31.10.2025 11:02
Ex-Verfassungsrichter Peter Müller über die Pressefreiheit
 
  Dass die Pressefreiheit ein besonderes Grundrecht ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung schon sehr früh betont. So heißt es im Urteil zur "Spiegel"-Affäre: "Die Pressefreiheit ist Wesenselement des freiheitlichen Staates. Sie ist unverzichtbar für die moderne Demokratie, weil sie Orientierung in der öffentlichen Auseinandersetzung schafft." Das macht deutlich, dass dieses Grundrecht eine Doppelnatur hat: Es ist nicht nur klassisches, individuelles Abwehrrecht, es ist auch eine institutionelle Garantie, der im demokratischen Gemeinwesen besondere Bedeutung zukommt.
Das Gericht spricht insoweit von einer dienenden Funktion, die darin besteht, dass die freie Presse die Breite der Informationen und Meinungen widerspiegelt und damit politische Willensbildung ermöglicht. Presse- und Rundfunkfreiheit, die ja nicht zufällig in der gleichen Bestimmung des Grundgesetzes genannt werden, sind Grundbedingung für die Erfüllung der Aufgabe, den Common Ground, die gemeinsame Grundlage für den demokratischen Diskurs zu schaffen.
Das Internet wird zunehmend zur Informationsquelle Nummer eins.
Presse und Rundfunk, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, erfüllen diese Aufgabe in sehr unterschiedlicher Weise. Hier die freie Presse, die privatwirtschaftlich organisiert ist und die Darstellung der Vielfalt im Wege der Außenpluralität gewährleistet. Dort der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der sich über eine Zwangsabgabe finanziert und Vielfalt im Wege der Binnenpluralität zu gewährleisten sucht. Nach der klassischen Vorstellung ergänzen sich beide Freiheiten dergestalt, dass die Pressefreiheit den Bereich des geschriebenen Wortes abdeckt, der Rundfunk demgegenüber die Bereiche des gesprochenen Worts und der bewegten Bilder.
Jetzt wissen wir alle, dass diese klassische Vorstellung ins Wanken geraten ist und nicht zuletzt durch die Digitalisierung die traditionelle Trennung verschwimmt. Es gibt einerseits weitreichende Konvergenzprozesse und andererseits auch eine fundamentale Veränderung des Informationsverhaltens der Menschen. Das Internet wird zunehmend zur Informationsquelle Nummer eins. Die verfassungsrechtlich vorgesehene dienende Funktion der Pressefreiheit ist dadurch aber nicht obsolet geworden.
Das Netz ist nicht, wie erhofft, ein Demokratiekatalysator.
Ganz im Gegenteil: Lieber Herr Welte, Sie haben ja schon die Stichworte genannt, die dies belegen. Wir leben in einer Zeit der Verschärfung des Wettlaufs der Systeme. Wenn Sie sich die letzten beiden Dekaden anschauen, dann ist die Demokratie dabei auf der Verliererstraße. Sie ist weltweit im Rückzug begriffen und in den demokratischen Gesellschaften selbst schwindet das Vertrauen. Das Netz ist nicht, wie erhofft, ein Demokratiekatalysator, sondern trägt eher zur Verschärfung der Probleme bei. Algorithmen sind demokratieblind. Die großen Plattformbetreiber haben kein Interesse an der Abbildung von Vielfalt. Mit Blick auf ihre ökonomischen Interessen sind sie eher darauf ausgerichtet, mehr vom Gleichen anzubieten.
Deshalb ist die Rolle, die der freien Presse und dem Rundfunk im demokratischen Diskurs zukommt, nicht weniger wichtig, sondern noch wichtiger als in der Vergangenheit. Und das wirkt zurück auf die Rolle des Staates mit Blick auf die Presse- und Rundfunkfreiheit. Stand in der Vergangenheit eher der Achtungsanspruch im Sinne eines individuellen Abwehrrechts, im Sinne der Abwehr von Eingriffen des Staates in die Pressefreiheit, im Vordergrund, muss mittlerweile verstärkt nachgedacht werden, welche Gewährleistungsverpflichtungen mit dem Verfassungsinstitut der Pressefreiheit verbunden sind, das heißt, in welchem Umfang der Staat verpflichtet ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es der freien Presse ermöglichen, ihre dienende Funktion in der Demokratie zu erfüllen.
Aus der staatlichen "Garantenstellung" folgen zunächst Regelungspflichten, etwa zur Abgrenzung der Tätigkeiten der Presse auch und gerade gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zu den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs in der Plattformökonomie. Daneben stellen sich Fragen nach Unterlassungspflichten des Staates, etwa dahingehend, dass er nicht als Wettbewerber der Presse auftreten darf, und nach Handlungs- und Unterstützungspflichten mit dem Ziel, die Möglichkeiten der Presse zu verbessern, den digitalen Wettbewerb zu bestehen und gleichzeitig ihrer dienenden Funktion gerecht zu werden.
Zu all diesen Punkten möchte ich wenige Anmerkungen machen. Ein Punkt, bei dem man sich fragen kann, ob dazu überhaupt etwas gesagt werden muss, ist die Frage der Unterlassungspflichten des Staates. Man sollte meinen, dass es für jedermann selbstverständlich ist, dass Artikel 5 des Grundgesetzes ausschließt, dass der Staat sich als Presseveranstalter betätigt. Dass dies nicht so ist, haben wir in der Vergangenheit leider erlebt. Zu erinnern ist etwa an die Wetterwarn-App. Gleiches gilt für die Auseinandersetzungen um das Gesundheitsportal.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verfassungsrechtlich hat der Staat natürlich das Recht, über die Wahrnehmung seiner Aufgaben zu informieren und die dabei notwendigen Informationen zu verbreiten. Aber die Produktion darüberhinausgehender Publikationen, die mit der Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben nicht unmittelbar verknüpft sind, ist ein Eingriff in die Pressefreiheit. Dieser kann durch Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) nicht gerechtfertigt werden und hat deshalb ausnahmslos zu unterbleiben.
Womit wir bei der Frage des regulatorischen Rahmens wären: Welche regulatorischen Aufgaben hat der Staat wahrzunehmen, um sicherzustellen, dass die Presse ihre institutionelle Funktion erfüllen kann? Ich möchte mit wenigen Anmerkungen zu der Frage der regulatorischen Abgrenzung von Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk beginnen. Auszugehen ist dabei vom Vorliegen einer eklatanten Wettbewerbsasymmetrie. Auf der einen Seite der beitragsfinanzierte Rundfunk. Rund neun Milliarden Einnahmen pro Jahr. Auf der anderen Seite die freie Presse, die sich selbst am Markt finanzieren muss. Es kann nicht sein, dass eine über eine Zwangsabgabe finanzierte Institution die damit verbundenen Möglichkeiten nutzt, um im digitalen Bereich in einen Verdrängungswettbewerb mit der freien Presse einzutreten. Dies zu unterbinden, ist staatliche Aufgabe. Gefordert sind die Länder, die für diese Frage zuständig sind.
Man hat das in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle versucht. Ich will vorweg eine Bemerkung in diesem Zusammenhang machen, bei der ich mir glücklicherweise selber treu bleiben kann. Wenn man sich schon für eine duale Struktur dergestalt entscheidet - hier freie Presse im Wettbewerb, da durch Zwangsabgabe finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk -, dann finde ich, ist es ein Gebot der Fairness, diese Unterscheidung konsequent durchzuhalten. Und dann kann es eigentlich nicht sein, dass der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk in dem Bereich wildert, den die Presse braucht, damit sie lebensfähig bleibt. Ich meine die Werbung.
Ich war Ministerpräsident eines finanzschwachen Landes und meine Rundfunkanstalt war, weil sie nicht viele Beitragszahler hatte, eine Rundfunkanstalt, die immer Finanzprobleme hatte und hat. Ich habe trotzdem damals schon die Auffassung vertreten, ein Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre eigentlich systemgerecht. Ich war damals nicht mehrheitsfähig, aber Politik ist ja das beständige Bohren dicker Bretter. Vielleicht kommen wir an diesem Punkt irgendwann zu dem, was aus meiner Sicht geboten wäre und was im Übrigen auch, was die Positionierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anbetrifft, im Wettbewerb mit den privaten Anstalten durchaus qualitative Vorsprünge begründen könnte.
Der zweite Punkt, der in diesem Zusammenhang anzusprechen ist, betrifft die Frage, in welchem Umfang es dem Rundfunk erlaubt werden darf, bei digitalen Angeboten presseähnliche Produkte in den Markt zu entlassen. Dass das nicht zulässig ist, ist eigentlich Konsens. Wir haben in der Vergangenheit entsprechende staatsvertragliche Regelungen gehabt, die aber nicht funktioniert haben. Deshalb gibt es im Moment offensichtlich die Bereitschaft der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten nachzubessern und digitale Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sehr viel stärker sendungsbezogen zu begrenzen. Das ist sicherlich wichtig und richtig im Sinne der verfassungsrechtlich vorgesehenen Aufgabenverteilung zwischen Rundfunk und Presse.
Dies wird zu heftigen transatlantischen Auseinandersetzungen führen.
Man muss nur aufpassen, dass man nicht Hintertüren öffnet, die die gute Absicht ins Gegenteil verkehren. Das betrifft etwa die Frage, wie wir mit dem Thema Breaking News umgehen. Das betrifft die Diskussion um die Faktenchecks. Wenn man den Weg der Abgrenzung geht, ist es im Interesse der Stabilisierung der dienenden Funktionen sowohl der Presse als auch des Rundfunks geboten, klare und stringente Lösungen zu schaffen, die es wirklich ausschließen, dass bei digitalen Angeboten der öffentlich-rechtliche Rundfunk gebührenfinanziert zum Wettbewerber der freien Presse wird.
Sicherlich schwieriger ist die Frage der Sicherung des fairen Wettbewerbs im Netz. Das ist, wie Sie eben eindrucksvoll dargestellt haben, überlebensnotwendig für die freie Presse. Ich muss das nicht wiederholen. Sie haben überzeugend ausgeführt, dass die Presse sich diesem Transformationsprozess stellt, dies aber nur von Erfolg gekrönt sein kann, wenn es gelingt, die digitalen Angebote der Presse in wirtschaftlich erfolgversprechender Weise zu platzieren. Und da kommt, auch das haben Sie bereits angesprochen, natürlich den Torwächterplattformen eine entscheidende Bedeutung zu. Wir werden in diesem Bereich, das ist jedenfalls meine feste Überzeugung, ohne Regulierung, und zwar ohne Regulierung, die über den bisher erreichten Stand deutlich hinausgeht, nicht auskommen.
Man darf aber keine Illusionen haben. Dies wird zu heftigen transatlantischen Auseinandersetzungen führen. Diese Fragen können allein national nicht geregelt werden, sondern bedürfen zumindest europäischer Regelung. Wenn die Europäische Union aber den aus meiner Sicht zu Recht eingeleiteten Weg vernünftiger Regulierung der Plattformen weitergehen will, wird sie auf den erbitterten Widerstand der neuen amerikanischen Administration treffen. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Vorstellung von Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten sich von derjenigen im Bereich der Europäischen Union traditionell unterscheidet. In den USA steht nicht die Meinungsfreiheit, sowieso nicht die Presse- oder Rundfunkfreiheit, sondern die Redefreiheit im Fokus. Freedom of Speech, das ist ein sehr viel weitergehender Anspruch.
Wir sind aufgefordert, die Kräfte zu bündeln.
Deutlich wird dies zum Beispiel bei der Frage, "Ist die Lüge verfassungsrechtlich geschützt?". Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist sie das nicht. In der amerikanischen Tradition ist es hingegen selbstverständlich, dass die Lüge verfassungsrechtlich geschützt ist. Und wir haben ja auch einen amerikanischen Präsidenten, der von diesem Recht intensiv Gebrauch macht.
Trotz des zu erwartenden Widerstandes glaube ich: eine wettbewerbssichernde Regulierung ist zwingend notwendig. Deshalb sind wir aufgefordert, die Kräfte zu bündeln, damit der Weg der Schaffung eines regulatorischen Rahmens zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs auf europäischer Ebene weitergegangen werden kann. Dabei gibt es zwei Zielrichtungen. Das eine ist die ökonomische, die wettbewerbsrechtliche, das andere ist die demokratieschützende.
Natürlich ist es ein legitimes Anliegen, dafür Sorge zu tragen, dass die Verbreitung illegaler Inhalte, dass die Verbreitung von Desinformation, von Missinformation, von Fake News im Netz unterbleibt. Das ist sicherlich ein heikles Feld. Man sollte aber in diesem Bereich nicht alles gleich radikal in die Ecke der Zensur stellen.
Da geht es nur um die Verfolgung und Löschung illegaler Inhalte.
Man kann hinsichtlich einzelner Regelungen des DSA (Digital Services Act) mit guten Gründen unterschiedlicher Meinung sein. Man kann insbesondere die Regelungen zu den vertrauenswürdigen Hinweisgebern, den sogenannten Trusted Flaggers, als verbesserungsbedürftig ansehen. Dies ist auch meine Meinung. Aber wenn dagegen massiv auch aus dem Bereich der Presse nach dem Motto polemisiert wird, da sollen Zensurapparate geschaffen werden, dann ist das meines Erachtens eine Umdrehung zu viel. Da geht es nur um die Verfolgung und Löschung illegaler Inhalte, um sonst nichts. Mit Zensur hat das nach meinem Dafürhalten nichts zu tun.
Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang zu sein, dass es eine Verständigung darüber gibt, dass bei allen Regelungen, die wir schaffen, um illegale Inhalte im Netz zu bekämpfen, am Ende nicht eine irgendwie geartete Form einer darüberhinausgehenden Inhaltskontrolle stehen darf. Es darf nicht zu einer neuen Form der Zensur kommen, egal wer sie ausübt. Es macht im Ergebnis keinen Unterschied, ob dies die Plattformen oder staatliche Institutionen sind. Unter dieser Prämisse ist es aber vernünftig, nach Strukturen zu suchen, die Desinformationen und die illegalen Inhalte aus dem Netz fernhält oder ermöglicht, diese wieder zu beseitigen.
Zweite Frage in dem Zusammenhang ist die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs. Die Problematik ist bereits dargestellt, auch darauf kann ich verzichten. Wir brauchen Regelungen - und da sind wir erst am Anfang des Weges -, die den diskriminierungsfreien Zugang zu den Plattformen ermöglichen, die die diskriminierungsfreie Verbreitung der Inhalte, die die Presse in digitaler Form liefert, ermöglichen, die das geistige Eigentum schützen und die Verfügbarkeit und Verwertbarkeit desselben gewährleisten.
Wir sind alle noch Suchende in diesem Feld.
Sicherlich ein zentrales Problem - und da scheint mir noch überhaupt kein vernünftiger Vorschlag auf dem Tisch zu sein, wie damit umzugehen ist -, ist die Frage der Künstlichen Intelligenz. Es kann nicht sein, dass die KI kostenlos auf Inhalte zugreift, sie leicht modifiziert und dann als eigenes Produkt vermarktet. Dagegen müssen Schutzwälle eingezogen werden, die diejenigen, die tatsächlich diese Inhalte generiert haben, schützen und damit die wirtschaftliche Verwertung dieser Inhalte durch die Urheber gewährleisten. Das ist nicht nur eine ökonomische Frage. Das ist jedenfalls aus der Sicht des Grundgesetzes auch eine Frage der Gewährleistung des demokratischen Diskurses und der Erfüllung der dienenden Funktion der Pressefreiheit auch im Netz.
Mir scheint diese Dimension des Problems noch nicht überall in der Politik angekommen zu sein. Und deshalb ist es sicher gut, wenn der Kanzleramtsminister heute da ist und sagt, er will sich das sehr sensibel anschauen. Ich finde, Politik hat verdient, dass man sie mit solchen Angeboten ernst nimmt, dass man nicht gleich derartige Angebote kritisch hinterfragt. Wir sind alle noch Suchende in diesem Feld und deshalb ist es gut, wenn die Zahl derer, die sich auf diese Suche begeben, größer wird.
Jede Maßnahme muss wettbewerbsneutral sein.
Neben den regulatorischen Anforderungen stellt sich auch die Frage, in welchem Umfang Handlungspflichten des Staates bestehen, um das Institut der freien Presse, so wie es verfassungsrechtlich geschützt ist, für die Zukunft wetterfest zu machen. Staatliche Leistungspflichten auf Grundrechte zu stützen, ist ein schwieriger Prozess. Vollkommen klar ist, dass bei diesen Leistungspflichten, soweit es um die Stabilisierung der Position der freien Presse im Wettbewerb geht, jedenfalls zwei restriktive Voraussetzungen gelten.
Erstens: jede Maßnahme muss wettbewerbsneutral sein. Es kann nicht sein, dass der Staat durch Fördermaßnahmen in den Wettbewerb eingreift. Dem steht der Artikel 3 GG, der Gleichheitssatz, wohl auch Artikel 12 und Artikel 14 GG entgegen. Zweitens: jede Form der Unterstützung darf nicht zur Möglichkeit des Staates führen, inhaltliche Beeinflussungen vorzunehmen. Jegliche Unterstützung muss inhaltsneutral erfolgen. Deshalb ist wahrscheinlich die Möglichkeit des Staates, einzelne Presseorgane zu unterstützen, verfassungsrechtlich stark beschränkt.
Anders ist es bei der Frage der Unterstützung und Stärkung der Branche insgesamt. Eine starke, handlungsfähige und wettbewerbsfähige freie Presse entspricht der Verfassungserwartung aus Artikel 5 GG. Und deshalb sind die Handlungsmöglichkeiten des Staates in diesem Bereich weit. Die Verfassung gebietet nicht bestimmte Strukturen und Organisationen. Die Verfassung gebietet auch nicht ein bestimmtes Steuersystem. Sie verbietet es dem Staat aber auch nicht, in diesen Bereichen zur Umsetzung der Vorgaben aus Art. 5 GG aktiv zu werden.
Ich möchte kurz auf die Debatte um die Mehrwertsteuer rekurrieren. Verfassungsrechtlich ist die Politik weitgehend frei. Verfassungsrechtlich kann sie diesbezüglich tun, was sie will. Bezogen auf die Äußerungen des Kanzleramtsministers möchte ich sagen: Mein Respekt vor Wirtshäusern im Schwarzwald ist zwar unbegrenzt, das ist sicherlich ein für die Demokratie wichtiger Ort. Trotzdem wage ich die Behauptung: Wenn man Milliarden hat, um die deutsche Gastronomie zu unterstützen, ist es schwer erklärbar, dass ein paar Millionen fehlen, um ein unverzichtbares Wesenselement freiheitlicher Demokratie, die freie Presse, durch eine Abschaffung der Mehrwertsteuer zu unterstützen.
Die freie Presse wird gebraucht, damit die Demokratie überlebt.
Ich stelle fest: Ich glaube, Artikel 5 GG bietet einen guten Rahmen, um der freien Presse auch in der Zukunft in unserer Staatsordnung, in unserem Gemeinwesen eine eigenständige, eine starke Stellung zu sichern. Er bietet die Möglichkeit, alles zu tun, was getan werden muss, damit die Presse ihrer dienenden Funktion in der Demokratie gerecht werden kann. Diese Funktion mit Leben auszufüllen, ist unsere gemeinsame Verantwortung. Da sind Sie als Verlegerinnen und Verleger gefordert. Da sind die Journalistinnen und Journalisten gefordert. Da ist die Politik gefordert.
Vielleicht sind aber auch die Rezipientinnen und Rezipienten gefordert. Wir gehen von der Vorstellung des mündigen Bürgers als Voraussetzung jedes demokratischen Gemeinwesens aus. Mündigkeit kann aber auch heißen, sich daran zu erinnern, was man an der freien Presse hat und bereit zu sein, dafür ein paar Cent zu zahlen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute, viel Erfolg. Die freie Presse wird nicht gebraucht, damit Verlegerinnen und Verleger sich wohl fühlen. Sie wird gebraucht, damit die Demokratie überlebt. Das ist die Erwartung unserer Verfassung.
dir
Zuerst veröffentlicht 31.10.2025 12:02
Schlagworte: Medien, Pressefreiheit, Dokumentation, Zensur, Müller
zur Startseite von epd medien