17.09.2025 11:21
RTL-Sendung "Angriff auf unsere Kinder" zu Cybergrooming
epd Ja, es ist RTL, deshalb ist der Tonfall oft etwas reißerisch, und wer sich sonst eher selten in journalistische oder dokumentarische Sendungen des Privatfernsehens verirrt, wird sich über viele Redundanzen wundern, aber es ist gut, dass sich der Sender dieses Themas annimmt. Bei Cybergrooming handele es sich keineswegs um ein "bizarres Nischenproblem", versichert Steffen Hallaschka gleich zu Beginn der Sendung. Anschließend bittet er Eltern, "weise zu entscheiden", ob sie das, was jetzt kommt, ihren Kindern zumuten möchten.
Die Warnung ist angebracht, denn was die zwei nur mit ihren Vornamen vorgestellten jungen Frauen, die RTL als Lockvögel ins Netz geschickt hat, auf Snapchat erlebt haben, ist mit "eklig" (wie sie selbst mehrfach sagen) nur unzureichend beschrieben. Lena ist 19, Mimi 18. Beide geben sich online als Zwölfjährige aus, RTL hat zuvor Profile mit Fotos und Videos erstellt. Im Studio sind zwei passende Zimmer eingerichtet worden. Das Maskenbild sorgt dafür, dass die Darstellerinnen auch optisch ins Bild passen, falls es zu Videogesprächen kommt.
Kaum sind die Köder ausgeworfen, beißen die Haie an. Unumwunden geben die männlichen Chat-Teilnehmer zu, dass sie keineswegs zum üblichen Kreis der vor allem bei Kindern beliebten Plattform Snapchat gehören, sondern längst erwachsen sind, einige gar jenseits der 50. Auch sonst fackeln sie nicht lange, einer schickt gleich mal ein "Dickpic". Ziemlich schnell formulieren sie, worauf sie aus sind: Die Mädchen sollen Fotos mit möglichst wenig Kleidung machen. Beide verweisen mehrfach auf ihr Alter, aber die Männer lassen nicht locker und bedienen sich manipulativer Tricks, um ihr Ziel zu erreichen. Höhepunkt in des Wortes doppelter Bedeutung ist ein Videogespräch, in dessen Verlauf ein Mann onaniert.
Im Studio herrscht Fassungslosigkeit, aber es kommt noch schlimmer: Anschließend will sich der Mann an Lenas angeblich achtjährige Schwester ranmachen.
Dass die Online-Kommunikation zu den befürchteten Ergebnissen führt, ist den beiden jungen Frauen zu verdanken: Sie spielen ihre Rollen perfekt, auch dank der ständigen Rücksprache mit RTL-Reporterin Maria Mack, die sich fundiert in das Thema eingearbeitet hat, das Geschehen gemeinsam mit einer Medienpädagogin beobachtet und bei den Textnachrichten regelmäßig Formulierungshilfen gibt.
Dieser Teil der Sendung ist einige Wochen zuvor aufgezeichnet worden, der Rest war live. Parallel zur Ausstrahlung konnten sich Eltern und andere Interessierte an den "Zebra-Chat" der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen zum Thema Cybergrooming wenden. Im Studio sprach Hallaschka mit mehreren Gästen, darunter ein leitender Oberstaatsanwalt, der den gesetzlichen Hintergrund erläuterte und unzweifelhaft klar machte, dass es bei derartigen Delikten keinen Graubereich gebe. Daran ließ auch die Inszenierung keinen Zweifel: Die wechselnden Fotos hinter der Runde zeigten unter anderem einen einsamen Teddybär auf einem Waldweg, von der Tonspur erklangen Herzklopfen und Thriller-Musik.
Vor vier Jahren haben sich RTL und Hallaschka dem Thema Cybergrooming schon einmal gewidmet, damals mit dem Titelzusatz "Was WIR dagegen machen können!". Frustriert stellte die Psychologin und "Innocence in Danger"-Mitarbeiterin Julia von Weiler fest, dass sich seither nichts geändert habe. Seit 22 Jahren warnt die deutsche Sektion der internationalen NGO vor dem Missbrauch von Kindern in den (damals noch so genannten) Neuen Medien.
Die Betreiber der Plattformen haben kein ausgeprägtes Interesse daran, irgendwas zu ändern: Wer sich bei Snapchat anmeldet, soll mindestens 13 sein, aber viele der "Storys" und "Spotlights" zeigen Kinder, die allenfalls im Grundschulalter sind und oft nicht vollständig bekleidet. Ein "Content-Moderator" erläuterte, warum die Künstliche Intelligenz, die solche Videos aussortieren soll, überfordert ist. Auch die User-Zahlen würden abstürzen, wenn Snapchat die Altersgrenze konsequent einhalten würde, sagte er.
Bei Kindern ist dieser "Instant Messaging"-Dienst so beliebt, weil sich Gesichter mit allerlei Filterfunktionen verfremden lassen. Tätern nutzen ihn, weil sich Botschaften automatisch löschen lassen, sodass es keine gerichtsfesten Beweise gibt. Lena wird beim Videochat aufgefordert, ihr Zimmer zu zeigen, der Gesprächspartner will sich überzeugen, dass sie auch wirklich allein ist. Parallel hat ein Verifizierungs-Team von RTL die Spuren der Anrufer zurückverfolgt; auf diese Weise konnten 15 Ermittlungsverfahren angestoßen worden. Bei Snapchat sind die Verstöße mittels der entsprechenden Funktion ebenfalls gemeldet worden. Passiert ist nichts.
infobox: "Angriff auf unsere Kinder - Der Feind im Chat", Dokumentation mit Steffen Hallaschka (RTL, 11.9.25, 20.15-22.35 Uhr und bei RTL+)
Zuerst veröffentlicht 17.09.2025 13:21
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRTL, tpg, Gangloff
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