen Autos hätten bei Unfällen zur Verschiebung und Erschwerung der Verletzungen auf die obere Körperebene geführt. Dazu zeigt die Doku Fotos schwerer Unfälle, aber keine pietätlosen Opferbilder, sondern gleich den Abtransport von Särgen. An der Stelle legt Tenhaven aber nicht nach, sondern wechselt auf die Gegenspur, die Traumfabrik. Bei Audi beispielsweise leisten sie sich eigens eine eigene Abteilung zur Geruchskontrolle, wo die Mitarbeiter für ein "angenehmes Geruchserlebnis" alle Bauteile olfaktorisch optimieren.

Blechkarossen weichen Bäumen

Es ist ein Wettkampf der visuellen Narrative, den Tenhaven virtuos als kuratierte Träume arrangiert, wie das Call-and-Response im Gospelgesang. Wo der Fotograf Staud die Träume der Autowelt illustriert, ist es bei dem Digitalkünstler Jan Kamensky deren Dekonstruktion. Aus dem urbanen Stadtbild fliegen die Blechkarossen und Schilder, weichen Bäumen, Bänken und Blumen. Um für die Verkehrswende zu überzeugen, benötige man neue Bilder des öffentlichen Raums, betont er. Und räumt zugleich ein: "Ich bin kein Stadtplaner, ich bin Utopist".

Am Ende erwartet auch BMW-Chefdesigner Adrian van Hooydonk, dass die Innenstädte dereinst total autofrei sein werden. Aber das bedeute nicht, dass das Auto keinen Sinn mehr habe: "Die Welt ist groß". Auch Ferrari-Fan Poschardt wird schließlich prophetisch: "Die Verkehrswende lässt sich nicht denken, wenn wir nicht kapieren, welche kulturellen, sozialen und emotionalen Bedeutungen das Auto hat." Genau diese Grundlagen liefert Tenhavens Doku auf elegante Art.

infobox: "Kraftfahrzeug - Eine deutsche Liebe", Dokumentation, Regie und Buch: Jan Tenhaven, Kamera: Sven Kiesche, Produktion: Hoferichter & Jacobs Film- und Fernsehproduktion (ARD/SWR/NDR/MDR, 9.9.25, 22.50-00.18 Uhr, ARD-Mediathek seit 9.9.25)



Zuerst veröffentlicht 15.09.2025 11:04

Dieter Dehler

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dehler, KARD

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