Liest Elmo Machiavelli? - epd medien

26.09.2025 09:30

In Russland, Afghanistan und nun auch in den USA: Die "Sesamstraße" wird von autoritären Herrschern auf der ganzen Welt bekämpft. Wie konnte es dazu kommen? Das Deutschlandfunk-Feature "Donald Trump hat Angst vor Elmo" offenbart die diskrete Machtpolitik der Muppets.

DLF-Feature über die "Sesamstraße im Krieg"

Szenenfoto aus "Bache Simsim", der 2021 abgesetzten afghanischen "Sesamstraße"

epd "Es gibt nur eins, was ich tun kann, Elmo: Du bist gefeuert!" In einer "Sesamstraßen"-Folge aus dem Jahr 2005 sucht "Donald Grump" einen Lehrling. Den Aspiranten Elmo wirft der Müll-Multi Grump aber gleich wieder raus. Ähnliche Szenen spielen sich damals in der Realityshow "The Apprentice" des echten Donald Trump zu. 20 Jahre später stellt dessen Regierung die "Sesamstraßen"-Bewohner tatsächlich vor die Tür, beinahe jedenfalls: Im Frühsommer streicht sie den angeblich voreingenommenen Öffentlich-Rechtlichen viel Geld. Damit verliert auch die Kindersendung ein wichtiges Standbein - und steht, weil zuvor schon der private Finanzier Warner Bros. Discovery abgesprungen war, kurzzeitig auf der Kippe. Bloß eine staatliche Sparmaßnahme? Oder doch Trumps persönlicher Rachefeldzug?

Für den Krisenreporter und Journalisten Alexander Bühler ist die Sache noch größer: Die "Sesamstraße" ist demnach eine Spielfigur in einem ideologischen Kampf von weltpolitischem Ausmaß. Bühler schaut in dem vom Deutschlandfunk produzierten Doku-Feature "Donald Trump hat Angst vor Elmo" auf die Auslandsproduktionen der Kindersendung, die 1969 in New York beim gemeinnützigen "Sesame Workshop" (früher Childen's Television Workshop) ihre Anfänge nahm.

Wie in über 100 anderen Ländern haben Elmo, Bibo und Graf Zahl seither auch russischen und afghanischen Kindern grundlegende pädagogische Einsichten vermittelt - etwa das ABC und die Zahlen und einen überlegten Umgang mit Gefühlen und Mitmenschen. Mit großem Erfolg: In Afghanistan schauten 2017 gut 80 Prozent der Familien mit einem TV-Zugang "Bache Simsim".

Harte Bandagen

Der Erfolg hat aber eine Schattenseite, denn autoritäre Machthaber bekämpfen die Sendung mit harten Bandagen. Wladimir Putin stellte das russische "Ulitsa Sezam" schon 2008 kalt. Die Taliban verübten 2016 einen Anschlag gegen die Macher von "Bache Simsim", das sich unter anderem für die Bildung von Mädchen starkmachte. Dabei wurde ein Cutter getötet. Wie die Muppets weltweit ins Fadenkreuz der Kulturkämpfer geraten konnten, will Alexander Bühler in 43 Minuten nachzeichnen.

Die "Sesamstraße" war, so seine These, mitnichten rein unpolitisches Bildungsfernsehen, sondern ein "Vehikel für amerikanische, liberale Werte". Recherchen der Kulturhistorikerin Helle Strandgaard Jensen legten 2023 offen, dass der "Sesame Workshop" bei den Starts von Auslandsproduktionen oft auf Gelder von US-Ministerien zurückgriff. Die geplanten Exporte bewarb der "Workshop" mitunter "als Teil der amerikanischen Machtstrategie" und besetzte Schlüsselstellen in der ausländischen Produktion mit Freunden der USA. War die Sendung einmal in dem Land etabliert, so das Kalkül des "Sesame Workshop", sollten regionale Geldgeber einsteigen.

Der machiavellistische Pakt machte Elmo, Bibo und Co dennoch zum "Kronjuwel der amerikanischen Kulturexporte", wie Bühler argumentiert. Im Einklang mit außenpolitischen Interessen eroberte die "Sesamstraße" weltweit die "hearts and minds" der Menschen.

Scharfes Schwert gegen Rechtskonservative

Betroffen macht die Geschichte des "Bache Simsim"-Produzenten Jawed Taiman, der mittlerweile in Bonn als Flüchtling lebt. Taiman machte die Sendung zu einer Art "Erholungsort" für die kriegsgebeutelten afghanischen Kinder, mit zwitschernden Vögeln, Bachplätschern und Drachensteigen. "Eine Welt, wo Kinder auch Kinder sein dürfen", sagt die ehemalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Heute bewertet der Journalist Taiman die Produktion anders: Sie habe politisch zur Ablenkung vom andauernden Kriegszustand gedient. Mit der Einnahme Kabuls 2021 wurde "Bache Simsim" eingestellt.

Der "Sesame Workshop", dessen liberale Werte US-Interessen fast beiläufig zu mehr Popularität im Ausland verhalfen, führte dieselben Werte in den USA als scharfes Schwert gegen Rechtskonservative. Das zeigen auch die "Grump"-Auftritte, die Bühler aus dem "Sesamstraßen"-Archiv hervorkramt.

Ende diskreter Machtpolitik

Die Zukunft von Kindern, ihre Träume und Bildung sind für Bühler "Kollateralschäden auf einem ideologischen Schlachtfeld", wenn Sendungen aus politischen Gründen infrage gestellt oder abgesetzt werden. Die Streichung öffentlicher Gelder für die Sendung im In- und Ausland habe aber auch ein Ende jener "diskreten Instrumente der Machtpolitik" eingeleitet, die die USA seit dem Kalten Krieg genutzt hätten: Trump setze stattdessen auf die rohe Gewalt von Bunkerbrechern.

In einem Radiofeature ist die wechselvolle Geschichte der Handpuppen, die von New York aus die Welt erobert haben, journalistisch gut aufgehoben: Weil die Muppets ohnehin gern singen und die "Sesamstraße" erklingen lassen, passt die Fernsehsendung gut ins Radio. Vor allem aber bleibt es den Hörerinnen und Hörern überlassen, wie sie die machtpolitischen Verquickungen bewerten. Neben der kritischen Argumentation Bühlers bleiben eindrückliche Sendungs-Ausschnitte stehen, die diese nicht nur illustrieren, sondern auch Kontrapunkte setzen: wenn sich die anrührende Mädchen-Figur Sari in "Bache Simsim" auf die Schule freut etwa, oder wenn Joe Pesci gekonnt den Immobilienmogul Grump verkörpert.

infobox: "Sesamstraße im Krieg. Donald Trump hat Angst vor Elmo", Radiofeature, Regie: Claudia Kattanek, Buch: Alexander Bühler, Sprecher: Claudia Mischke, Daniela Bette, Sigrid Burkholder, Daniel Drewes, Tom Jacobs und Heiko Obermöller (Deutschlandfunk, 16.9.25, 19.15-20.00 Uhr, Deutschlandradio/ARD-Audiothek, seit 16.9.25)



Zuerst veröffentlicht 26.09.2025 11:30 Letzte Änderung: 26.09.2025 11:34

Lino Wimmer

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Radio.(Kritik), Feature, KDLF, Sesamstraße, Bühler, Wimmer, NEU

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