Ungleich vereint - epd medien

13.10.2025 09:30

Die ZDF-Dokumentation "Einigkeit, Verdruss und Freiheit - Wo stehen wir im Osten?" überzeugt durch Gespräche auf Augenhöhe mit Ostdeutschen. Die Autorin fragt, ob wir zu wenig auf das schauen, was erreicht wurde.

ZDF-Dokumentation "Einigkeit, Verdruss und Freiheit - Wo stehen wir im Osten?"

Petra Peterhänsel im VEB Automobilwerk Eisenach. Heute leitet sie das BMW-Werk in Leipzig.

epd Werden die Menschen im Osten wirklich nicht gehört? Für diese Dokumentation von Birgit Wärnke zumindest gilt das Gegenteil: Die aus Brandenburg stammende Reporterin, die sich dem Thema schon mehrfach gewidmet hat, lässt ausschließlich Menschen zu Wort kommen, die im Osten leben oder dort zumindest geboren und aufgewachsen sind. Ihr gelingt es, Gespräche auf Augenhöhe zu führen, vielleicht weil sie, was die Herkunft betrifft, als Ihresgleichen erkannt und deshalb anerkannt wird.

Elefant im Raum

Wieder einmal ist die AfD der sprichwörtliche Elefant im Raum. Wärnke interviewt keinen einzigen AfD-Politiker, aber versucht hartnäckig, AfD-Wähler zu identifizieren und zum Reden zu bringen. In dem 129-Einwohner-Kaff Niederbösa in Thüringen, wo bei der Bundestagswahl 62,5 Prozent die AfD gewählt haben, gelingt ihr das Kunststück, die Frauen des Dorfes beim Treffen im Bürgerhaus miteinander ins Gespräch zu bringen. "Sonst reden sie wenig über Politik, sagen sie noch", bemerkt die Autorin, und es wäre interessant zu erfahren, welche Wirkung die Dreharbeiten auf die Dorfgemeinschaft gehabt haben.

Aufschlussreich auch die Szenen, in denen sich Wärnke unerschrocken ins maskuline Getümmel beim jährlichen Simson-Treffen in Zwickau stürzt. Die alte DDR-Moped-Marke Simson hat sich zum Kultobjekt entwickelt und wird dort vier Tage lang vornehmlich von jungen Männern abgefeiert. Während die DDR-Flagge weht, Mopeds und andere Fahrzeuge über das staubige Partygelände knattern, fragt die Autorin immer wieder nach Lebensgefühl und politischer Einstellung. Sehr entschieden bestätigt ein junger Mann, dass ihn die Regenbogenfahne mehr stören würde als der Hitlergruß. 80 bis 90 Prozent wählten hier AfD, behauptet ein anderer. Tatsächlich haben bei der Bundestagswahl 43,6 Prozent der Männer zwischen 18 und 24 Jahren im Osten die in Teilen rechtsextreme Partei gewählt.

Nicht falsch, aber auch nicht neu

Die Diagnosen, die zwischendurch Prominente wie die Schauspielerin Christiane Paul, Regisseur Christian Schwochow, der unvermeidliche Gregor Gysi und die Autorin Valerie Schönian beisteuern, sind weder falsch noch neu. Gerne hätte man allerdings dem Soziologen Steffen Mau länger zugehört, der dem Osten unter anderem "Veränderungserschöpfung" attestiert und zugleich mit einer angenehmen Gelassenheit über den beiderseitigen "Verdruss", wie es im Titel heißt, zu sprechen versteht. Die Einheit müsse gar nicht vollendet werden, sagt er. Sie sei vielmehr "ein permanenter Prozess", der auch in 100 Jahren niemals beendet werden müsse. Mau fasst die Lage ebenso kurz wie prägnant zusammen: "Wir sind ungleich vereint."

Und natürlich ist "der Osten" in jedem Film über den Osten auch ein Konstrukt der Autoren und Autorinnen. Wärnke hat sich für eine extrem kontrastreiche Klammer entschieden, mit der sie ihre 45-minütige Bestandsaufnahme kurz vorm Einheits-Feiertag zusammenhält: Wie kostümierte Gespenster aus der Vergangenheit versammeln sich zu Beginn die alten Kämpfer des DDR-Militärs, um gemeinsam mit dem russischen Botschafter am sowjetischen Ehrenmal in Berlin der Toten des Zweiten Weltkriegs zu gedenken.

Man fragt sich aber doch, warum die Autorin Typen wie Wolfgang Herzig, einem ehemaligen Oberst der Nationalen Volksarmee (NVA), derart viel Raum einräumt. Entlarvend ist freilich nicht nur dessen nostalgische DDR-Verklärung, sondern auch, dass Herzig auf eine Frage zum Ukraine-Krieg die russische Propaganda nachplappert: Das sei eigentlich kein Krieg, "das ist ja eine militärische Spezialoperation."

Was wurde erreicht?

Der Schlussakkord ist den Musikern von Feine Sahne Fischfilet und ihrem Festival "Wasted in Jarmen" vorbehalten. Wenn Sänger Jan "Monchi" Gorkow, den "Faschos" schon mehrfach angegriffen haben, lässig durch sein Dorf radelt, soll das wohl auch ein Zeichen sein: Seht her, ich kann mich in meiner Heimat noch frei bewegen. Dass es dazu Zivilcourage braucht, ist allerdings deprimierend.

Am Ende stellt die Autorin die rhetorische Frage: "Schauen wir vielleicht zu wenig auf das, was erreicht wurde und worauf es wirklich ankommt?" Der Einwand scheint berechtigt - und fällt nicht nur auf Wärnkes eigenen Film, sondern auf die Medien insgesamt zurück, die sich verständlicherweise ungern nachsagen lassen, Dinge schönzureden. Und dabei zugleich in die Falle tappen, immer wieder über die AfD zu reden - und sie damit auch groß zu machen.

infobox: "Einigkeit, Verdruss und Freiheit - Wo stehen wir im Osten?", Dokumentation, Regie und Buch: Birgit Wärnke, Kamera: Martin Kobold, Felix Korfmann, Nikolai Sevke, Markus Schmidt, Produktion: Offen & Kundig (ZDF-Mediathek, seit 30.9.25, ZDF 30.9.25, 20.15-21.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 13.10.2025 11:30

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Dokumentation, Wärnke, Gehringer

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