Übergriffig - epd medien

25.10.2025 09:15

Als der NDR mitteilte, dass er das Format "Klar" fortsetzen wolle, aber ohne die Moderatorin Julia Ruhs, war die Resonanz in der politischen Sphäre groß. Die Ministerpräsidenten Daniel Günther und Markus Söder sprachen fast wortgleich von einem "schlechten Signal". Doch mit solchen Äußerungen untergraben Politiker das Fundament des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zu dessen Grundpfeilern die Staatsferne gehört, schreibt Norbert Schneider.

Wenn Politiker das Programm kritisieren

Julia Ruhs präsentierte drei Folgen des Formats "Klar" beim NDR

epd Der NDR hat sich im September von der Moderatorin der Sendung "Klar", Julia Ruhs, getrennt, einer Sendung, die in Kooperation mit dem BR entsteht. Gründe waren, kurz gesagt, unterschiedliche Auffassungen über journalistische Standards. So etwas kommt vor. In diesem Fall stellt sich freilich die Frage, weshalb der NDR Julia Ruhs als Moderatorin engagiert hat, die sich jetzt, passend zu ihrem Rausschmiss beim NDR mit einem Buch über "Linksgrüne Meinungsmacht" als "Kulturkämpferin" ("Süddeutsche Zeitung") stilisiert.

Doch für Julia Ruhs war diese Trennung nicht gewöhnlich. Um sie ungewöhnlich zu machen, hat sie den Vorgang erst einmal öffentlich gemacht, unter Anwendung einer vielfach bewährten apologetischen Methode, der Täter-Opfer-Umkehr. Sie hat sich damit eines bewährten Brandbeschleunigers für Polarisierungen aller Art bedient. Aus einer Mücke ist dadurch ein weißer Elefant geworden, der aus dem Porzellanladen in ein Glashaus umziehen musste, um sich vor den Steinen seiner Gegner zu schützen und vom Lob seiner Freunde zu zehren.

Kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit.

Zunächst waren es Unterstützer im Netz, die der gekündigten Verkünderin wie bei (zunehmenden) Kampagnen von rechts üblich, geholfen haben. Doch für die publizistische Temperatur sorgten nicht allein digitale Strippenzieher. Eine netzgesteuerte Kampagne kommt in der Regel erst in Schwung, wenn sie re-analogisiert wird, wenn sich an ihre Spitze Menschen setzen, die jeder kennt, in diesem Fall bekannte Politiker, Zustimmer und Ablehner.

Und die kamen dann auch. Von Sorge um Ruhs und den NDR getrieben, meldete sich als erster Verteidiger von Ruhs der Ministerpräsident von Schleswig Holstein, Daniel Günther (CDU): Dies sei ein "extrem schlechtes Signal", sagte er. Zwar gibt es im NDR-Rundfunkrat auch Mitglieder seiner Partei, die Kritik am Programm üben könnten. Aber was ist das gegen das Votum eines Regierungschefs? Günthers bayerischer Kollege Markus Söder blies in dasselbe Horn: "Das ist kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit, Pluralität und Toleranz im öffentlich-rechtlichen NDR."

Der BR hatte angekündigt, dass er die Zusammenarbeit mit Julia Ruhs fortsetzen wolle - was Wochen später den BR-Rundfunkrat nicht gehindert hat, vorsorglich fürsorglich seine schützende Hand über ihre Arbeit zu halten.

Eine Veranstaltung der Gesellschaft

Carsten Linnemann, ins Tun verliebt, schlug ein Einfrieren des Rundfunkbeitrags vor. Der Kulturstaatsminister des Bundes, Wolfram Weimer, sagte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirke "politisch linksgeneigt". Die Sender müssten aber Meinungsvielfalt und ein möglichst breites Spektrum abbilden. Und der Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, der Grüne Sven Lehmann sprach von "gelebter Programmfreiheit". Habe ich jemanden vergessen?

Es gibt nicht viele Sendungen, für die so viele prominente Politiker ihre sehr knappe Zeit geopfert haben. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen. Die politischen Parteien sind angemessen in den Gremien vertreten. Zu ihren Aufgaben gehört auch Programmkritik. Vor allem Bundespolitiker sollten bedenken, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Veranstaltung der Gesellschaft ist, nicht des Staates.

Den beiden Ministerpräsidenten mag man zugutehalten, dass sie die laut den Offenbarungen von JD Vance in Deutschland bedrohte Meinungsfreiheit schützen wollten. Aber damit korrigiert man einen Irrtum nur durch einen zweiten. Die Einlassung von Carsten Linnemann läuft auf so etwas wie eine Geldstrafe hinaus. Auch wenn er sich ärgert, bewacht er die falsche Tür. Strafzölle sind im Rundfunkrecht nicht vorgesehen. Und für die Höhe des Rundfunkbeitrags sind die Länder zuständig, nicht der Bund. Auch nicht der Kulturausschuss des Bundestages.

Distanz zwischen Staat und Rundfunk

Wolfram Weimer ist Staatsminister für Kultur. Er übersieht, dass er in öffentlichen Erklärungen immer mit der Autorität seines Amtes votiert, in diesem Fall auch noch zu einem Thema, für das er wirklich keine Zuständigkeit hat. Und er übersieht, dass die Rede von der Linksgeneigtheit den Boden für eine Verschwörungstheorie bereitet. Im ZDF gibt es seit seiner Gründung 1962, also seit 63 Jahren, von Karl Holzamer bis Norbert Himmler, nur Intendanten, die Mitglieder der CDU waren oder ihr zugeneigt sind. Haben sie wirklich unbemerkt einen Linksruck herbeigeführt?

Für alle Personen, die mit staatlichen Aufgaben befasst sind, ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon in seinem ersten Rundfunkurteil vom 28. Februar 1961 große Mühe gegeben, die Einflussmöglichkeiten des Staates und der politischen Parteien auf den Rundfunk ihrer möglichen Folgen wegen angemessen, das heißt im Sinne der Verfassung restriktiv zu bestimmen. Es hat dafür den Begriff der Staatsferne "erfunden". Ein Wort, das versucht, den Verhältnissen, die immer komplizierter sind als das nackte Recht, Rechnung zu tragen. Mit Staatsferne wird eine unvermeidliche Beziehung, aber zugleich eine unabweisbare Distanz zwischen Staat und Rundfunk unterstellt.

Die politischen Parteien, die weniger dogmatisch gesehen auch Staat sind, haben von Anfang an in ausreichendem Maß an der Rundfunkaufsicht mitgewirkt. Das oberste Gericht hat viele Jahre geschehen lassen, dass sie ihren Einfluss im Übermaß ausübten, vor allem mit einer parteipolitischen Dominanz bei Personalentscheidungen. Als Roland Koch in seiner Eigenschaft als Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates die Verlängerung des Vertrags von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im November 2009 verhinderte, sprach der Vertreter von ver.di im ZDF-Fernsehrat, Frank Werneke von einem "brachialen Versuch politischer Einflussnahme".

Wehret den Anfängern!

Folge dieser Personalentscheidung war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2014, in dem die Länder angewiesen wurden, die Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats verfassungskonform zu verändern. Das geschah zwar, doch bald sind die alten Mehrheiten durch den phantasievollen Einsatz von sogenannten Nahestehern wieder hergestellt worden.

Weil Staatsferne ein weicher Begriff ist, braucht es Politiker, die der Versuchung widerstehen, sich außerhalb der für Programm zuständigen Aufsichtsgremien, vorbei am Postulat der Staatsferne, trotz aller Empörung, trotz aller Zustimmung, zu denen sie im Zweifel in der Lage sind und vielleicht auch Gründe haben, das Wort zu ergreifen.

In den USA kann man beobachten, was passiert, wenn die Grenzen der Rundfunkfreiheit vom Staat definiert werden. Wenn der Staat damit beginnt, den Rundfunk selbst zu veranstalten. Wenn Public Broadcasting eingestellt wird. Wenn Sender ihr Programm verändern müssen, um weiter senden zu dürfen. Wenn Talkmaster vom Präsidenten persönlich gemobbt werden. In Deutschland kann man sich gegen eine Politisierung des Rundfunks noch zur Wehr setzen. Mit Argumenten. Und wenn sie nichts bewirken, mit Klagen. Der Weg zu einem Staatsfunk ist noch weit. Umso mehr gilt: Wehret den Anfängern!

Norbert Schneider Copyright: Uwe Völkner / Fox Darstellung: Autorenbox Text: Norbert Schneider ist Publizist und war von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen.



Zuerst veröffentlicht 25.10.2025 11:15

Norbert Schneider

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Medienpolitik, Meinungsfreiheit, NDR, Schneider Ruhs

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