Melancholischer Essay - epd medien

15.10.2025 08:11

Seit 35 Jahren gibt es die DDR nicht mehr. Der ostdeutsche Autor und Filmemacher Andreas Goldstein beschreibt in seinem Dokumentarfilm "Mein Land will nicht verschwinden", wie er die Zeit der politischen Wende erlebte.

3sat-Dokumentation "Mein Land will nicht verschwinden"

Eine Straße in Ost-Berlin Ende der 1980er Jahre

epd "Jede Gegenwart wird Geschichte und jede Geschichte ein umkämpftes Feld." Dieser Satz fällt am Anfang des 90-minütigen Films von Andreas Goldstein, er setzt zugleich den Rahmen der Erzählung. Denn Goldsteins Film ist keine Reportage, sondern vielmehr ein melancholischer Essay, eine Reflexion des eigenen Erlebens der "Wendezeit". Und diese konsequente Subjektivität macht es so schwer, das Werk zu rezensieren, zumal den Autor (Jahrgang 1964) und die Rezensentin (Jahrgang 1967) biografisch das Aufwachsen in der DDR verbindet. Der Abgleich mit eigenen Erfahrungen und Reflexionen bleibt also nicht aus.

Goldsteins Thema ist der Transformationsprozess der ostdeutschen Gesellschaft, der Film setzt den Schwerpunkt auf die Jahre 1989 und 1990. Ausschnitten aus Sendungen des damaligen West- und Ost-Fernsehens setzt Goldstein eigene fotografische und filmische Aufnahmen jener Zeit gegenüber, etwa Schwarzweiß-Fotos der eigenen Wohnung - so kontrastiert er die individuelle, subjektive Erinnerung und Reflexion mit der medialen.

Eine bessere Gesellschaft

In der Auswahl der historischen Fernsehaufnahmen finden sich bemerkenswerte Momente, die im Rückblick umso stärkeres Gewicht haben, etwa die grotesk uferlosen Berichte der DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" von der Leipziger Messe 1989, wo Honecker sichtlich erfreut auf West-Unternehmer trifft - darunter auch Birgit Breuel und Detlev Rohwedder, die späteren Treuhandchefs.

In dem Film geht es auch um Philosophie. Goldstein, der zu dieser Zeit Kultur- und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin studierte und im Film wiederholt auf die Vorlesungen im "Wissenschaftlichen Kommunismus" zurückgreift (ein Fach, das auch seine Mutter an der Hochschule lehrte), will das nicht von sich abtrennen: "Meine Gefühle hausten nicht im Privaten, sie banden sich an das Ganze."

Natürlich spielt auch die Prägung durch das Elternhaus eine Rolle. Goldsteins Vater Klaus Gysi erlebte den 9. November 1918 als Schulkind, die Mutter emigrierte nach dem 9. November 1938, beide überlebten Faschismus und den Zweiten Weltkrieg und gingen in die DDR, "die für sie ein Gegenentwurf war", ein "Übergang in eine bessere Gesellschaft". Der Idealismus der Elterngeneration prägt.

Radikal subjektiv

Man kann einem Film, der so radikal subjektiv die eigenen Erinnerungen thematisiert, nicht vorwerfen, was er beschreibt oder was darin nicht vorkommt. Aber man kann schon fragen - im Abgleich mit den eigenen Erfahrungen - ob Andreas Goldstein als junger Mann in den 1980er Jahren nichts von den so offensichtlichen Widersprüchen im Land gesehen hat. Wie konnte es sein, dass schon junge Menschen, kaum älter als er selbst, in Stasi-Haft gerieten, nur weil sie dadaistische Graffiti gesprüht oder einfach eine andere Meinung hatten? Wie konnte man die so verstörenden Parallelen übersehen, die Militäraufmärsche und Paraden, die Fahnen und Fackelaufzüge, die ganzen Parolen?

Die Ausreisewelle im Sommer 1989, als immer mehr Menschen die DDR via Ungarn verließen, und die beginnenden Demonstrationen im Herbst 1989 erlebt Goldstein als außenstehender Beobachter. Doch er sieht darin "das eigentliche Bild", den "ersten Moment einer wirklichen Bewegung". Wenig später, als sich das DDR-Fernsehen der Misere der ostdeutschen Betriebe zuwendet, in denen die Arbeiter endlich Klartext sprechen dürfen, zum Beispiel über den Unsinn planwirtschaftlicher Vorgaben, heißt es: "Arbeiter kamen in einem kurzen Moment der Geschichte zu Wort." Und fast pathetisch wird angefügt: "Sie greifen nach der Verantwortung, klug und ernst und schön, auf dem Boden der Verhältnisse."

Ab diesem Punkt kippt der Film. Denn mit dem (individuellen) "Ich" und dem (sozialistischen, klassenbewussten) "Wir" ist das eine heikle Sache. "Die Arbeiter", die Goldstein zum Wir erklärt, die er aber schon bei der großen Demonstration vom 4. November wieder untergebuttert sieht, wollen im Fortgang der Ereignisse offensichtlich etwas anderes als der Filmemacher (die Ich-Person) oder auch die oppositionellen Bürgerrechtler - mehrheitlich nicht nur Demokratie, sondern auch D-Mark und Reisefreiheit. Aus dem Ruf "Wir sind das Volk" wurde sehr schnell der Ruf "Wir sind ein Volk" (was im Film ebenfalls ausgespart bleibt). Insofern hat Goldstein durchaus Recht mit seinem Befund: Der Mauerfall "beendete, was gerade erst begonnen hatte, die Verständigung (der ostdeutschen Gesellschaft) über ihre ureigensten Belange". Doch es klingt wie eine persönliche, bittere Kränkung: "Aus Demonstranten waren Schaufensterbummler geworden."

Besitzlose Ost und Besitzende West

Dann die letzte DDR-Wahl im März 1990, schon unter Einwirkung der westdeutschen Parteien: "Sie versprechen den Leuten ein Land, das es schon nicht mehr gibt, die Bundesrepublik der 60er und 70er Jahre." Auch dies bebildert mit spannenden Originalaufnahmen des DDR-Fernsehens. Goldstein moniert, dass auch bei den originären Ostparteien keine "Näherinnen und Schlosser" auf dem Podium sitzen, sondern "Ärzte, Physiker und Pfarrer". Dass der Autor, der sich hier quasi zum Sprecher "der Werktätigen" macht, selbst jener akademisch-intellektuellen Schicht angehört und wie diese (von ihm offenbar als abgehoben Beurteilten) gesellschaftliche Ideale verfolgt, während die Werktätigen ebenso offensichtlich nicht so scharf auf gesellschaftliche Experimente sind, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen.

Spätestens jetzt kippt der Film ins Plakative, auch wenn natürlich immer etwas Wahres darin steckt: der Westen, der im Mauerfall sofort seine Möglichkeit sah ("Sie griffen nach dem verlorenen Land"), die Treuhand, die zwecks "Marktbereinigung" abgewickelten DDR-Betriebe, die DDR als Absatzmarkt, die Wessis, die ihre Grundstücke zurückwollten. Hier die Besitzlosen Ost, denen langsam dämmert, dass sie sich womöglich verwählt haben, dort die Besitzenden West. "Sie kamen aus dem Westen, kauften günstig die Häuser und verdrängten die Leute, die Jahrzehnte hier gelebt hatten. Das süddeutsche Erbschaftsgeld sickerte in den Boden, aus dem die Bioläden schossen. Überhaupt war dauernd vom Essen die Rede." Ernsthaft?

Herausforderung zum Widerspruch

Die Klassenfrage wird nun ganz umstandslos zur Ost-West-Frage umgestrickt - und das ist ein bisschen zu simpel. Leider wird es auch larmoyant-generalisierend: "Es wunderte mich, wie Leute, die einen geraden Weg gegangen waren, nichts ausgestanden und nie etwas riskiert hatten, nun glaubten beurteilen zu können, wie andere Menschen ihre Lebenszeit verbracht hatten, und sich autorisiert fühlten, über Biografien wie die unsere urteilen zu können."

Da ist es wieder, dieses "Unser", das "Wir". Aber um die nüchterne Frage, ob es dieses beschworene Wir bis auf das Herkunftsland vielleicht nie gegeben hat, nur in retrospektiven Konstruktionen, darum drückt sich Goldstein. Vielleicht ist es die eigentliche Stärke dieses Films, dass er zum Widerspruch und zur Diskussion herausfordert.

infobox: "Mein Land will nicht verschwinden", Dokumentarfilm, Regie und Buch: Andreas Goldstein, Kamera: Jakobine Motz, Produktion: Goldstein Filmproduktion (3sat-Mediathek seit 18.9.25, 3sat/ZDF/RBB, 6.10.25, 22.25-23.55 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 15.10.2025 10:11

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, K3sat, KRBB, Dokumentation, Goldstein, Steglich

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