05.10.2025 12:45
Der neue HR-"Tatort" mit Melika Foroutan und Edin Hazanovic
epd Frankfurt am Main, gern auch "die Bankenmetropole" genannt, war schon immer für Verbrechensklischees gut. Streift man durch das fiktionale oder dokudramatische Fernsehproduktionsangebot vergangener Jahre, sieht man Kriminellen im Finanz- und Wirtschaftsmilieu ("Dead Man Working", "Bad Banks"), zeithistorische Aufarbeitungen wie im Mordfall der mit Vorliebe "Edelprostituierte" genannten Rosemarie Nitribitt oder des Immobilien- und Bankenskandals um Jürgen Schneider. Fast unüberschaubar viele Krimis zeigen die Glas- und Stahltürme in ihrer visuellen Scheintransparenz, die Straßenschluchten, das Drogen- und Zwangsprostitutionselend im Bahnhofsviertel oder rotbeleuchtete Laufhäuser.
Wie beschränkt das fernsehtradierte Bild der Frankfurt-Krimis mit den drei K - Klassismus, Kapitalismuskritik, Korruption - ist, zeigt der brandaktuelle und überaus gelungene neue "Tatort" aus Frankfurt. Viele meinen zu Recht, die deutschsprachige Fernsehwelt bräuchte nun wirklich keinen neuen "Tatort", keine neuen Ermittler und keine neuen Fälle mehr. Übersättigung mit als Unterhaltung aufbereiteten fiktionalen und echten Verbrechen in "True-Crime"-Formaten hat dazu geführt, dass wir den gewaltsamen Tod bloß als Amüsement wahrnehmen. Das mag ihm Schrecken und Stachel nehmen, resultiert aber in Gewöhnung und Abstumpfung.
Beim neuen HR-"Tatort" aus Frankfurt ist die Fundamentalkritik an "True Crime" gleich mit eingebaut. Doch gerade in diesem Handlungsstrang fällt die Auftaktfolge "Dunkelheit" leider qualitativ ab, denn der sensationslüsterne Influencer, der die Angehörige eines Serienmörders und ihr Kind stalkt, ist eine Kopfgeburtsfigur.
Zum Glück stört das den zeitkritischen Aufriss des neuen HR-"Tatort" mit dem herausragenden Duo aus Melika Foroutan als leitende "Cold-Case"-Ermittlerin Maryam Azadi und Edin Hasanovic als ihr neuer Mitarbeiter Hamza Kulina nur wenig. Das Spiel beider Darsteller ist so intensiv wie glaubwürdig. Das mag auch daran liegen, dass die Backstorys ihrer Charaktere autobiographisch gefärbt zu sein scheinen. Zu viel Nähe kann auch in die Hose gehen. Hier aber wird von beiden die Balance von sichtbarer Emotionalität und erkenntnisnotwendiger Distanz nicht nur getroffen, sie wird sogar transparent gemacht. Große Kunst.
Zu sehen ist Frankfurt am Main wieder neu. Frankfurt ist hier das Lokal an der Ecke, das nach verlorener Heimat schmeckt - mit der besten serbischen Bohnensuppe. Frankfurt ist hier die Zufluchts-Wohnung von Hamzas traumatisierter Mutter Emina (Gordana Boban), eine Wohnung wie ein halbdunkles Zwischenreich der Lebenden und der Toten. Eine Zeit- und Lebenskapsel, in der so lange Dunkelheit herrschen soll, bis das Schicksal von Hamzas in Srebenica vermisstem, ermordetem Bruder nicht aufgeklärt ist.
Frankfurt ist hier der Ort, wo die blitzgescheite Dunkelheitsanalytikerin Maryam in einem Nebenraum ihrer nur von künstlichem Licht erhellten "Cold Case"-Kellerabteilung alte Akten hortet, Zusammenhänge herstellt und Muster erkennt. Beide Ermittler gehen in "Dunkelheit" gleich in medias res. Um Spannung für zukünftige Folgen aufzubauen, dichtet man ihr eine missgünstige Vorgesetzte an (Judith Engel), wird er wegen interner Ermittlung in ihrem Team "zwischengeparkt". Zwei Einzelgänger, aber nicht aus Prinzip, sondern der Umstände wegen.
Beide, die als Kinder aus Iran und aus Bosnien als Verfolgte nach Deutschland kamen, wuchsen offenbar als Hinterbliebene auf und sind auch irgendwie Hinterlassenschaft. Die Beschäftigung mit der Aufkläruung sogenannter Altfälle hat für beide ein Element der Selbstermächtigung und ist - so könnte man zumindest den Schluss dieser Premiere sehen - Beginn möglicher Heilung.
Die hier, im Zufluchtsort Frankfurt, verhandelten Fälle spielen mit dem "True-Crime"-Genre, um selbst möglichst true-crime-kritisch zu erscheinen. Zwei echte Fälle nimmt "Dunkelheit" sich vor. Sie geschahen bezeichnenderweise im Umland. In der Auftaktfolge ist ausgerechnet Frankfurt der Safe Space, die Sadisten wohnen in Suburbia wie in Höchst. Die Ermittlungen drehen sich zunächst um den boulevardesk betitelten "Säurefassmörder". Als nach dem Tod eines ehrbar scheinenden Mannes seine Tochter die Garage ausräumt, entdeckt sie Fässer mit weiblichen Körperteilen. Verbindungen werden hergestellt zu der - bis heute ungelösten - Ermordung und Verstümmelung eines 13-Jährigen, der auch in der Realität als Untoter immer noch durch zahlreiche Podcasts geistert.
Dem "Tatort" geht es vor allem um die Angehörigen der Opfer schrecklicher Verbrechen und die Weiterlebenden. Es gelingt ihm tatsächlich, Sadistisches deutlich zu machen, ohne es darzustellen, gezeigt wird auch der überlebende Vater des getöteten Jungen als gebrochener Mann (Martin Feifel). Dunkelheit und Licht als Metapher der Aufklärung: Dieser "Tatort"-Ansatz dreht sich um "Cold Cases" unter Vermeidung von "True Crime" und stellt die Notwendigkeit der Ermittlung mit großen zeithistorischen Bezügen ins Zentrum. Das kann im besten Fall atemberaubend werden. Die Auftaktfolge weist den Weg.
infobox: "Tatort: Dunkelheit", Regie: Stefan Schaller, Buch: Senad Halibasic, Stefan Schaller, Erol Yesilkaya, nach einem Konzept von Stefan Hafner und Thomas Weingartner, Kamera: Yunus Roy Imer, Produktion: Sommerhaus Filmproduktion (ARD/HR 5.10.25, 20.15-21.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 05.10.2025 14:45
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KHR, Tatort, Schaller, Halibasic, Yesilkaya, Hafner, Weingartner, Hupertz, BER, NEU
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