Fremde und Selbstenfremdung - epd medien

22.10.2025 07:55

Viele Texte der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller beschäftigen sich mit Unterdrückung, Heimat und Heimweh, Aufbruch und Ankunft im Westen. Regisseur Erik Altorfer hat daraus in Zusammenarbeit mit ihr das Hörspiel "Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein" geschaffen.

Hörspiel "Die Welt schaukelt ..." nach Collagen von Herta Müller

Herta Müller 2018 bei einer Gedenkveranstaltung in Berlin

epd Herta Müller geriet im kommunistischen Rumänien der 80er Jahre in eine verzweifelte Lage. Ihre Entscheidung zur Emigration hat sie jedoch erst einmal hinausgezögert. "Ich sollte fort von hier und bleibe", bilanziert die 1953 geborene Autorin im autobiografisch grundierten Monolog des Hörspiels "Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein",gesprochen von Valery Tscheplanowa, die so die Vergangenheit vergegenwärtigt.

Müller, die aus einer deutschsprachigen Familie im Banat stammt und nach dem Sprachenstudium als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik arbeitet, weigert sich damals im Auftrag der staatlichen Überwachungszelle Securitate Kollegen zu bespitzeln, und wird deshalb systematisch selbst verfolgt. Bald wechselt ihr Alltag nur noch zwischen Verleumdungen am Arbeitsplatz und Polizeiverhören. Sie will nicht lügen, sie schweigt lieber manchmal. Doch diese Methode reicht nicht. Nach dem Verhör ist sie "niemandes Kind mehr" und "nicht mehr mit sich selbst verwandt". Nach jedem Verhör herrscht "Nacht im Kopf". Sie selbst ist fixiert auf fragmentierte Szenarien, wirre Träume und abgespaltene poetische Schreckbilder, die sie beengen.

Heimat und Heimweh

"Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein" ist nach einer bedenkenswerten Äußerung ihrer Mutter ein Titel, der auf Unmögliches zielt, wie Müller bald merkt. So versucht sie, im Kollektiv der Planwirtschaft zu überdauern, und zwar als Pionierin eines eigenen Lebenslaufs. Doch außer ihren Rechts- und Glücksvorstellungen wird ihr in der Diktatur schon die eigene Sprache, ihr Bewusstseinsindikator und ihr Handwerkszeug, missgönnt.

Das Hörstück, das um Unterdrückung, Heimat und Heimweh, Aufbruch, Ankunft im Westen, um Fremde und Selbstentfremdung kreist, hat der Schweizer Bearbeiter und Regisseur Erik Altorfer in Zusammenarbeit mit Müller aus mehreren Original-Collagen der Autorin zusammengesetzt. Diese Collagen sind eine eigentümliche Ausdrucksform der Autorin. Denn anders als sonst in ihrem selbstgeschriebenen Erzählwerk und in ihren Essays zerlegt sie nur hier sichtbar fremdes, irgendwo gedrucktes Wortmaterial, um gerade ihre persönlichsten Empfindungen auszudrücken, indem sie Wörter ausschneidet, sammelt, neu kombiniert und festklebt.

Angst und Zerrissenheit

Eine spannungsreiche Komposition von Martin Schütz umspielt diese montierten Reminiszenzen der Verfolgten, bewegt von Gesang, Sounds, Rhythmusinstrumenten und besonders Klavier. Gelegentlich singt Valery Tscheplanowa, zugleich Schauspielerin und Sängerin, wie ein Kind, das sich über unangenehme Situationen hinwegsetzt, manchmal hämmert Perkussion auf sie ein.

Jedenfalls ist zu hören, wie Angst Müller rundum quält. Beispielsweise verkehrt sich in verschobenen poetischen Metaphern ihr "Schutzengel", ein schwarzweiß-gestreiftes Zebra, zum "Schuttengel". Der Bezug zwischen Arbeitsfeldern und Person zerbricht. Oft fühlt sie sich zerrissen. "Der Mund lässt mich allein, wenn er mein Leben erzählt." Eine erleichternde Spiegelung ihrer Leiden findet sie in einem aberwitzigen Szenario: "Zum Ärger Moskaus bedient am Kiosk für die Totenscheine an einem lebensbedrohlichen Hubschrauberlandeplatz der kleine abgehalfterte Journalist, verheiratet mit einer Ballerina, die in Gedanken hie und da nahe bei ihm ist."

Aus den Mechanismen der Unterdrückung lernen

1987 verlässt Müller mit ihrem damaligen Ehemann, dem rumänisch-deutschen Autor Richard Wagner, ihr Herkunftsland. Zu welchen Bedingungen und auf welche Weise dies geschieht, klärt das Hörspiel nicht. Allerdings hat sie im Übergangslager Nürnberg wieder die Gelegenheit, unter der Bürokratie im Westen zu leiden, besonders unter der Frageweise der Beamten und der Diskrepanz zwischen ihrer Biografie und verschiedenfarbigen Antragsformularen, die lebensfern auszufüllen sind.

Trotz mancher bürokratischen Reglements kostet sie in Berlin bald die Freiheit aus, zu schreiben und zu publizieren, was sie will und wofür sie Verlage findet. 2009 erhält sie den Nobelpreis für Literatur. Sie hält Poetikvorlesungen an Universitäten. Nach ihren Erfahrungen analysiert sie die kommunistische Zensur, die in der Sprache den Hort der Individualität wittert und anprangert. "Das meiste, was ich über Freiheit und Würde gelernt habe, habe ich aus den Mechanismen der Unterdrückung gelernt." Immer wieder kann sie so Resonanz und neue Freunde finden. Auf die Frage, wie die Flüchtenden 1987 die Grenze gemeistert haben, antwortet sie souverän: "Wir sind befreundet mit 94 Grassamen."

infobox: "Die Welt schaukelt und du willst glücklich sein", Hörspiel nach Collagen von Herta Müller, Regie und Bearbeitung: Erik Altorfer, Komposition: Martin Schütz (DLF, 11.10.25, 20.05-22.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 22.10.2025 09:55

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, Müller, Altorfer, Lenz

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