23.09.2025 11:09
Wie junge Menschen sich informieren
epd Es gibt gesicherte quantitative empirische Erkenntnisse, dass junge Erwachsene sich zunehmend von klassischen Medien wie Zeitungen und linearem Fernsehen abwenden und stattdessen viel häufiger digitale Quellen zur Nachrichtenbeschaffung nutzen. Der aktuelle Reuters Institute Digital News Report zeigt, dass das World Wide Web für 65 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland die wichtigste Nachrichtenquelle ist, danach folgen abgeschlagen das Fernsehen mit 22 Prozent, Radio mit 7 Prozent und die Printmedien mit 6 Prozent. Ein Drittel der Jungen nennen soziale Medien wie Instagram, Tiktok oder Youtube als wichtigste Nachrichtenquelle, 17 Prozent beziehen ihre News sogar ausschließlich über diese Plattformen.
Das Leibniz-Institut für Medienforschung - Hans-Bredow-Institut und die dpa-Initiative #UseTheNews veröffentlichen regelmäßig Studien zur Nachrichtennutzung junger Menschen. Sie zeigen, dass Hochgebildete Online-Nachrichten intensiver nutzen als Gleichaltrige mit niedrigerem Bildungsniveau. Sie suchen häufiger aktiv nach Informationen und nutzen gezielter Social-Media-Angebote, News-Websites, News-Apps und Podcasts.
Im Folgenden geht es um die Nachrichtenrezeption von Studierenden des Studiengangs Online-Redaktion an der Technischen Hochschule Köln. Mit ihrem medienfachlichen Hintergrund und der Fähigkeit, Nachrichtenangebote zu analysieren, geben sie wertvolle Impulse für die Gestaltung moderner News-Formate. Neben journalistischem Handwerkszeug erwerben sie Kompetenzen in multimedialer Produktion, Content Marketing, Social Media und Webtechnologien und gelten damit als potenzielle Gestalter und Multiplikatoren künftiger Nachrichtenangebote.
Zur Untersuchung ihrer Nachrichtennutzung wurden zwischen April und Mai 2025 sieben qualitative Fokusgruppeninterviews mit 36 Studierenden im Alter von 19 bis 28 Jahren durchgeführt, zwei Drittel waren unter 23 Jahre alt.
Die Teilnehmer der Fokusgruppen informieren sich fast ausschließlich online - vor allem über Instagram und Tiktok, seltener über Youtube. Viele greifen zudem auf den Whatsapp-Bereich "Aktuelles" zurück, da sie hier schnell und unkompliziert News-Updates direkt neben den Chats erhalten. Klassische News-Websites und -Apps spielen zwar eine ergänzende Rolle, allerdings nur für einen kleinen Teil der Befragten.
Im Gegensatz zu älteren Nutzergruppen wenden sich die Teilnehmer klar von Fernsehen, Radio und Print ab. Diese Medien und ihre Angebote verlieren insgesamt an Bedeutung. Während der Digital News Report klassischen Angeboten bei jungen Menschen noch einen gewissen Stellenwert zuschreibt, zeigt diese Studie, dass sie im Alltag der Befragten kaum eine Rolle spielen. Nur vereinzelt werden noch Politik-Talkshows genannt; klassische Nachrichten erreichen die Studierenden meist zufällig - etwa über das Schauen der "Tagesschau" bei den Eltern oder das Lokalradio beim Studentenjob. Trotz der Medienaffinität ihres Studiums überrascht es, wie selten traditionelle Medien bei der Nachrichtenrezeption tatsächlich eine Rolle spielen.
Die Online-Nachrichtennutzung der Befragten weist große Unterschiede auf: Eine kleinere Gruppe sucht aktiv nach aktuellen, nachrichtlichen Informationen im Web. Genannt werden "Mr. Wissen2Go" und das Nachrichtenportal "Watson" sowie die Onlineangebote von "Die Zeit", "FAZ", "Die Welt", "taz", "ZDFheute", "New York Times", "Bonner Generalanzeiger" und "Süddeutsche Zeitung". Die "Tagesschau"-App wird von allen Gruppen erwähnt, das überrascht nicht, da sie im Seminar gezielt untersucht wurde und somit in der Auswertung eine Sonderrolle einnimmt.
Die Mehrheit der jungen Studierenden stößt aber vor allem beiläufig auf Nachrichten, während sie durch ihre Social-Media-Feeds scrollt. News werden von ihnen selten aktiv gesucht und stammen unter anderem von Influencern. Der Begriff "News" ist dabei weit gefasst. Meist sind journalistische Informationen gemeint, politischer Journalismus rückt jedoch eher in den Hintergrund. In ihren Feeds begegnen die Teilnehmer einer Vielzahl unterschiedlicher Medienmarken, besonders häufig dem Instagram-Auftritt der "Tagesschau".
Auf Tiktok werden oft Content-Gestalter geschaut, die News-Zusammenfassungen unter Schlagworten wie "news summary", "daily news" oder "breaking news" anbieten. Diese kurzen, visuell aufbereiteten Videos sind auf schnellen Konsum ausgelegt und erfreuen sich in der Nutzergruppe besonderer Beliebtheit. Die verstärkte Nutzung sozialer Medien führt dazu, dass Nachrichteninhalte auf Drittplattformen wie Tiktok oder Instagram besonders hohe Akzeptanz bei jungen Nutzern erzielen. Dies geschieht nicht nur zulasten klassischer Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen, sondern auch zulasten eigenständiger News-Apps wie von "Der Spiegel", NTV Nachrichten oder der "Tagesschau"-App.
infobox: Für seine Studie hat Konrad Scherfer junge, formal hoch gebildete Mediennutzer befragt. Fokusgruppeninterviews eignen sich insbesondere, um Einblicke in Motive, Wahrnehmungen und fragmentierte Nutzungspraktiken zu erlangen, die über die rein quantitativen Ergebnisse kommunikationswissenschaftlicher Studien hinausgehen. Der Gesprächsleitfaden umfasste Themen wie Nachrichtennutzung, allgemeines Medienverhalten, die Bedeutung sozialer Netzwerke, thematische Interessen sowie die Rolle von Podcasts. Ziel war es, ein differenziertes Bild der Nachrichtennutzung und der Erwartungen dieser Nutzergruppe an zeitgemäße News-Angebote zu gewinnen. Die Auswertung erfolgte mittels einer Inhaltsanalyse, um Muster und Themen systematisch zu identifizieren. Scherfer weist darauf hin, dass es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt.
Dabei bieten Apps den publizistischen Anbietern grundsätzlich die Chance, Reichweite und Markenbindung unabhängig von Social-Media-Plattformen aufzubauen und direkt mit ihrer Community in Kontakt zu treten. Dass sie von den befragten jungen Menschen dennoch kaum genutzt und nur am Rande erwähnt wurden, hat einen Grund: Offenbar vermitteln die Apps keinen klaren Mehrwert, der den Aufwand rechtfertigt, sie herunterzuladen. Nach Ansicht der Teilnehmer liegt dies vor allem an der fehlenden jugend- oder altersgerechten Aufbereitung der Inhalte.
Dazu zählt die Feststellung, dass man sich in News-Apps gezielt Zeit zum Lesen nehmen müsse und sich Inhalte oft in leicht veränderter Form wiederholten, was schnell ermüde. Plattformen wie Tiktok oder Instagram böten dagegen viele Informationen in kurzer Zeit - visuell aufbereitet und mit Unterhaltung verbunden. Sich bewusst Onlineangeboten zuzuwenden, um ausschließlich Nachrichten zu konsumieren, sei selten geworden und wirke im Vergleich veraltet.
Wir denken nicht mehr darüber nach, wenn wir uns informieren.
Gruppenübergreifend haben die Studierenden klare Vorstellungen davon, welche Formate für sie geeigneter wären als die derzeitigen Angebote. Einige schätzen besonders Tiktok, weil sie dort während des Videoguckens parallel Kommentare lesen können, ohne etwas zu verpassen. Das Video läuft verkleinert weiter, der Ton bleibt hörbar - ein Multitasking-Erlebnis, das die Nutzergruppe spannend findet. Hinzu kommt der niedrigschwellige Zugang zu Diskussionsräumen und Erklärvideos. Nutzer können gezielt nach kurzen, anschaulichen Clips suchen, die komplexe Fragen einfach und oft mit Beispielen beantworten.
Tiktok kombiniert so schnelle Informationsvermittlung, persönliche Erfahrungsberichte und interaktive Diskussionen in einem nebenbei konsumierbaren Format. Dieses parallele Schauen und Interagieren spiegelt die gelebten Mediengewohnheiten vieler Studierender wider. Ein Teilnehmer fasst es so zusammen: "Wir denken ja gar nicht mehr darüber nach, wenn wir uns informieren. Wir wissen einfach, ich kann auf Tiktok gehen, ich kann auf Instagram gehen. Wir sind selbstständig bei unserer Informationssuche. Und 'Nachrichten' ist halt dann nicht mehr die erste Quelle."
In den Fokusgruppen zeigt sich darüber hinaus, dass die Suchfunktion von Tiktok von jungen Menschen als besonders nützlich empfunden wird: Über eingeblendete, blau markierte Schlagworte in den Kommentaren erhalten Nutzer mit einem Klick Zugang zu einer Vielzahl thematisch passender Videos und können so gezielt und umfangreich Informationen recherchieren. Diese Funktion erleichtert die spontane und breite Informationsbeschaffung innerhalb der Plattform erheblich.
Dass sich viele in der Nutzergruppe von News-Apps und -Websites nicht angesprochen fühlen, hat nicht nur mit der äußeren Form der Angebote zu tun, sondern auch mit deren Inhalt. Zwar stellen die Befragten die Relevanz journalistischer Berichterstattung nicht infrage und bekunden zugleich ein großes Interesse an Politik. Dennoch kritisieren einige, dass es den Angeboten an regionaler Verankerung sowie an einem erkennbaren Bezug zu ihrem eigenen Alltag fehlt.
Statt in News-Apps und auf News-Websites erhält der Großteil der befragten Nutzergruppe primär über Social Media Meldungen zum Tagesgeschehen und hält sich für gut informiert. Doch es werden in diesen Medien journalistische Themen nicht in größerem Umfang vertieft. In den Interviews wird sogar eine inzidentelle Nachrichtennutzung sichtbar, bei der journalistische Inhalte beiläufig und ungeplant im Rahmen der Social-Media-Nutzung rezipiert werden. Diese Form der Rezeption ist durch kurze, oberflächliche Informationshäppchen ("Snackable Content") gekennzeichnet, die zwischen anderen Beiträgen konsumiert werden.
Soziale Netzwerke wie Instagram und Tiktok spielen für die Befragten zwar eine wichtige Rolle im Nachrichtenkonsum, wenn es jedoch um die vertiefte Auseinandersetzung mit journalistischen Inhalten geht, wenden sie sich fast ausschließlich Plattformen wie Youtube und Spotify zu. Auffällig ist, dass ein Medienformat, in dem das alte Medium Radio eine Renaissance erlebt, erheblich an Bedeutung gewinnt: der Podcast. Für Hintergrundinformationen greift die Nutzergruppe gezielt auf journalistische Formate wie "Anne Will", "FAZ Frühdenker", "Lanz und Precht" oder "Lage der Nation" zurück, doch auch Comedy-Podcasts wie "Baywatch Berlin" erfreuen sich großer Beliebtheit.
Mehrfach genannt wurde außerdem das personalisierte Spotify-Feature "Daily Drive", das Musik und Nachrichten in einer Playlist kombiniert. Podcasts werden gruppenübergreifend für ihre thematische Vielfalt gelobt. Das Spektrum der hier behandelten Inhalte reicht von Selbstoptimierung und Mental Health bis hin zu Persönlichkeitsentwicklung, Leistungsdruck, Femizide, Wehrpflicht und Finanzthemen. Diese Themen tauchen auch bei den 19- bis 28-Jährigen immer wieder auf, wenn sie beschreiben, welche Inhalte für sie besonders relevant sind und ihrer Meinung nach in klassischen Nachrichtenformaten häufig zu kurz kommen.
Interessant ist die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer bezüglich ihrer Aufmerksamkeitsspanne. Sie berichten von Veränderungen in ihrer Konzentrationsfähigkeit und führen das insbesondere auf Apps wie Instagram und Tiktok zurück, die mit kurzen Videos und parallelen Interaktionsmöglichkeiten dieses Verhalten fördern. Offen reflektieren sie ihre Schwierigkeiten, sich länger zu konzentrieren, und betonen zugleich die Attraktivität von Social-Media-Apps, bei denen sie, während sie kurze Videos schauen, Eindrücke und Reaktionen sofort sammeln. Besonders gefragt sind Kurzvideos, personalisierte Inhalte und Karussellposts - also Beiträge, die mehrere Bilder, Videos oder Grafiken bündeln.
In der Nutzergruppe zeigt sich ein klarer Trend: Die Nutzung klassischer Medien tritt spürbar in den Hintergrund, während Social-Media-Plattformen und ihre Diskussionsräume das Informationsverhalten dominieren, selbstverständlich auf dem Smartphone. Auffällig ist die Abhängigkeit vom Angebot großer Drittplattformen. News-Angebote, die ausschließlich mit eigenen Websites oder Apps bestehen wollen, haben im Mediennutzungsverhalten dieser jungen Zielgruppe kaum Chancen, relevant zu bleiben.
Der tiefgreifende Medienwandel, den diese Studie dokumentiert, hat aus kommunikationswissenschaftlicher und medienökonomischer Sicht Folgen: Der klassische Agenda-Setting-Effekt tritt bei jungen Menschen nur noch eingeschränkt auf. Selbst bei formal hoch Gebildeten wirkt er zwar bei aktuellen Schlagzeilen, aber kaum noch bei hintergründigen Themen außerhalb des eigenen Interessenshorizonts.
Medienökonomisch gilt: Die traditionellen Marken sind präsent, doch die Rezeptionswege haben sich radikal verschoben. Klassische Nachrichtenportale und Apps spielen eine Nebenrolle; der Zugang zu Informationen erfolgt vor allem über Social Media und Podcasts. Für Geschäftsmodelle der Branche ist das eine schwierige Ausgangslage. Langfristige, zukunftsfähige Erlösquellen sind schwer zu identifizieren, und die Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz bieten bislang keine Lösung. Realistische Szenarien für die Medienzukunft müssen daher entwickelt werden. Empirische Daten sind dafür eine notwendige Grundlage, qualitative Studien gewinnen zusätzlich an Bedeutung, da sie tiefere Einblicke in Nutzungsweisen und Erwartungen ermöglichen.
In der Nachrichtennutzung zeigt sich somit ein klarer Generationsbruch. Es geht längst nicht mehr nur darum, klassische Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen ins Netz zu übertragen und ihre Inhalte in ein neues Format zu gießen. Was früher für junge Menschen oft bedeutete, bestimmte journalistische Autoren zu lesen, verlagert sich heute hin zu Influencern oder Podcastern. Statt gezielt Nachrichtenportale aufzurufen, wählen viele lieber Plattformen wie Tiktok oder Instagram - oder künftig möglicherweise sogar KI-Nachrichten -, die Inhalte algorithmisch aufbereiten und anhand von Faktoren wie Standort, individuellen Interessen oder persönlichem Nutzungsverhalten zuspielen. Dabei bevorzugen junge Menschen zunehmend Nachrichtenformate, die Information und Unterhaltung miteinander verbinden - ein klarer Trend zum Infotainment.
Die Online-Angebote großer Medienhäuser erreichen damit viele junge Menschen nicht mehr. Und wenn traditionelle Medien schon unter Hochgebildeten nicht mehr flächendeckend wahrgenommen werden, stellt sich erst recht die Frage, welche jungen Menschen durch die aktuellen Angebote überhaupt erreicht werden und wie Teilhabe breiter gesellschaftlicher Gruppen ermöglicht werden kann. Demokratietheoretisch ist diese Entwicklung nicht ohne Risiko. Zugleich zwingt sie den Journalismus dazu, neue Formen der Ansprache zu entwickeln und damit Anschluss an junge Generationen zu finden.
Copyright: Foto: Monika Nonnemacher
Darstellung: Autorenbox
Text: Konrad Scherfer ist Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Hochschule Köln.
Zuerst veröffentlicht 23.09.2025 13:09 Letzte Änderung: 23.09.2025 13:47
Schlagworte: Medien, Internet, Nachrichten, Medienforschung, Scherfer, NEU
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