Ausgestochen - epd medien

07.10.2025 10:30

Zum Auftakt ihrer neuen Talksendung bei NTV hatte Pinar Atalay Bundeskanzler Friedrich Merz zu Gast. Doch der war einen Tag zuvor bereits bei ihrer Kollegin Caren Miosga gewesen. Atalay setzte zwar andere Schwerpunkte als Miosga, aber der Klimawandel war bei beiden kein Thema.

Pinar Atalays neue Talkshow bei NTV

Bundeskanzler Friedrich Merz im Studio von "Pinar Atalay"

epd Das ist dumm gelaufen für Pinar Atalay: Zum Auftakt ihrer neuen Talkshow beim RTL-Nachrichtenkanal NTV hatte sie den Bundeskanzler eingeladen - wahrlich kein schlechter Gast für eine Premierensendung. Die Pressemitteilung dazu wurde am 24. September veröffentlicht. Am 2. Oktober kündigte dann allerdings die ARD-Programmdirektion an, dass Friedrich Merz (CDU) am Vorabend von "Pinar Atalay" bereits bei "Caren Miosga" zu Gast sein werde. Die Chance auf eine Sendung mit Merz wollte sich Atalays Ex-Kollegin bei den "Tagesthemen" offenkundig nicht entgehen lassen. Kein feiner Zug, aber nun sind beide halt Konkurrentinnen. Und so lieferten aktuelle Merz-Aussagen aus der Miosga-Sendung tagsüber bereits einigen Nachrichtenstoff, während Atalays Premiere am selben Abend zum faden zweiten Aufguss zu werden drohte.

Das wurde sie dann in Teilen auch: Merz konnte seine Aussagen zu Bürgergeld und Grundsicherung oder zum Dissens zwischen Union und SPD beim Thema Wehrpflicht praktisch wortgleich wiederholen. Erneut wurde seine Rede am Einheits-Feiertag bemüht. Natürlich spielten auch die jüngsten Drohnen-Überflüge, der Krieg im Nahen Osten und die hohen Umfragewerte der AfD wieder eine Rolle. Merz' 180-Grad-Wende vom scharfzüngigen Oppostionsführer und Ampel-Ankläger zum kompromissbereiten Kanzler, der die Sozialdemokraten sachte kritisiert, aber nicht allzu sehr verprellen möchte, wurde hier wie dort aktenkundig.

Die Stimmung bein den Leuten ist mies.

Sogar die gedeckten Farben des "Pinar Atalay"-Vorspanns muteten wie eine "Caren Miosga"-Variante an. Der Buchstabensalat an den Wänden und die seitenverkehrte Sitzanordnung bildeten dann eine etwas andere Studioanmutung.

Auch sonst gab es Unterschiede, nicht nur weil kein Publikum anwesend war: Klugerweise versuchte sich Atalay nicht erneut daran, aus der Rede des mit seinen Tränen kämpfenden Friedrich Merz in der Münchner Synagoge "menschelndes" Kapital für die eigene Sendung zu schlagen. Das ging bei Caren Miosga gerade noch gut, weil die zugewandte Art der Moderatorin ungekünstelt wirkt, weil sie eine Atmosphäre für einen auch mal humorvollen Schlagabtausch schafft und damit auch ein persönliches Gespräch ohne Peinlichkeit möglich macht, sogar vor Publikum.

Atalay setzte außerdem in dem Themen-Rundumschlag, den letztlich beide Sendungen anboten, andere Schwerpunkte. "Die Stimmung bei den Leuten ist wirklich mies", stellte sie zu Beginn forsch fest und konfrontierte Merz nicht nur mit seinen schlechten Umfragewerten, sondern auch mit den Zahlen zum Arbeitsplatzabbau in der Industrie. Eine größere Rolle spielte auch das Verhältnis zu Russland und Wladimir Putin."Putin mal anrufen?", fragte sie forsch und entlockte dem Kanzler Aussagen über die "ziemlich harte Auseinandersetzung" mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban beim europäischen Gipfel in Kopenhagen.

Keine Fragen zum Klimawandel

Das Einhaken und Nachfragen gelang Atalay jedoch nur selten zielführend. Während Miosga zum Beispiel das Merz'sche Eigenlob über sinkende Asylbewerberzahlen als Ausweichmanöver erkannte und sofort abwürgte, wählte Atalay eine andere Strategie: Sie ließ Merz gewähren, widersprach halbherzig ("Zahlen gingen ohnehin runter") und verpasste dennoch - ebenso wie Miosga - die Gelegenheit, den Kanzler auf die knapp 2.000 in Pakistan festsitzenden Afghanen anzusprechen, denen eigentlich zugesichert worden war, in Deutschland aufgenommen zu werden. Man hätte zum Beispiel mal fragen können, ob die Bundesregierung mit Taliban-Vertretern auch über deren Schicksal verhandelt. Stattdessen fragt Atalay nur schlapp und etwas naiv: "Geht das mit denen?" Sie interessierte sich aber nicht wirklich für konkrete Aussagen von Merz zu den Gesprächen mit den Taliban.

Erschütternd ist weiterhin, dass nicht einmal in Sendungen, die sich ausschließlich dem Bundeskanzler und einem ganzen Bündel politischer Themenfelder widmen, vom Klimawandel die Rede ist. Nicht in einem einzigen Nebensatz. Pinar Atalay sprach Merz zwar auf das Verbot von Verbrennermotoren in Neuwagen ab 2035 an. Auf sein Plädoyer für "Technologieoffenheit" folgte aber keine kritische Nachfrage. Das Versprechen, "persönliche, mutige und tiefgehende Gespräche" zu führen, konnte sie bei der Premiere nicht einlösen. Mit einem etwas müden Gag mithilfe Künstlicher Intelligenz ging die Sendung zu Ende, nämlich mit der Frage an Perplexity: "Glaubst Du, Friedrich Merz geht jemals in den Ruhestand?"

Caren Miosga dagegen konnte noch mit einer unterhaltsamen Schnellfragerunde für Resonanz im Nachrichtenzirkus sorgen, auch zu Themen wie Veggiewurst und dem Videoschiedsrichter beim Fußball. Punktsieg für die ARD.

infobox: "Pinar Atalay", Talkshow, Regie: Salomon Mukherjee (NTV, 6.10.25, 20.15-21.00 Uhr und bei RTL+)



Zuerst veröffentlicht 07.10.2025 12:30

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KNTV, RTL, Atalay, Gehringer

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