Drogen und Herzschmerz - epd medien

03.10.2025 09:05

Die RTL-Serie "Euphorie" will die schwierigen Lebensrealitäten von Jugendlichen mit ihren Identitätskrisen zeigen, gleitet dabei aber in Kolportage ab. Durch die penetrante Musikuntermalung wird "Euphorie" zu einem bonbonfarbenen Endlos-Videoclip.

Mila (Derya Akyol) ist die Protagonistin der Serie "Euphorie"

epd Beinahe wäre Mila vom Auto erfasst worden. Ob die 16-Jährige sich tatsächlich das Leben nehmen wollte oder nur etwas durch den Wind war, weiß sie selbst nicht so genau. Nachdem Basti, der von allen Mädchen umschwärmte Junge ihrer Schule, eine intime Situation brutal ausnutzte und ein entwürdigendes Protz-Sex-Handyvideo mit ihr ins Netz stellte, möchte die sensible junge Frau nur noch im Erdboden versinken. Mila muss in die Jugendpsychiatrie, wo man sie auch noch auf den Geschmack von Drogen (Psychopharmaka) bringt. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die ambitionierte RTL-Serie "Euphorie" basiert auf einem israelischen Originalformat, dessen US-amerikanisches Remake mit der Marvel-Darstellerin Zendaya in der Hauptrolle für Aufmerksamkeit sorgte. In der deutschsprachigen Version versucht der Privatsender eigene Akzente zu setzen. So wird Mila in ihrer Krise weder von Lehrern, die mehrheitlich als unfähig dargestellt werden, noch von ihrer dysfunktionalen Familie aufgefangen.

Trendthemen werden abgehakt

Milas Mutter avancierte nach Überwindung einer schweren Krankheit zur gefragten Krebs-Ratgeberautorin, die ihre Tochter mit Kalendersprüchen nervt: "Denk nicht an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast." Enttäuscht wird insbesondere Milas Sehnsucht nach dem Vater, der in seiner Depression zu tief ins Glas schaut. Auftrieb könnte die zärtliche Beziehung zu Ali geben. Doch die junge Frau mit afrikanischen Wurzeln steckt in ihrer eigenen Horrorshow. Ihre gegenüber Männern hörige Mutter stieß die bedürftige Tochter schon als Kleinkind jedes Mal schroff zurück, wenn ein Lover sie anklingelte.

Die Konstellation erinnert an die Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht", in der eine Schülerin nach Vergewaltigung und Mobbing den Freitod wählt. Im Gegensatz zu diesem Charakterdrama werden in "Euphorie" Trendthemen der Reihe nach abgehakt. So hat Mila eine literarisch gebildete Mitschülerin, die unglücklich in ihre Lehrerin verliebt ist. Eine andere ist etwas pummelig. Und eine weitere Freundin will ihre Brustvergrößerung finanzieren, indem sie in der Tiefgarage ihre gebrauchten Slips feilbietet.

Plakative Politisierung

Diese Verwicklungen visualisiert die Serie zuweilen durchaus originell. Ein Cartoon erklärt die Borderline-Störung. Und einmal agiert Mila als Boulevard-Journalistin, die trauernde Menschen in ihrer Privatsphäre traktiert. Leider sind dies nur inszenatorische Fußnoten. Der Plot vermittelt sich nicht im Zuge einer stringenten Dramaturgie. Meist wird das Geschehen allein durch Milas durchgehenden Off-Kommentar vorangetrieben, in dem es über eine Mitschülerin heißt: "Sie ist so weit von Sex entfernt wie Deutschland von der CO2-Neutralität."

Die plakative Politisierung, die sogar Donald Trump ins Bild rückt, spiegelt sich auch in der Charakterisierung des jungen Schauspielers Janis, der Mila mit Drogen versorgt und so deren Abwärtsspirale beschleunigt. Dessen Vater schaltet immer das Radio ab, sobald "das 1,5-Grad-Ziel" erwähnt wird. Dem Jungen bleibt nur eine düstere Zukunft, die selbstsüchtige Erwachsene ihm versaut haben.

Doch diese Motive, eingebettet in einen Stakkato-Rhythmus der Jugendsprache ("Was geht?"), gehen meist unter in Milas prätentiösen Off-Statements, die wie Labels über die Bilder gelegt werden: "Wir romantisieren ihn weiter, den Absturz, den unsere Gesellschaft liebt."

Lärmende Musikschleife

Mit diesem für das Streaming produzierten Achtteiler über den Weltschmerz der Genration Z will der Kölner Privatsender die unter 25-Jährigen erreichen. Die Serie, ein Prestigeprojekt, wäre gern eine Hochglanz-Produktion, kann aber die Verwurzelung in Kolportage nicht ganz verbergen. Dieses Defizit zeigt sich vor allem in der lärmenden Musikschleife, die "Euphorie" wie einem bonbonfarbenen Dauer-Videoclip erscheinen lässt. In zwei bis drei Szenen kommen Mila und Ali sich tatsächlich ohne Musikverstärkung nahe, doch meist wird jede Gefühlsregung in einem unterlegten Popsong ertränkt.

Nicht überzeugend ist auch der regionale Fokus der Serie auf die multikulturell geprägte Szene in der Region um Gelsenkirchen. Die Deutschtürkin Derya Akyol in der Hauptrolle der leidgeprüften Mila wirkt zwar durchaus glaubhaft, doch das Thema Diversity reduziert sich auf eine zeitgeistige Anmutung. Dies zeigt sich insbesondere in Milas Umgang mit Drogen und Homosexualität. Die Serie will den Exzess aus Rauschgift und Emotionen mit audiovisueller Untermalung als Dauer-Emphase vermitteln, doch dabei verblassen die Figuren.

infobox: "Euphorie", achtteilige Dramaserie, Regie: Antonia Leyla Schmidt, André Szardenings, Buch: Jonas Lindt, Raquel Kishori Dukpa, Paulina Lorenz, Antonia Leyla Schmidt, Kamera: Jonathan Ibeka, Produktion: Zeitsprung (RTL+ seit 2.10.25)



Zuerst veröffentlicht 03.10.2025 11:05

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Serie, Euphorie, KRTL, Riepe, Schmidt, Szardenings, Lindt, Dupka, Lorenz

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