09.10.2025 07:55
ZDF-Fernsehfilm "Von uns wird es keiner sein"
epd So etwas denken sich nur Fernsehleute aus: In einer deutschen Schule tragen im Chemie-Unterricht alle Schüler blütenweiße telegene Kittel und die höhere Lehranstalt ist technisch so gut ausgestattet und intern vernetzt, dass man sie hacken und auf allen Leinwänden und Bildschirmen in diversen Räumen gleichzeitig ein Video abspielen kann. Das rätselhafte Video scheint eine Selbstmordwarnung - respektive Erpressung - zu enthalten: Irgendwer möchte vom Rest der Welt innerhalb von fünf Tagen gefunden und getröstet werden.
Was andere Lehrer des Gymnasiums für einen weinerlichen Streich und "kryptischen Nonsens" halten, hält der selbst eher depressiv wirkende Lehrer Ritchie Ludger (Sabin Tambrea) für unbedingt ernstzunehmen. Auch die Schüler, die offenbar Hesses "Unterm Rad" gelesen haben, sind beunruhigt, allen voran eine kurz vor dem Abi stehende Viererclique bestehend aus Waldi, Julia, Tom und Mina (Lukas von Horbatschewski, Mina-Giselle Rüffer, Kosmas Schmidt und Derya Akyol): "Naja, von uns wird's keiner sein", sagt Julia. Fernseherfahrene Zuschauer wissen: höchstwahrscheinlich doch.
Im Fernsehfilm beginnt die "Jagd" auf den Depressiven. Das heißt, es beginnt die recht schematisch wirkende Vorstellung des privaten Lebensumfelds der vier Schüler und des besorgten Lehrers. Dabei zeigt sich, kein bisschen überraschend: Unter jedem Dach ein Ach! Minas Problem ist der manisch-depressive Vater, der seine Tabletten nicht nimmt. Mina muss ihren Vater und kleinen Bruder bemuttern. Psychisch stabil wirkt das parentifizierte Mädchen trotz seiner Last.
Vulnerabel scheint dagegen der verhaltensauffällige Tom, dessen Schwester Selbstmord beging. Von den Eltern wurde das selbst im engsten Familienkreis verheimlicht und als Unfall dargestellt. Ebenfalls schwer angeschlagen ist Lehrer Ritchie. Er hatte schon mal eine behandlungsbedürftige Depression, deshalb kennt er die Schulpsychologin, die die Direktorin zu Hilfe geholt hatte, um sich abzusichern (Stefanie Reinsperger als Selma Dagostino).
Die Moral der Geschichte: Depressionen muss man ernst nehmen. Es hilft, sich zu offenbaren und sich von anderen Menschen helfen zu lassen, gegebenenfalls in einer Klinik. Der Film läuft beim ZDF im Rahmen des Programmschwerpunkts "Psychisch stark - Wege aus der Depression". Im Abspann werden die an dieser Stelle üblichen Hinweise gegeben, Hilfsorganisationen werden genannt, weil man spätestens seit dem jungen Werther weiß: Von der medialen Thematisierung von Suiziden, und sei sie noch so gut gemeint, lässt sich leider mancher inspirieren. Ob "Disclaimer" gegen dieses traurige Phänomen tatsächlich helfen? Andererseits: Das Themenfeld Depression und Selbstmord totzuschweigen, ist auch keine Lösung.
Dieser Film steht in öffentlich-rechtlicher "Problemfilm-Tradition". Dazu gehört heutzutage, dass Lehrer Ritchie schwul ist und die Jugendlichen nicht durchweg "biodeutsch" aussehen. Dagegen ist nichts zu sagen, ganz im Gegenteil. Dennoch hat man beim Zusehen das Gefühl, man nähme gerade bei Arte oder im ZDF an der Redaktionskonferenz teil und Tagesordnungspunkt drei würde aufgerufen: Diversitätsprüfung.
Manches wirkt ungereimt. Einerseits soll die Schulzentrum-Reihenhaus-Kulisse des Films deutsche Normalität darstellen. Andererseits ist das Beton-Schulzentrum älteren Datums in Sachen Video, Displays und Netzwerk derart auf Stand, wie es hierzulande leider gar nicht "normal" ist.
Und last but not least: Muss man, wenn man einen Film über Suizid macht, traditionelle Spannungselemente wie "Wer war es" und "noch fünf Tage und dann..." bemühen? Producer Bernd Fehm von der Produktionsfirma Warner Bros. ITPV bekennt sich im Pressetext angenehm offen dazu, dass seine Firma vor allem "Expertise im konventionelleren und kommerzielleren TV-Umfeld" mitbringt. Kongenial findet er daher die Ergänzung durch den Koproduzenten Chromosom-Film mit Arthouse-Expertise und "tiefem Gespür für sozialrelevante Themen". Ja? War das wirklich eine "kongeniale Ergänzung"? Vielleicht bleibt doch jeder Schuster besser bei seinen Leisten.
infobox: "Von uns wird es keiner sein", Fernsehfilm, Regie: Simon Ostermann, Buch: Lukas Flasch, Kamera: Johannes Greisle, Produktion: Warner Bros. ITVP Deutschland, Chromosom Film (Arte-Mediathek/ZDF seit 6.10.25, Arte, 17.10.25, 20.15-21.45 Uhr, ZDF, 20.10.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 09.10.2025 09:55
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Ostermann, Flasch, Kaiser
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