Megadroge Alkohol - epd medien
23.09.2025 07:50
ZDF-Fernsehfilm "Im Rausch"
epd Wir sind in Berlin. Die junge Fotoreporterin Katja ist vor Ort, als die Polizei eine Sozialwohnung räumt. Es kommt zum Handgemenge, weil die Ordnungshüter nicht wollen, dass jemand zuguckt. Katja trägt eine Schramme an der Schläfe davon. Aber sie hat ihre Bilder und ihre Story. Stolz präsentiert sie alles ihrem Arbeitgeber, der Zeitung "Facts and Faces". Um tags darauf zu erfahren, dass das Stück nicht erscheinen wird. Die Wohnungsbaugesellschaft, die jene von Katja angeprangerten gewaltsamen Entmietungen betreibt, ist der potenteste Anzeigenkunde von "Facts and Faces".
Die Reporterin ist nicht bereit, das hinzunehmen. Sie macht der versammelten Belegschaft eine Szene und kündigt lauthals. Ihre Chefin Simone, die im Privatleben Katjas Partnerin ist, tut alles, um ihre Freundin zu beruhigen. Aber die braucht jetzt was anderes. Katja ist Alkoholikerin. Sie greift zur Flasche. Sie leugnet ihre Abhängigkeit. Sie nimmt eine männliche Zufallsbekanntschaft mit zu sich nach Hause. Simone reicht es jetzt. "Katja, man kann über alles reden, aber nicht besoffen." Sie will Katja nur dann im Arbeitsverhältnis halten, wenn die bereit ist, für einen Entzug in die Klinik zu gehen. Katja willigt ein, bleibt aber dabei, dass sie das eigentlich nicht nötig habe.
Zwischen Rückfall und Therapie
Der Film erzählt den Schlingerkurs, den Heldin Katja (Friederike Becht) zwischen Rückfall, Einsicht, Therapie und erneutem Rückfall in die Sucht fährt. Partnerin in den Phasen Einsicht und Umkehr ist Simone (Anne Ratte-Polle), Partner in den Phasen Rückfall und Rausch die männliche Zufallsbekanntschaft Eddi (Hans Löw). Eddi hat ein ähnliches Schicksal erlitten wie Katja. Seiner Tischlerei mit dem anspielungsreichen Namen Ed Wood ist ein Großauftrag entzogen worden, auf den er sich seit Monaten vorbereitet und für den er hohe Kredite aufgenommen hat. Kann er ihn nun doch nicht ausführen, ist er pleite. Der Verdacht: Der Auftraggeber macht das alles mit Absicht, um Eddis Firma billig an sich reißen zu können.
Eddi weiß wie Katja um die fantastisch tröstende Wirkung des Alkohols. Gemeinsam mit ihr hebt er ab in die Sphären des Rausches, durchlebt aber auch mit ihr den einen oder anderen furchtbaren Kater, wobei die Fetzen fliegen. Die Affinität von Besoffensein und Zerstörungswut kommt gut zur Geltung.
Filmische Erzählungen über die Macht von König Alkohol hat es immer mal wieder gegeben. Was diesen Film besonders macht, ist der dramaturgische Kniff (Buch und Regie: Mark Schlichter), mittels dessen die helle Welt der Arbeit, der Leistung, des Kampfes um Gerechtigkeit und der Sehnsucht nach Normalität sowie die dunkle Zone der Verführung, des Suffs, des Bewusstseinsverlustes und die Sehnsucht nach dem Versinken im Rausch so gegeneinander geschnitten werden, dass die Spannung stetig bis zur Schwererträglichkeit steigt.
Sie riecht den Alkohol
Auch dem Zuschauer wird was abverlangt - ganz wie den Hauptpersonen. Und die haben ihre Meriten: Friederike Becht ist eine wunderbare Katja: scheinbar unbeschwert, schaut sie gern etwas schelmisch in die Welt, um im nächsten Augenblick eine Verzweiflung herzuzeigen, die, das glaubt man ihr, für sie durch nichts anderes zu besiegen ist als durch Hochprozentiges. Hans Löw ist ein kongenialer Eddi: eher in sich gekehrt, fast scheu, schuldlos vom Schicksal geschlagen. Wo soll er hingucken außer ins Glas? Die beiden sind "partners in crime" und dann doch auf wundersame Weise eine des anderen Rettung.
Anne Ratte-Polle als ebenso verständnisvolle wie auch strenge Vertreterin der Sphäre der Nüchternheit hat eine schwierige Rolle, die sie glänzend meistert. Ein schöner Einfall ist die Episode mit Kathrin Sass. Die Schauspielerin hat einst im wirklichen Leben ihre schwere Alkoholkrankheit überwunden. Im Film möchte Katja sie für eine Reportage über den gesellschaftlichen Umgang mit der überall verfügbaren Megadroge Alk interviewen, aber Sass merkt gleich, was Sache ist und dreht den Spieß um: Sie befragt die Reporterin. Ihr war intuitiv klar, dass Katja als Betroffene recherchiert ("Ich rieche den Alkohol") und sagt ihr auf den Kopf zu, dass sie, Katja, es sei, die über ihre Sucht sprechen müsse. Gespielt wird Katrin Sass natürlich von Katrin Sass.
Der Film "Im Rausch" versinkt nie im Rausch des Problemfilms, in dem ein Zeigefinger stets droht, erhoben zu werden und sich das Publikum den abhängigen Schwächlingen überlegen fühlen darf, sondern bleibt, was sein Thema betrifft, in einer wohltuend moralischen Distanz. Er erreicht, was seine Figuren betrifft, eine ebenso wohltuende psychologische Nähe. Ein wahrlich gelungenes Stück Fernsehfilmkunst!
infobox: "Im Rausch", Fernsehfilm, Regie: Mark Schlichter, Buch: Mark Schlichter, Laila Stieler, Kamera: Carl-Friedrich Koschnick, Produktion: Senator Film (ZDF-Mediathek, seit 20.9.25, ZDF, 29.9.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 23.09.2025 09:50
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Fernsehfilm, KZDF, Sichtermann, Schlichter, Stieler
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