14.10.2025 08:11
ARD-Reality-Show "Werwölfe - Das Spiel von List und Täuschung"
epd Wenn in einem Dorf mit 13 Bewohnern jeder versichert, er sei ein Dorfbewohner, leider aber kein Lügendetektor aus einstigen Daily-Talk-Zeiten vorliegt, mit dem die drei gefräßigen Lügner, die Werwölfe unter den Bewohnern, enttarnt werden könnten, müssen andere Mittel her, um List und Täuschung aufzudecken. Darum geht es in "Werwölfe", dem zuvor bereits im französischen Fernsehen gespielten "Spiel von List und Täuschung", dessen zwölfteilige deutsche Adaption nun vollständig in der ARD-Mediathek veröffentlicht ist.
Die Aufmerksamkeit, die dieses auf dem bekannten Karten-Rollenspiel "Die Werwölfe von Düsterwald" basierende Format schon vor der Veröffentlichung erfahren hat, war groß. Das Bekanntwerden der Adaptionspläne überraschte: Meint die ARD die Sache mit dem Erreichen junger Zielgruppen im Internet etwa ernst? Das beliebte, bislang im Privatfernsehen verortete Genre des Reality-TV könnte - hier als strategisches Rollenspiel - junge Menschen an die Mediathek heranführen, die sie bislang nicht nutzten, weil RTL+ und Netflix womöglich ansprechendere Unterhaltungsformate im Programm haben als das, was die ARD zwischen glattgebügelter Samstagabendshow, durchformatierter Quizshow und nach Relevanz strebender Satireshow an nonfiktionalem Entertainment zu bieten hat.
Ob das Kalkül aufgeht, wird sich zeigen. Die zwölf Folgen wurden seit dem 25. September nach und nach veröffentlicht, seit dem 9. Oktober stehen alle Folgen online. Nach Angaben der ARD-Medienforschung wurden sie bis zum 11. Oktober 2,7 Millionen Mal aufgerufen. Die beiden ersten Folgen, die am 2. Oktober ab 22.58 Uhr im Ersten gesendet wurden, hatten 771.000 und 514.000 Zuschauer. Der Marktanteil lag für die erste Folge bei 5,4 Prozent, für die zweite bei 4,6 Prozent.
Nun also ein neuer Ansatz, zumindest für die Öffentlich-Rechtlichen. 13 selbst für Reality-Maßstäbe unbekannte Menschen spielen eine Dorfgemeinschaft, doch nur zehn von ihnen sind tatsächlich harmlose Dorfbewohner. Drei Spieler werden nachts zu Werwölfen und fressen einen Dörfler ihrer Wahl.
Damit aufwendige blutrünstige Szenen, in denen Menschen getötet werden, die Beitragszahler weder finanziell noch visuell verstören, belässt es die Fernsehshow wie schon ihre Vorlage beim Rollenspiel: Es wird nicht gebissen, nicht mal ein bisschen. Wer gefressen wird, entscheiden die Werwölfe beim gemeinsamen Werwolfsrat lediglich per Fingerzeig auf die Hütte desjenigen Spielers, der am nächsten Morgen nicht voller Erleichterung aus der Hütte treten wird, sondern aus dem Spiel ausscheidet. Symbolisiert wird dies dadurch, dass die Rollläden an seiner Hüttentür heruntergelassen werden.
Das Dorfsetting mit seinen 13 im Kreis angeordneten Tiny Houses ist minmalistisch, aber schick gestaltet. Die Holzhütten machen nicht nur in der Außenansicht etwas her, sondern dienen den Teilnehmern als Rückzugsort, als Raum für vertrauliche Gespräche in kleineren Runden und nicht zuletzt als mysteriös beleuchtetes Setting für genretypische Einzelinterviews, in denen die Kandidaten ihre Überlegungen und Gedanken in fast intimer Nähe in die Kamera sprechen. Aus diesen oft sehr redundanten Gedankengängen wird - in Kombination mit der Ezählerstimme von Michael Kessler - die Kommentierung des Spielgeschehens zurechtgeschnitten.
Davon macht die Sendung leider zu oft Gebrauch. Kaum eine Szene in der Show vergeht, ohne dass Erzähler Kessler den passenden Lektüreschlüssel vorträgt oder mehrere Kandidaten die in der Szene selbst noch verkniffene Reaktion im Einzelinterview als ausgesprochenen Kommentar nachreichen.
Diese Spieler-Statements lassen allerdings nicht immer Rückschlüsse darauf zu, ob der jeweilige Spieler zu den gefräßigen Werwölfen oder den unschuldigen Dorfbewohnern gehört. Denn anders als das konzeptionell recht ähnliche RTL-Format "Die Verräter - Vertraue Niemandem!" offenbart "Werwölfe" nicht schon gegen Spielbeginn die Identitäten der Werwölfe, sondern lässt einen Teil der Werwolfsgruppe unerkannt. Das Publikum weiß also nicht von vornherein, wer welche Rolle - zufällig und nicht etwa redaktionell festgelegt - zugewiesen bekommen hat.
Die erste Werwolfs-Identität offenbart sich in der Sendung vergleichsweise spät erst am Ende der ersten Folge, die anderen noch sehr viel später im Staffelverlauf. Um dennoch den nächtlichen Werwolfrat zeigen zu können, macht die Sendung die noch unbekannten Werwölfe unkenntlich. Ihre Stimmen werden verstellt und untertitelt, ihre Gesichter sind nicht zu sehen, die Kamera ist sehr unruhig.
Das ermöglicht es den Zuschauern mitzurätseln: Wer sind wohl die weiteren Werwölfe? Wer ist Dorfbewohner? Welches verdächtige Verhalten führt zu welchen Rückschlüssen? So groß das Ratepotenzial also ist, so schade ist es gleichzeitig, nicht alle Identitäten der Werwölfe zu kennen. Ohne diese Kenntnis der Rollenverteilung kann weniger gezielt auf die besonders interessanten Mechanismen des Spiels, darunter das Intrigieren, Taktieren und Lügen, geschaut werden.
Auch die Zuschauer können und müssen sich also Gedanken über die Teilnehmer und ihre Rollen machen. Zu den mehrheitlich als Normalos einzuordnenden Spielern gehören eine Soldatin aus Duisburg, ein Cyber-Security-Berater aus München und ein Psychologe aus Berlin. Mit dabei sind aber auch mehrere Content-Creator, die praktischerweise ihre eigenen Fans mit in die Mediathek führen können. Online thematisieren Rapper Lézan, Streamerin Josina und Youtube-Neuling Mario ihre Teilnahme bei "Werwölfe" ausgiebig auf ihren Social-Media-Kanälen, reagieren mitunter sogar stundenlang in Livestreams auf eine "Werwölfe"-Folge nach der anderen.
Über die Kandidaten erfährt man im Laufe der Sendung überraschend wenig. Untypisch für Reality-Shows spielen die Lebensläufe und Schicksale der Teilnehmer kaum eine Rolle. Das meiste erfährt man in den über die Staffel verteilten Einspielern, in denen die Mitspieler, die zwischen 29 und 44 Jahre alt sind, in aller Kürze vorgestellt werden. Dass auch ein Schauspieler, eine Pokerspielerin und ein Mentalist zum Cast gehören, ist zwar immer mal wieder Grund zur Besorgnis bei den Mitspielern, doch dem Zuschauer wird bald klar, dass Berufe, in denen Menschen mit verschiedenen Rollen und mentaler Stärke zu tun haben, bei diesem Spiel kein Garant für Erfolg sind. Im Gegenteil: Der gefürchtete Mentalist entpuppt sich mit der Zeit als ziemlich schlechter Spieler, weil er aus seiner im Staffelverlauf erspielten Bonusfähigkeit zwar exklusives Wissen erlangt, mit diesen Informationen aber nichts anzufangen scheint.
Die Bonusrollen, die in abwechslungsreichen und gemeinerweise von den Werwölfen leicht zu torpedierenden Aktionsspielen erspielt werden können, sind essenzielle Hilfsmittel für die Dorfbewohner, mit denen sie den Werwölfen auf die Schliche kommen können. Die Sonderrolle "Das kleine Mädchen" etwa ermöglicht das heimliche, aber riskante Beobachten des nächtlichen Werwolfsrats durch den Briefschlitz der eigenen Hüttentür. Die "Seherin" wiederum darf nachts die wahre Rolle eines Mitspielers erfahren.
All das sind nicht bloß Boni, die das sonst recht repetitive Spiel gleichermaßen auflockern und verkomplizieren, sondern zusammen mit der Dorfversammlung, bei der die Spieler mit Mehrheitsentscheid einen Mitbewohner verbannen, die einzigen Möglichkeiten, um die Werwölfe zu erkennen und loszuwerden. Bei den Dorfversammlungen kommt es in großer Runde zur Aussprache zwischen den Spielern - ein aufregender Moment voller Anschuldigungen und Reibereien. Doch da sich Werwolfrat und Dorfversammlung - anders als die "Verräter"-Pendants im RTL-Format - täglich abwechseln, macht das Werwölfe-Spiel leider weitaus langsamer Fortschritte.
Aus den Regeln und Abläufen ergeben sich, wie ein erfahrener Spieler bereits in der ersten Folge zusammenfasst, drei wichtige Ziele: Als Spieler will man erstens nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, zweitens nicht fälschlicherweise als Werwolf gesehen werden und drittens Werwölfe entlarven. Für die Spieler folgt daraus ein ständiges Abwägen zwischen Vertrauen und Misstrauen, zwischen offensiver und defensiver Spielstrategie, bis in die fulminante Finalfolge hinein, die mit schonungsloser Kritik an schusseligen Werwolfkollegen und mit der stark inszenierten letzten Dorfversammlung einen gelungenen Schlusspunkt setzt.
Die spannende Frage, die dem Spiel zugrunde liegt, ist, welche Gruppe im Vorteil ist: eine informierte Minderheit wie die Werwölfe oder eine uninformierte Mehrheit wie die Dorfbewohner? Für ein öffentlich-rechtliches Format wäre dies eine hochinteressante Fragestellung gewesen, die sich auch demokratietheoretisch oder psychologisch diskutieren lässt. Leider geschieht dies nicht. Die Show hat lediglich Augen für das Spiel, doch das wird angesichts der vielen Theorien, Anschuldigungen und Intrigen etwas langatmig.
Auch die Persönlichkeiten der Spieler geraten dabei aus dem Blick. Gern würde man im Laufe der Staffel über einige mehr erfahren. Doch "Das Spiel von List und Täuschung" ist so gesehen leider auch eines von Enttäuschung. Die Reality-Show der ARD hat zwar ein spannendes Spiel visuell gelungen aufbereitet, seine Möglichkeiten in zwölf Episoden aber längst nicht ausgereizt. "Werwölfe" kann dem Reality-Genre somit keinen öffentlich-rechtlichen Stempel aufdrücken, doch das Format bereichert das Unterhaltungsportfolio der ARD um eine dort bisher nicht vermutete Programmfarbe.
infobox: "Werwölfe - Das Spiel von List und Täuschung", zwölfteilige Reality-Show mit Michael Kessler, Regie: Michael Giehmann, Kamera: Andreas Schulze u. a., Produktion: ITV Studios Germany (ARD-Mediathek/BR/SWR/WDR, seit 25.9.25, ARD, 2.10.25, 22.50-23.50 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 14.10.2025 10:11
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Streaming, KARD, Reality-Show, Werwölfe, Giehmann, Respondek, Kessler
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