Ein leerer Sockel - epd medien

11.10.2025 09:10

13 Jahre lang haben Jens Becker und Dietmar Ratsch für ihre Reportage "Die Einheit ist eine Baustelle" das Projekt Einheitsdenkmal in Berlin begleitet. Ihr Film ist eine amüsante Bestandsaufnahme dessen, was passiert, wenn der Wille zum historischen Symbol in Deutschland auf die Wirklichkeit trifft.

RBB-Reportage "Die Einheit ist eine Baustelle"

Johannes Milla (links) und Sebastian Letz, Architekten, Planer und Kreativdirektoren des "Einheitsdenkmals" präsentieren das Modell in Berlin

epd Zwei, drei Jahre wollten die Journalisten Jens Becker und Dietmar Ratsch das Projekt "Einheitsdenkmal" begleiten, bis zur Einweihung. Das war der ursprüngliche Plan. Daraus wurden schließlich 13 Jahre und ein überaus unterhaltsamer Film, an dessen Ende ein leerer Sockel steht, während die Stahlkonstruktion, die eigentlich auf dem Sockel stehen sollte, noch immer unvollendet in einer großen Montagehalle in Nordrhein-Westfalen herumsteht. Eine Einweihung jenes Denkmals, dessen Errichtung Ende der 1990er von einer Gruppe ehemaliger DDR-Bürgerrechtler initiiert und 2007 vom Bundestag beschlossen wurde, war auch am 35. Jahrestag der deutschen Einheit nicht in Sicht.

Offiziell trägt das Denkmalprojekt den Titel "Bürger in Bewegung". Aus einem Wettbewerb ging 2008 der Entwurf der Stuttgarter Kreativagentur Milla & Partner als Sieger hervor. Die Vision: eine begehbare Stahlkonstruktion, eine flache Schale, die von jenen, die sie betreten, in Bewegung gesetzt werden kann - wie eine Waage oder eben eine Wippe, weshalb das Projekt bald bündig "Einheitswippe" tituliert wurde.

Ein umkämpfter Ort

Aber wie das so ist, wenn der deutsche Wille zum historischen Symbol auf die Widrigkeiten deutscher Realität trifft, fingen damit die Probleme erst an: Nach fast zehn Jahren Diskussion, ob wir überhaupt so ein Denkmal brauchen, wurde endlich ein Standort gewählt, und zwar die "Schlossfreiheit", der Platz zwischen dem einstigen Hohenzollern-Schloss und der Spree, ein symbol- und geschichtsträchtiger, immer wieder umkämpfter Ort. Und natürlich machen lange Vorbereitungs- und Planungszeiten jede ursprüngliche Kostenkalkulation zunichte. Wegen gestiegener Kosten stoppte 2016 erst der Haushaltsausschuss des Bundestags das Projekt, danach der Berliner Senat. Und dann entdeckte der Naturschutzbund (NABU) auch noch, dass im künftigen Denkmalsockel die Wasserfledermaus nistet.

Mit der Klärung der Fledermausfrage im Jahr 2020 wird eilig ein symbolischer Spatenstich anberaumt, bereits unter dem Vorzeichen des nächsten Ungemachs in Gestalt des Corona-Virus: Beim öffentlichen Spatenstich werden schon improvisierte Stoffmasken getragen, das Land verfällt ins lockdown-gebremste Schneckentempo. Zwei Jahre später beginnt der Ukraine-Krieg, mit ihm kommt die Inflation, nicht nur der Stahl wird teuer ...

Historische Gewölbe im Untergrund

Beckers und Ratschs Reportage erzählt von all den Widrigkeiten: Hier das Einheitsdenkmal, das als Modell so einfach und leicht wirkt, und der Enthusiasmus seiner Kreativerfinder. Dort die reale Welt mit komplizierten Statik-, Materialspannungs-, Materialermüdungs- und Gründungsproblemen, mit strengen Prüfberichten, Denkmalschutz- und Baubehörden, mit Barrierefreiheits- und Sicherheitsanforderungen, mit Fledermaus und historischen Gewölben im Untergrund, mit Finanzierungslücken und dem Streit darum, wer die Mehrkosten nun tragen muss.

In 75 Minuten Sendezeit verfolgen die Autoren ab 2018 chronologisch die Ereignisse mit erzählerischen und dokumentarischen Rückblenden. Zu Wort kommen Beteiligte ebenso wie unbeteiligte Beobachter. Man sieht und hört die Kreativdirektoren Sebastian Letz und Johannes Milla, die Ex-Bürgerrechtler Wolfgang Thierse und Günter Nooke als Initiatoren, die Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters, den Projektleiter Petar Božić, den Maschinen- und Stahlbauer Richard Rohlfing, den Fotografen Maurice Weiss, der den Bau seit Jahren fotografiert, den Architekturkritiker und Historiker Nikolaus Bernau.

Dann stecken wir jetzt so richtig fest.

Man sieht Kai Wegner, wie er sich (noch in seiner damaligen Rolle als baupolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) vehement für die schnelle Realisierung des Denkmals einsetzt, und kann sich den Rest dazudenken: Der heutige Regierende Bürgermeister schlägt sich vor allem mit Haushaltskürzungen herum.

Weil die Autoren all das aus einer gesunden Distanz betrachten, weil sie eher protokollieren denn werten, entsteht ein hübsches, höchst kurzweiliges Kaleidoskop aus Meinungen, Wertungen und pragmatischen Erwägungen. Wie auf einer Bühne treten die Figuren auf und eröffnen die Spannungsfelder durch ihre Kommentare selbst. Man sieht die Alten vom "Verein Historisches Berlin", die gern ihr heiles kaiserliches Stadtbild zurückhätten und gegen die Standortwahl für das Denkmal protestieren. Man sieht die ebenso gealterten Ex-Bürgerrechtler, die irgendwann im Bundestag angekommen waren und nun endlich ihr Einheitsdenkmal haben wollen. Man sieht den genervten Richard Rohlfing, der über Material, Zeit und Kosten redet statt über Kunst. Man sieht den Fotografen Maurice Weiss, der darüber nachdenkt, wie sinnvoll nationale Denkmäler sind und schulterzuckend anmerkt: "Dann stecken wir jetzt so richtig fest."

All das ist höchst amüsant. Und vielleicht ist der Status quo - ein leerer Sockel ohne Denkmal und eine unvollendete Stahlkonstruktion in Bielefeld - das eigentliche, das treffende Denkmal für eine deutsche Einheit, die ihren Ursprung schon fast vergessen hat. So fern scheinen heute die Ereignisse von damals und so unwirklich der ganze Denkmalstreit.

infobox: "Die Einheit ist eine Baustelle - Vom Werden und Nichtwerden eines Denkmals", Reportage, Regie und Buch: Jens Becker, Dietmar Ratsch, Kamera: Dietmar Ratsch, Produktion: Indifilm (RBB/BR/MDR/NDR/SWR/WDR, 1.10.25, 22.30-23.45 Uhr, ARD-Mediathek seit 1.10.25)



Zuerst veröffentlicht 11.10.2025 11:10

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRBB, Reportage, Becker, Ratsch, Steglich

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