26.10.2025 09:10
Hörspiel "Das große Leid, das kleine Leben" von Jovana Reisinger
epd Das Zeitalter der großen Talkshows, seien wir ehrlich, ist vorbei. Längst haben radikale Player verstanden, dass man Einladungen in die ihnen verhassten Sendeanstalten vor allem deshalb annimmt, weil man sie so schön als Videoschnipsel-Lieferanten für die eigenen Social-Media-Auftritte nutzen kann (genauso wie Reden im Bundestag). Die Sender wiederum wollen sich nicht vorwerfen lassen, zu canceln, und laden weiterhin ein. Manche Mitarbeitende tragen die geltenden Aufmerksamkeitsgesetze stoisch mit, bei sensibleren Naturen sorgt es für "großes Leid", für Kündigungen, Depressionen. Wenn Menschen sich abzappeln in ihren "kleinen Leben", hilft der Blick von außen, von oben. Da hilft Satire.
Die als "Gesamtkünstlerin" bekannte Schriftstellerin, Filmemacherin, Videokünstlerin und Hörspielautorin Jovana Reisinger hat sich ein satirisches Hörspiel über eine namenlosen deutschen Talksendung ausgedacht. Eine "intellektuelle Schriftstellerin" soll ins Studio kommen und vor dem weit angereisten Studio- und dem millionenfachen TV-Publikum über ihre prekäre Kindheit sprechen. Obwohl sie darüber gar nicht geschrieben hat. Aber hey, so eine Aufstiegsgeschichte wollen die Leute doch hören. Man diskutiert hinter den Kulissen, ob das wirklich so eine gute Idee ist; die auf ihre Moderatorinnen-Fähigkeiten sehr stolze Moderatorin sucht sich derweil in der Garderobe ein Kleid aus, das dem blendenden Aussehen der Autorin einigermaßen Paroli bietet.
Doch "die Intellektuelle" erscheint nicht. Ein paar hübsche inszenatorische Ideen hat Reisinger, um das Sich-Entziehen der Autorin auch akustisch fasslich zu machen: Immer, wenn deren Name genannt wird, fällt in der Nähe laut scheppernd ein Geschirrberg um. Man versteht im Lärm nicht, wer sie ist - ein schlauer Hinweis auf die Herrschaft der Identität über alle Diskurse.
Verspätet sich der Gast nur oder muss Ersatz organisiert werden? Jemand aus dem Publikum? Aus dem Orchester? Der joviale Produzent, die pragmatische Regisseurin, die selbstbesoffene Moderatorin und nicht zuletzt die Kaffee kochende Assistentin, deren zuckersüß gehauchtes, unterwürfiges "Ja" nur verdeckt, dass sie sich längst woanders bewirbt (sie ist "zu Höherem berufen"): Sie alle tragen statt Namen nur ihre Berufsbezeichnungen und versuchen in der aufkommenden Nervosität, sich zu profilieren, wenigstens nicht komplett zu versagen.
Das gerät nicht sonderlich spannend, so läuft es nun einmal im Journalismus. Da herrscht eigentlich immer Zeitdruck, und es steigen nicht immer die sanftesten Charaktere auf. Reisinger findet diese Vorstellung offenbar schon krass genug und stellt im Hörspiel die etwas naive Ausgedachtheit aus. Wie beim Kasperle-Theater das Krokodil, der Polizist und die Gretel kaspern sich hier die Moderatorin, der Produzent und die Assistentin ab. Flankiert von Leonhard Eisenachs und Balbinas Komposition, die einzelnen Sprechakten bisweilen buchstäblich ein paar Takte Geigen voranstellt, um Attitüden zu charakterisieren, könnte damit eine Art V-Effekt beabsichtigt sein: Vom Pförtner bis zur Moderatorin klingen die Sätze oft bewusst wie abgelesen, bei anderen wie eine peinliche Verlautbarung eines inneren Monologs voller Selbstlob.
Das Nicht-Authentische zu betonen, ist allerdings nicht neu. Statt durch diesen Kunstgriff Meta-Kritik zu üben, reproduziert Reisinger nur, wie sich ein "die Medien" beschimpfender Fernsehzuschauer den Arbeitsalltag und die Menschen in so einer Redaktion vorstellt: verachtenswert.
Niemand erwartet, dass eine auf Quoten angewiesene Fernsehsendung ein Hort empathischer, an Materiellem nicht sonderlich interessierter Teamplayer ist. Innerhalb ihres ermüdend flachen Befundes gelingen Reisinger zwar durchaus einige treffende Charakterskizzen. In Zeiten der Kampfbegriffe Identität, Meinungsfreiheit und Kulturkampf geht es in großen Medienhäusern sicherlich oft absurder zu, als man sich das ausdenken könnte. "Das große Leid, das kleine Leben" verschafft jedoch keine über naheliegende Vorstellungen hinausgehenden, überraschenden Einblicke. Das satirische Instrument, das groteske Fehlentwicklungen unterhaltsam aufspießen könnte, bleibt deshalb stumpf.
infobox: **"Das große Leid, das kleine Leben", Hörspiel, Regie und Buch: Jovana Reisinger, Komposition: Leonhard Eisenach und Balbina. (Deutschlandfunk Kultur, 19.10.25, 18.30-19.30 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 26.10.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF Kultur, Hörspiel, Reisinger, Mediensatire, Lutz
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