30.10.2025 08:55
Dokumentation "Linda Zervakis. Under Attack" bei Joyn
epd Der erste Auftritt von Linda Zervakis in ihrem neuen Doku-Format wirkt martialisch: In Kampfmontur, mit Sonnenbrille steht sie auf einem finnischen Militär-Schießplatz. Die ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin sagt: "Komm zu ProSieben, haben sie gesagt, da erlebst du was. Und jetzt soll ausgerechnet ich herausfinden, wie Krieg funktioniert?"
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist real und auch im NATO-Land Deutschland spricht man über eine Bedrohungslage. Ein halbes Jahr lang hat sich Zervakis bei der Bundeswehr umgesehen, hat erkundet, wie sich die Finnen schützen, die eine 1.300 Kilometer lange Grenze haben, und was eine Gruppe von 25 Deutschen in einer Turnhalle über die Kriegsgefahr und ihr Engagement denkt. Die Dokumentation ist eine Bestandsaufnahme der vielbeschworenen "Zeitenwende", sie spiegelt die widerstrebenden Gefühle und die Zerrissenheit in Deutschland beim Thema Militär wider.
"Einerseits kann und will ich mich an dieses Geballer einfach nicht gewöhnen", sagt Zervakis auf einem Bundeswehr-Schießstand, wo Reservisten das erste Mal "am scharfen Schuss" ausgebildet werden. Andererseits: "Wenn alle so drauf wären wie ich, dann könnten wir Putin ja gleich den Schlüssel zum Kanzleramt schicken." Beim Thema Wehrpflicht gibt sie zu, sie denke: "Hoffentlich finden sich genügend, die das machen. Was ist das für eine Scheiß-Einstellung?"
Auf einer Luftwaffenbasis in Rostock-Laage ertönt eine Alarmglocke, sofort starten Piloten zwei Eurofighter, um ein russisches Spionage-Flugzeug zu sichten. Gemeinsam mit schwedischen und polnischen Kollegen wird der Eindringling in internationalen Luftraum abgedrängt - für Oberst Björn Andersen ein Routine-Einsatz: "Die Profis machen ihren Job." Wenn es zum Ernstfall käme, wäre Deutschland die militärische Drehscheibe für die Einsätze in Osteuropa.
Das ist kein Hotel.
Doch trotz Sondervermögen und der steigenden Ausgaben für Verteidigung gibt es noch viel zu tun, meint Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte: "Die Bundeswehr ist eine dysfunktionale Organisation, durch Geld Reinkippen wird sie nicht effektiver." Man müsse an die Personalstruktur ran, Ämter auflösen und umdenken im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (KI) und Drohnen. Dass die Bundeswehr die Polizei rufen muss, wenn über ihrem Gelände Drohnen schwirren, ist für ihn ein Relikt aus der 30-jährigen "Pippi-Langstrumpf-Phase". Gefahren seien in der Bonner Republik verleugnet worden, "wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt".
Anders die Finnen. Dort macht man sich über den russischen Imperialismus keine Illusionen. In Finnland gibt es für die vielen Reservisten überall öffentliche Schießplätze. Für 4,8 der 5,5 Millionen Finnen gibt es Schutzräume, die anderen sollen kämpfen. Linda Zervakis geht in einen Bunker für 6.000 Menschen, 20 Meter unter der Hauptstadt Helsinki, der nebenbei als Sporthalle genutzt wird. Zivilschützer Tomi Rask erklärt, es gebe Luft und Wasser für 30 Tage, aber keine Küche: "Das ist kein Hotel."
Zu Hause stellt sich Zervakis ein Prepper-Set für den Notfall zusammen: Wasser, Toilettenpapier, Batterie-Radio, Kerzen und Müllbeutel - wenn die Toilettenspülung ausfällt.
Die 25 Deutschen, die Zervakis in eine Turnhalle eingeladen hat, äußern sich nachdenklich: "Das Schachfeld wird irgendwann zum Schlachtfeld", befürchtet eine Frau, doch die Hälfte der Befragten billigt die Entsendung von Kampftruppen nach Litauen. Aber selbst Soldat werden? Nicht "für die da oben", sagt ein Mann. Er verteidige nur seine Familie, sagt ein anderer. Trotzdem ist allen das geopolitische Risiko klar. Die USA ist für die meisten kein verlässlicher Partner, auch wenn man auf sie angewiesen ist.
Der Appell der Dokumentation: Vorsorge ist die beste Verteidigung. Linda Zervakis erkundet das sensible Thema, ohne eine politische Agenda auszurollen. Stets spürt man bei ihr wie bei den befragten Bürgern den Zwiespalt zwischen dem Wissen um die Bedrohung und dem persönlichen Unbehagen vor den Konsequenzen. Sie ist zwar von den Schießübungen angewidert, erkennt aber die Gefahren.
infobox: "Linda Zervakis. Under Attack. Wer Deutschland bedroht und wie wir uns wehren", Dokumentation mit Linda Zervakis, Regie: Thomas Lischak, Kamera: Chris Grewe, Tobias Liesche, Jannis Anderson u. a., Produktion: Nordend-Film (ProSieben, 27.10.25, 20.15-22.20 Uhr und bei Joyn)
Zuerst veröffentlicht 30.10.2025 09:55 Letzte Änderung: 30.10.2025 11:02
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, KProSieben, Dokumentation, Zervakis, Lischak, Dehler, NEU
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