09.10.2025 10:09
Aus der Jury des Grimme Online Awards
epd Kaum Innovation, starke Themen, aber in der Umsetzung noch Luft nach oben: So lässt sich der Eindruck der Jury des Grimme Online Awards vom diesjährigen Nominierungspool zusammenfassen. Sogenannte Scrollytelling-Formate haben sich über die Jahre müdegescrollt, und Tiktok und Instagram sind 2025 nun wirklich keine neuen, innovationsträchtigen Ausspielkanäle mehr. Podcasts und klassische Video-Formate kommen für den Preis nur infrage, wenn sie dezidierte Onlinebezüge haben.
So konzentrierten sich die Diskussionen weniger auf Technologie und Innovation, sondern eher auf kluge Konzepte, gut aufbereitete Themen, die passgenau ausgespielt werden, auf umfangreiche Recherchen, übersichtlich und verständlich vermittelte Informationen und nicht zuletzt eine ansprechende visuelle Aufbereitung.
Bei der zweitägigen Jurysitzung in Marl Ende August wurde über die Preisträgerinnen und Preisträger in den drei Hauptkategorien und über den Spezial-Preis entschieden. Für den Sonderpreis Künstliche Intelligenz war eine separate Jury zuständig. Die Jury konnte sich dem Urteil der Nominierungskommission "Krise frisst Innovation" und der Kritik an mangelnder Experimentierfreude in der Branche ohne Zögern anschließen. Die Kommission hatte dankenswerterweise aus den etwa 500 Einreichungen die 25 nominierten Formate zusammengestellt.
Thematisch deckte der Nominierungspool ein breites Spektrum ab: Gesellschaftspolitisch relevante Themen waren Femizide und Gesundheit, Rechtsextremismus und Polizeigewalt, Leben mit Behinderungen, die deutsche Migrationsgesellschaft, Wahlen und die Arbeit des Bundestags. Gesundheitswissen und geschichtliche Themen zur DDR und der NS-Zeit hatten ebenso ihren Platz wie die Lage in Gaza und die Auseinandersetzung damit.
Beim Blick auf die Plattformen fiel auf, dass der Korridor hier mit Fokus auf Instagram, Tiktok und Youtube recht schmal war. Thematisch waren etwa Angebote zu Auswirkungen und Voranschreiten der Klimakrise unterrepräsentiert, besonders im Verhältnis zu ihren verheerenden Auswirkungen und der Dringlichkeit des Themas. Soziale Themen wie der angespannte Wohnungsmarkt oder das angeschlagene Rentensystem waren nicht vertreten, genauso wenig wie Themen rund um den Umgang mit digitalen Technologien.
Gaming hingegen scheint eine zunehmend größere Rolle zu spielen. Das zeigte sich in diesem Jahr noch nicht auf inhaltlicher Ebene, aber bei der Konzeption einzelner Formate, wie etwa der interaktiven Graphic Novel "Herbst 89" oder dem politischen Bildungs-Game für Schulklassen "Deine Stimme".
Der Blick auf die ausgezeichneten Formate zeigt: Nach der starken Dominanz historischer Themen im vergangenen Jahr gibt es in diesem Jahr ein deutlich gemischteres Feld. Mit drei Auszeichnungen überzeugten besonders viele Angebote in der Kategorie Wissen und Bildung. Die "Barrierebrecher" füllen mit ihrem Format auf verschiedenen Kanälen eine publizistische Lücke und nutzen die Möglichkeiten des Internets auf vorbildliche Art, um hautnahe und aufrüttelnde Einblicke in den Alltag von Menschen mit verschiedensten Behinderungen zu geben. Dabei liegt der Fokus auf Dingen, die Politik und Gesellschaft besser machen sollten.
Als "Gynaekollege" klärt Mertcan Usluer über den menschlichen Körper - vor allem über gynäkologische Gesundheit - auf. Ohne großes redaktionelles Team im Rücken bildet er mit seinem Instagram-Kanal ein Gegengewicht zu all dem Halbwissen und den Falschinformationen, die zu dem Thema kursieren. Auf sensible und gleichzeitig eindringliche Weise und mit klarer Sprache schafft er Bewusstsein für Missstände und zeigt Alternativen auf.
Ähnliches gelingt dem Tiktok-Kanal "Know & Grow": Mit seinen aufwendig produzierten Videos erreicht der Medizinstudent und Fitnesstrainer Dale Kientopf durch unterhaltsames und gut recherchiertes Debunking zu Fitness- und Gesundheitsmythen eine Zielgruppe, an die klassische Medien kaum noch herankommen. Bedenklichen Social-Media-Trends und teils gefährlichem Halbwissen setzt er studienbasierte Erkenntnisse entgegen, die er verständlich aufbereitet. Rechercheprotokolle mit Verweisen auf seine wissenschaftlichen Quellen liefert er gleich mit.
Im Bereich Kultur und Unterhaltung konnte das gamifizierte Geschichts-Format "Herbst 89" über die Proteste in der Endphase der DDR in Leipzig überzeugen. Mit schöner visueller Gestaltung, einer Vielfalt an Perspektiven und spielerischen Elementen leistet das Angebot des Deutschen Historischen Museums einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsvermittlung im Netz. Der Fokus liegt auf den Faktoren, die das Ende der DDR zu einer friedlichen Revolution machten. Die comichafte Gestaltung und der Ansatz, deutsch-deutsche Geschichte auf gamifizierte Weise multiperspektivisch zu vermitteln, konnten die Jury überzeugen.
Der Instagram-Kanal "Little Monsters" des WDR zeigt Betroffenen von sozialen Ängsten, dass sie nicht allein sind. Hier entsteht ein grafisch liebevoll gestalteter und mit psychologischem Fachwissen unterfütterter Raum für Austausch, gegenseitige Unterstützung und Akzeptanz für Gefühle und Gedanken, die in der Öffentlichkeit sonst kaum besprochen werden. Die Hosts leben selbst mit sozialen Ängsten und nehmen ihr Publikum mit in ihre Gedankenwelten. Ergänzt durch Erfahrungen aus der Community und psychologische Einordnungen entsteht ein rundes Format.
Der Podcast "Parlamentsrevue" bekommt den einzigen Preis in der Kategorie "Information". Mit Liebe zum Detail und auf zugängliche Weise nimmt Sabrina Gehder ihre Hörerinnen und Hörer mit in die Plenardebatten des Bundestags. Mit großem individuellem Engagement schafft sie es, die Parlamentsarbeit nachvollziehbar darzustellen und Informationen zugänglich zu vermitteln. Sie gibt unterhaltsame und sehr informative Einblicke in kleinteilige, aber keineswegs unbedeutende Entwicklungen im Bundestag, die im medialen Nachrichtenrauschen teils untergehen.
Dabei bindet Gehder viele Details zur Arbeitsweise und Organisation des Bundestages ein, die die Parlamentsarbeit sehr anschaulich machen und ermutigen, sich zu beteiligen, selbst zu recherchieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Mit einem "Spezial"-Preis würdigt die Jury die akribische und unermüdliche Arbeit des Instagram-Kanals "Femizide stoppen". Lilly und ihr Team machen damit seit 2021 die Dimension von Morden an Frauen aufgrund ihres Geschlechts sichtbar. Der Auslöser dafür war sehr persönlich: der Femizid an einer Freundin und ihrem Sohn. Indem sie dieses Problem grundsätzlich betrachten - und nicht nur, wenn die Taten von Menschen ohne deutschen Pass begangen werden -, füllen sie eine mediale Lücke.
Ein zweiter Spezial-Preis geht an die Microblogging-Plattform Mastodon, stellvertretend für die Idee des Fediverse. Der Verbund unabhängiger Netzwerke, die etwa Alternativen zu X, Instagram, Youtube und Co. bieten, besinnt sich auf das ursprüngliche Versprechen des Internets zur freien Vernetzung. Mit offenen Protokollen und Open Source bricht dieses "förderierte Universum" die kommerzielle Idee von Plattformen als "walled gardens" unter Kontrolle großer Tech-Konzerne, auf die sich Medien und Öffentlichkeit zunehmend konzentrieren. Die Jury hat sich für diese Auszeichnung auch als Zeichen gegen Plattformautoritarismus in gesellschaftlich und politisch angespannten Zeiten entschieden.
Es gab viele weitere Beiträge mit wichtigen Themen, die Anerkennung verdienen, etwa zum Krieg in Gaza, zur NS-Geschichte, Rechtsextremismus, Polizeigewalt, Krankheiten, Klimawandel oder Migration. Der Jury fehlte es am Ende für eine Auszeichnung mit dem Grimme Online Award im Vergleich zu anderen Angeboten teils an Übersichtlichkeit, an onlinespezifischer Aufbereitung oder an thematischer Tiefe.
Debattiert wurde auch über die Signale, die mit den Auszeichnungen gesetzt werden, und über Überlegungen, inwiefern eine thematische Ausgewogenheit im Preisspektrum berücksichtigt werden sollte und kann. Nach zwei Tagen intensiver und konstruktiver Diskussion im Grimme-Institut wurde über die acht ausgezeichneten Formate dennoch mit großer Einigkeit abgestimmt.
Copyright: Foto: privat
Darstellung: Autorenbox
Text: Nora Frerichmann ist Redakteurin beim epd-Landesdienst West.
Zuerst veröffentlicht 09.10.2025 12:09 Letzte Änderung: 09.10.2025 12:17
Schlagworte: Medien, Auszeichungen, NEU
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