04.10.2025 08:10
ARD-Fernsehfilm "Die Nichte des Polizisten"
epd So viel Aufklärungsaktivität wie im Fall des "Nationalsozialistischen Untergrunds" war selten, könnte man meinen. Also alles bekannt und unter "Geschichte" abzulegen? Erst wurde zwar der Abschlussbericht zu den NSU-Akten für 120 Jahre zur Verschlusssache erklärt (was später auf 30 Jahre herabgesetzt wurde), dann wurde er 2022 jedoch vom "ZDF Magazin Royale" und anderen veröffentlicht. Sind wir nun schlauer, zumindest schlau genug? Vieles lässt sich wissen, Wichtiges blieb gleichwohl im Dunkeln. Aber bewegt es uns noch? Müssten wir nicht nach wie vor alarmiert sein wegen der immer noch nicht restlos geklärten möglichen Vernetzung unserer Ermittlungs-, Sicherheits- und Staatsschutzbehörden und rechtsextremer terroristischer Kreise?
Hätten wir die filmischen Auseinandersetzungen von Gabriela Sperl zum NSU-Komplex nicht, wären uns viele solcher Fragen und die Antworten darauf verborgen geblieben. Seit vielen Jahren legen Sperls filmische Beschäftigungen einerseits erzählerisch faktenbasiert, andererseits aber den seit Aristoteles formulierten Möglichkeitsbereich der Ästhetik zur Aufklärung nutzend, Finger in die Wunden.
Auch ihrem neuen Film, dem Ausnahmethriller "Die Nichte des Polizisten", merkt man die zugrundeliegende Rechercheleistung an. Geschrieben mit Rolf Basedow und Nicole Armbruster, wirkt dieser von der ersten bis zur letzten Einstellung fesselnde, eigenständige Nachtrag zu Sperls vielfach ausgezeichneter "NSU-Trilogie" wie die historisch notwendige Aktualisierung der nur scheinbar abgeschlossenen Ereignisse.
Die Dokumentation "Tod einer Polizistin" von Clemens und Katja Riha stellte schon 2017 die offizielle Version, nach der sich die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von hinten an den an unüblicher Stelle in Heilbronn geparkten Streifenwagen anschlichen, Michèle Kiesewetter erschossen und ihren Einsatzpartner schwer verwundeten, infrage. Hier wurden die Seltsamkeiten und Widersprüche offizieller Darstellung benannt, der Zusammenhang zwischen Korpsgeist, Vorgesetzten mit rechtsextremer Vergangenheit, Hintergründe zum riskanten Einsatz der jungen Polizistin als verdeckte Ermittlerin bei Drogen- und Waffengeschäften, sowie ihr thüringischer Herkunftshintergrund erarbeitet und dargestellt.
Der Fernsehfilm "Tod einer Polizistin" ist von Dustin Loose hervorragend, jede Szene be- und durchdenkend inszeniert. Geschichte ist bekanntermaßen Darstellung von Geschehen, aber auch Herstellung von Sinnzusammenhang. Man nennt solches Vorgehen gemeinhin "historisch-kritisch", und es existiert auch im Fiktionalen. Historisch-kritische Fiktion, bei großer Überzeugungskraft der wahrhaftig gestalteten Charaktere und der bewusst gestaltenden Kameraarbeit von Clemens Baumeister, das charakterisiert "Die Nichte des Polizisten".
Im April 2007 wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ermordet. Ihre Dienstwaffe und die ihres Kollegen nehmen die Täter mit. Als Souvenir und um den Staat zu demütigen, so die offizielle Interpretation. Die Polizistin in diesem Film heißt Rebecca Henselmann und wird von Magdalena Laubisch atemberaubend gespielt. Hier sind die Dienstwaffen eine Art Pfand und Beglaubigung erschreckender neuer Zusammenhänge. Am Ende sorgen sie für eine fundamentale Akzentverschiebung des zuvor Gezeigten.
Zu Beginn zeigt der Film den Zusammenhalt unter den jungen Polizisten. Beim ersten Einsatz ihrer neuen Einheit wird Rebecca von gewalttätigen Demonstranten der Helm vom Kopf gerissen, die Kollegen, darunter Christoph Laurin (Max von der Groeben), sind zur Stelle, sichern sie mitten im "Hexenkessel". Durch sportlichen Trainingsfleiß in der immer wieder gezeigten Sporthalle und ihren Ehrgeiz verschafft sich die Neue Respekt und die Aufmerksamkeit des Vorgesetzten Menke (Nils Strunk). Bald darf sie undercover im Drogenmilieu ermitteln - und wird von Leuten aus ihrer thüringischen Heimat erkannt.
Der Film zeigt: Diese Polizistin leitet ihr Eid auf die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland mit demokratischen Mitteln, wie sie es von ihrem Polizisten-Onkel (Thorsten Merten) von kleinauf gelernt hat. Dennoch wird sie als Figur, nicht als Heldin mit Heiligenschein präsentiert. In der Stammdisco in ihrem Heimatort machen sich lange schon die Rechtsextremen breit, sie beschimpfen Rebecca als Bullenschwein, als sie versucht, ihre süchtige Cousine Anni (Sina Genschel) vom rechten Milieu fernzuhalten.
Bemerkenswerterweise ist in diesem Film vom NSU überhaupt nicht die Rede, die Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt wird immanent geleugnet. Rebecca erkennt den Mann, der sie gleich erschießen wird. Uns aber, und das ist eine der Stärken des Films, bleibt das Rätsel der Täterschaft.
Was aber sicher ist: Die Bedrohungslage durch rechte Netzwerke ist und bleibt aktuell. Als gesetzt gilt nicht nur in diesem Film, dass der Verfassungsschutz die rechte Szene in Thüringen groß gemacht habe. Das Kunst-Stück von "Die Nichte des Polizisten": Der Film stellt zwar das Mordopfer mit seinen persönlichen Perspektiven und Erkenntnissen in den Mittelpunkt, zeigt aber zugleich, wie wichtig eine staatsbürgerlich agierende Polizei für die Demokratie ist. Ein herausragend intelligentes Fernsehfilmereignis.
infobox: **"Die Nichte des Polizisten", Regie: Dustin Loose, Buch: Rolf Basedow, Nicole Armbruster, Gabriela Sperl, Kamera: Clemens Baumeister, Produktion: Wiedemann & Berg (ARD-Mediathek/SWR/NDR seit 2.10.25, ARD, 8.10.25, 20.15-21.45 Uhr, One 12.10.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 04.10.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSWR, KNDR, Fernsehfilm, Loose, Basedow, Armbruster, Sperl, Hupertz
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