Medienberichte über ausländische Tatverdächtige "drastisch verzerrt" - epd medien

17.10.2025 09:30

Wenn Medien die Herkunft von Tatverdächtigen nennen, sind das zu über 90 Prozent ausländische Menschen. Mit der Realität, wie sie in Polizeistatistiken erfasst wird, habe das nichts zu tun, kritisiert eine Studie.

Tatverdächtiger in Handschellen (Archiv)

Berlin (epd). Die deutschen Leitmedien berichten viel häufiger über Gewaltdelikte von Ausländern, als es mit Blick auf Polizeistatistiken angemessen wäre. Zu diesem Ergebnis kommt eine Expertise des Journalismusprofessors Thomas Hestermann von der Hamburger Hochschule Macromedia, die der Berliner Mediendienst Integration am Freitag bei einem Pressegespräch vorgestellt hat. Noch 2014 habe die Herkunft von Tatverdächtigen in den Medien "fast keine Rolle" gespielt, sagte Hestermann, der die Studie seit 2007 betreut. Die aktuelle Auswertung aus dem ersten Quartal 2025 zeige mit Blick auf die tatsächlichen Zahlen eine "so drastische Verzerrung wie noch nie".

Laut Untersuchung nennt ein Viertel der Fernsehbeiträge, die über Gewalttaten berichten, die Herkunft der Tatverdächtigen. In 94,6 Prozent dieser Beiträge handle es sich dabei um ausländische Personen. Das Bundeskriminalamt weise jedoch in seiner Statistik für 2024 bei Gewaltverbrechen nur 34,4 Prozent der Tatverdächtigen als nichtdeutsch aus. "Ausländische Tatverdächtige sind damit in den Medien etwa dreifach überrepräsentiert", so die Schlussfolgerung der Studie.

Genannte Personen oft aus muslimischen Ländern

Ein ähnliches Bild zeige sich bei den Printmedien: Ein Drittel der Beiträge lege die Herkunft der Tatverdächtigen offen, in 90,8 Prozent seien diese nichtdeutscher Herkunft. Zudem stammten rund 70 Prozent der ausländischen Tatverdächtigen in den Medienberichten aus überwiegend muslimischen Ländern, heißt es weiter. Die Kriminalstatistik erfasse aus diesen Ländern aber nur 15,8 Prozent der Tatverdächtigen.

Die Professorin für Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, Gina Wollinger, verwies auf die absoluten Zahlen: Von rund 12 Millionen in Deutschland lebenden Ausländern erfasse die Kriminalstatistik für 2024 etwa 700.000 Tatverdächtige ohne deutschen Pass. "Das bewegt sich im einstelligen Prozentbereich", betonte die Soziologin. Über 94 Prozent der Ausländer in Deutschland würden nicht straffällig. Der Forderung, durch die Begrenzung von Zuwanderung auch die Kriminalitätsrate zu senken, fehle somit die Grundlage. Sie sei außerdem abwegig: "Niemand käme auf die Idee, Geburtenraten senken zu wollen, weil die Jugendkriminalität so hoch ist", sagte Wollinger.

Kritik an Herkunftsnennung durch die Polizei

Die seit 1. Oktober geltende Anordnung des Bayerischen Innenministeriums, in Pressemitteilungen der bayerischen Polizei grundsätzlich die Herkunft der Tatverdächtigen zu nennen, betrachtete der Journalist und Sprecher des Deutschen Presserats, Manfred Protze, kritisch. Neben den Qualitätsmedien, die sich per Pressekodex auf ethische Grundlagen verpflichteten, würden Polizeimeldungen von verschiedensten Gruppen auch auf den "ethikfreien" Sozialen Medien genutzt, "die kein Problem mit Sippenhaft haben". Das setze die klassische Presse unter Druck, die sich dann gegen den Vorwurf wehren müsse, Fakten zu verschweigen.

Außer in Bayern sind auch die Polizeibehörden in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein verpflichtet, die Herkunft von Tatverdächtigen in ihrer Pressearbeit zu nennen. Damit wolle man für Transparenz sorgen, heißt es aus den jeweiligen Innenministerien auf Anfrage des Evangelischen Pressediensts (epd). In Nordrhein-Westfalen hat Innenminister Herbert Reul (CDU) laut Sprecherauskunft "die grundsätzliche Nennung der Staatsangehörigkeit" im November 2024 begrüßt. Wie sich das im seit 2011 geltenden Medienerlass widerspiegeln soll, werde derzeit noch geprüft.

Berücksichtigt werden für die Studie die reichweitenstarken Fernsehsender ARD, ZDF, RTL, Sat.1, ProSieben, Kabel Eins, Vox und RTL Zwei. In die Analyse gehen außerdem die auflagenstarken Tageszeitungen ein: "Bild", "Süddeutsche Zeitung", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Welt" und "taz".

lbm



Zuerst veröffentlicht 17.10.2025 11:30 Letzte Änderung: 17.10.2025 14:39

Schlagworte: Medien, Migration, Kriminalität, NEU

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