Mulmiges Bauchgefühl - epd medien

29.09.2025 13:03

Eine Reportage-Reihe, in der Comedian Wigald Boning durch "Lost Places" stromert und deren Geschichte Leben einhaucht, gab es schon 2016. Nun hat RTL eine Neuauflage gewagt. Das betont unpädagogische Geschichts-Fernsehen überzeugt nicht ganz.

Reportage-Reihe "Wigald und Eko - Die Geschichtsjäger 2.0" bei RTL+

Wigald Boning (links) und Eko Fresh besuchen in "Die Geschichtsjäger" geheimnisvolle Orte, an denen Geschichte geschrieben wurde

epd Hinter wild wuchernden Büschen, losen Metallgittern und zerschlagenen Fenstern warten verlassene Fabriken, Bahnhöfe und Wohnhäuser darauf, erkundet zu werden. Längst werden die sogenannten Lost Places auch dokumentiert, kartiert und in einer beachtlichen Online-Szene geteilt. Auf der Internetplattform "Reddit" verfolgen jede Woche rund 40.000 Menschen Hobby-Recherchen, Youtube-Kanäle wie "Adventure Buddy" erreichen eine knappe Million Follower. Kein Wunder also, dass der RTL-Sender Nitro, der vor allem Männer bis 50 erreichen will, nun den Comedian Wigald Boning in prominenter Begleitung zu solchen "Lost Places" schickt.

RTL nennt die Neuauflage von "Die Geschichtsjäger" mit Boning ein "Herzensprojekt". Es soll zeigen, "dass beste Unterhaltung nicht immer Mainstream sein muss" und dass "Wissensdurst, Abenteuerlust und Humor" gut zusammenpassen. Tatsächlich ist es ein kleines Wagnis für RTL, denn der Bezahlsender History setzte die Vorgänger-Serie 2016 bereits nach sechs Folgen wieder ab. Die Neuauflage "Wigald und Eko - Die Geschichtsjäger 2.0" setzt auf den Rapper Eko Fresh an Bonings Seite, um "viel frische Energie" freizusetzen. Eko Fresh lässt mehr Humor erwarten als der bierernste Survival-Influencer Fritz Meinecke, der Boning zuvor begleitete. Dennoch bleibt vieles beim Alten.

Bargeld hinterlässt keine Spuren.

Die erste Folge führt auf die abgeriegelte Ostsee-Halbinsel Wustrow, auf der die Sowjetarmee noch bis in die 90er Jahre Soldaten in der Luftabwehr schulte. Zuvor hatte die Wehrmacht das Gelände von einem Privateigentümer gekauft, erzählt der Förster und Hausmeister des Geländes. Im Geheimen und mit Bargeld, denn der Versailler Vertrag habe diesen Kauf verboten.

Der Comedian Boning ist auch als Sprecher zu hören. Ungewohnt dramatisch betont er Sätze wie: "Bargeld hinterlässt keine Spuren und war daher perfekt für die Tarnung dieser riesigen Wehrmachtsanlage." Einige Quellen legen nahe, dass diese Geheimaktion noch vor Hitlers Aufstieg zur Macht auf die Kappe der Weimarer Reichswehr ging. Der Frage nachzugehen, welches Licht dieser Fall auf die Reichswehr wirft, wäre aufschlussreicher gewesen als über die Vorteile von Bargeldzahlungen zu räsonieren.

Reporter beim Wettturnen

Der Comedian mit Regenponcho und Cowboyhut und die Autoren lassen kaum eine Gelegenheit aus, das Gefühl eines geheimen Ortes in die Sendung zu transportieren. Actionmusik, abgefilmte Gefahrenschilder und ein "mulmiges Bauchgefühl" wirken aber etwas schräg angesichts des entspannten Försters, der die Geschichtsjäger auf der Insel in Empfang nimmt. Boning gibt den übermotivierten Hobbyforscher, während der stillere Eko Fresh an seiner Seite erst seine Rolle finden muss. Zwischenzeitlich gönnen die Macher den Zuschauern Erholungspausen von den Geschichtsthemen, dann schaut man dem Reporter-Duo beim Wettrudern oder Wettturnen zu. Der Cringe-Faktor hält möglicherweise manche Zuschauer bei der Stange.

Die TV-Reihe ist von der Schwarzbild Medienproduktion ungleich aufwendiger gestaltet als die Online-Videos aus der Lost-Places-Szene. Den Hobby-Abenteurern mit Handkamera dürfte es aber leichter fallen, die Aura eines echten Abenteuers heraufzubeschwören als einer Redaktion mit Kamerateam und Drehgenehmigung.

Ungewöhnlicher Schwerpunkt

Was Boning und Eko Fresh auf dem verlassenen Militärgelände oder in einer leer stehenden Tuberkulose-Heilanstalt vorfinden - Inschriften, Autobauteile oder einen antiken Aufzug -, ist ihr Portal zur Geschichte. Wozu die Dinge einmal gut waren, und was sie über das Dritte Reich, die DDR und die Gegenwart aussagen, das sollen aufbereitete Recherchen erklären, vor allem aber Zeitzeugen und lokale Hobbyhistoriker. Manchmal bemühen die Reporter auch ihre Phantasie, nah am Forschergeist und auf Sicherheitsabstand zum Historischen Seminar.

Dass Dinge und Räume den Weg in die Geschichte weisen, lenkt den Fokus auf die Alltagsgeschichte und bietet eine willkommene Abwechslung zu den viel erzählten Geschichten großer Männer und Kriege. Wie sahen Sanitäranlagen der Wehrmacht und der Roten Armee aus? Wie haben sich die Sportler in der DDR-Zeit ernährt? Wieso galt eine Schmalzstulle vor hundert Jahren als Diät-Essen?

Allerdings hat das betont spielerische Geschichtsfernsehen seinen Preis. Eko Fresh versucht vom Kleinen ins Große zu kommen: "Hier waren Nazis, hier waren Kommunisten. Die Natur nimmt sich das am Ende zurück, und sagt: Was habt ihr euch dabei gedacht?" Das hat wenig mit dem zu tun, was vorher zu sehen war. Um historische Einordnung scheint es der Sendung aber nicht primär zu gehen. "Das ist alles nicht Geschichte von gestern, darüber kann man auch heute nachdenken", sagt Boning nach etwas zu langen 45 Minuten in der ersten Folge. Die Reportage-Reihe ist interessant, wirkt aber stellenweise zu beliebig.

infobox: Wigald und Eko - Die Geschichtsjäger", sechsteilige Reportagereihe mit Wigald Boning und Eko Fresh, Buch: Karsten Scheuren, Boris Quatram, Anna Bolenius, Gerrit Mannes, Kamera: Björn Lindenblatt, Über Björn, Matthias Bär, Sebastian Tögel u.a., Produktion: Schwarzbild Medienproduktion (RTL+, seit 20.9.25, Nitro, seit 27.9.25, jeweils samstags, 19.10-20.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 29.09.2025 15:03

Lino Wimmer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRTL, Boning, Fresh, Reportage, Geschichte, Wimmer

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