23.10.2025 08:02
"Jenke.Experiment: Nicht ohne meine Handy" bei Joyn
epd Handynutzung kann süchtig machen, Smartphones im Klassenzimmer lassen die Aufmerksamkeitsspanne von Schülern stetig sinken: Kaum ein Thema ist in der Berichterstattung über Digitalisierung präsenter als die zunehmende Abhängigkeit von Social Media und Algorithmen. Im ProSieben-Dokutainment-Format "Jenke. Experiment" greift Jenke von Wilmsdorff diese Thematik auf seine Weise auf. Um die Auswirkungen des exzessiven "Herumdaddelns" auf dem kleinen Touch Screen anschaulich zu machen, geht der Moderator im Selbstversuch zwei Wochen offline.
Völlig neu ist dieses Format nicht, schon 2005 führte Morgan Spurlock in der US-amerikanischen TV-Serie "30 Days" telegene Selbstversuche durch. Bekannt wurde er durch den Dokumentarfilm "Supersize me", in dem er die Veränderung seines Körpers durch eine 30-tägige Fastfood-Diät protokollierte. Von Wilmsdorff wurde als deutscher Morgan Spurlock bezeichnet, was jedoch nicht ganz passend erscheint. Sein Ansatz ist weniger analytisch. Wenn er zu Beginn sein Smartphone demonstrativ in einen kleinen Käfig sperrt, so mutet dies ein wenig wie eine Zirkusnummer an.
Gemeinsam mit freiwilligen Probanden, darunter ein Bauingenieur, eine Rentnerin und eine Content-Creatorin, erprobt der Moderator die digitale Abstinenz. Unterfüttert wird sein Erlebnisbericht von einem Zahlen-Stakkato: "88 Mal pro Tag" schauen "wir" angeblich aufs Handy, das heißt, "alle elf Minuten". Macht insgesamt "acht Jahre im Lauf unseres Lebens".
Welche Auswirkungen dieser Dauerkonsum auf Benutzer hat, versucht die 90 Minuten lange Dokumentation aus unterschiedlichen Perspektiven zu erhellen. Zu Wort kommt ein Neurowissenschaftler, der "dem Gehirn bei der Arbeit zusieht", eine Psychologin, die die gebeugte Haltung beim Blick aufs Handy problematisiert, und der besorgte Psychiater einer Klinik für digitale Entziehungskuren: Der Blutdruck eines Patienten sei bei der Abgabe seines Handys auf 198 zu 84 gestiegen. Zitierte Schlagzeilen wie "Koreaner stirbt nach 49-stündigem Spiele-Marathon" sollen auch den Blutdruck des Zuschauers steigern.
Gezeigt werden unter anderem Szenen von Eltern, die vor der Firmenzentrale von Meta protestieren, weil ihre Kinder sich als Heavy User von Facebook buchstäblich zu Tode amüsiert haben. Nicht fehlen darf auch die häufig verbreitete Szene aus dem vergangenen Jahr, in welcher der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sich bei einer Anhörung im US-Senat öffentlich vor Eltern entschuldigte, deren Kinder möglicherweise durch Social-Media-Nutzung geschädigt wurden. Auch die damit zusammenhängende Hinterfragung der Algorithmen, welche die Verweildauer der Nutzer (und damit auch deren Suchtverhalten) steigern, ist nicht neu.
Jenke von Wilmsdorff präsentiert sich als bodenständiger Macher, der Tacheles redet. Natürlich reist der Moderator auch in die USA, um im Silicon Valley Spezialisten zu interviewen. Gezeigt wird auch, wie er durch einen dekorativen Hain mit alten Riesenmammutbäumen nahe Los Angeles joggt.
Das Thema Handysucht wird auf Interaktionen zwischen von Wilmsdorff und seinem Kameramann Jan Kreutz zugespitzt. In Anspielung auf die Botenstoffe, die bei der Handynutzung im Gehirn das Belohnungszentrum triggern, sagt der Moderator seinem langjährigen Freund: "Dopamin ist bei dir echt ein Thema." So soll das zuweilen abstrakte Thema emotional nachvollziehbar werden, doch die forcierten Streitszenen wirken zuweilen unfreiwillig komisch.
Während von Wilmsdorff sich eisern an die Spielregeln hält, greift der am Selbstversuch partizipierende Kameramann heimlich zum Tablet. Das Thema der Handy- und Social-Media-Sucht wird umgesetzt als sportlicher Wettkampf zwischen zwei Alpha-Männern.
Dennoch hat die Dokumentation ein ernst zu nehmendes Anliegen. Mit dem Fokus auf eine Schule, an der ein Handyverbot durchgesetzt wurde, kommt eine resolute Pädagogin mit spürbarem Anliegen zu Wort. Bei einem für die Kamera durchgeführten Konzentrationstest schnitten Schüler ohne Handy deutlich besser ab als die Kontrollgruppe, bei der das Smartphone griffbereit lag.
Kein Zweifel, "Jenke. Experiment. Nicht ohne mein Handy - Wie uns Social Media und Smartphones abhängig machen" liefert gute Anregungen - obwohl viele der angesprochenen Aspekte schon häufig aufgegriffen wurden. Zuweilen franst die Thematik aus. So kommt der Moderator einmal zu spät zum Interview, weil er sich ohne Handy-Navi im Straßengewirr von Los Angeles hoffnungslos verfährt: Hier wäre eine Gelegeneit gewesen, zwischen sinnvoller und sinnloser Internetnutzung zu differenzieren.
Nicht übersehen lässt sich zudem ein performativer Widerspruch: Um das Interesse des Fernsehzuschauers zu gewinnen, ist die Dokumentation sehr hektisch gemacht. Mit dem unterlegten Musikteppich mutet die Gestaltung der Sendung mitunter wie das telegene Pendant zu den lockenden Benutzeroberflächen an, deren suchterzeugender Faktor kritisiert wird.
infobox: "Jenke. Experiment. Nicht ohne mein Handy - Wie uns Social Media und Smartphones abhängig machen", Dokumentation, Regie und Buch: Jenke von Wilmsdorff, Katja Hahn, Kamera: Phillip Vogts, Jan Kreuz, Sebastian Tögel, Lukas Wunschik u.a., Produktion: SEO Entertainment (ProSieben, 20.10.25, 20.15-22.15 Uhr und bei Joyn)
Zuerst veröffentlicht 23.10.2025 10:02
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KProSieben, Dokumentation, Jenke, von Wilmsdorff, Riepe
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