01.11.2025 10:15
Vox-Dokumentation "Asternweg - 10 Jahre danach"
epd Dokumentationen über soziale Brennpunkte wie den Asternweg in Kaiserslautern wurden häufig kritisiert, erfreuen sich im Privatfernsehen aber auch großer Beliebtheit. Inspiriert von der Langzeitbeobachtung "Asternweg - Eine Straße ohne Ausweg" 2015 bei Vox wurde unter anderem die RTLzwei-Produktion "Hartz und herzlich", deren Hauptreihe 17 Staffeln umfasst, dazu gibt es noch mehrere Spin-Offs. Konstanze Beyer, Programmdirektorin Factual & Doku von RTLzwei, hat diese Formate einmal als "imageprägendes Alleinstellungsmerkmal des Senders" bezeichnet.
Das Vorbild bei Vox, "Asternweg - Eine Straße ohne Ausweg", orientierte sich an dem großen Erfolg des BBC-Formats "Benefits Street" und wurde 2016 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Mit dem Zweiteiler "Asternweg - 10 Jahre danach" knüpfen die Macher nun an ihre 2015 begonnene Langzeitbeobachtung von Bewohnern dieses sozialen Brennpunkts in Kaiserslautern an.
Im Fokus stehen Stephanie Kallenbach und ihre sechs Kinder. 2015 wurde ihre damals siebenjährige Tochter Alina gefilmt auf ihrem ersten Schulweg, auf dem sie dem betrunkenen Vater auf der Treppe der Kneipe begegnete. Die Probleme, so deutet die Dokumentation in manchmal drastischen Bildern an, werden durch fehlende finanzielle Zuwendungen verstärkt.
Nach Ausstrahlung der ersten Staffel waren viele Zuschauer ergriffen von der Armut der porträtierten Menschen. Eine bis heute funktionierende Hilfsbereitschaft organisierte sich. So hat der von Katharina Welsh-Schied mitgegründete Asternweg-Verein sieben heruntergekommene Wohnungen im Asternweg 35 komplett saniert sowie mit Warmwasser und Heizung ausgestattet. Allerdings weigerte sich die hoch verschuldete Stadt Kaiserslautern, einen vergleichsweise geringen Geldbetrag aufzubringen für die gesetzlich vorgeschriebene Abnahme des Brandschutzes. So standen die bezugsfertigen Wohnungen fast fünf Jahre lang leer.
Die Bewohner leben hier nach wie vor überwiegend in Unterkünften, deren Ausstattung dem Niveau der 1950er Jahre entspricht. Ein sozialer Brennpunkt ist das Viertel, das früher "Am Kalkofen" hieß, seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 2000 wurden die Straßen in Astern-, Geranien- und Veilchenweg umbenannt. Ganz in der Nähe wurden Flüchtlinge untergebracht, deren Wohnungen mit Warmwasser und Zentralheizung ausgestattet wurden: "Das sorgte für Gesprächsstoff", sagt der Off-Sprecher.
Sechs der Protagonisten, die 2015 vor der Kamera standen, sind gestorben. Darunter die Eltern und der Ehemann von Stephanie Kallenbach, deren Geschichte nun weitererzählt wird. Die Langzeitbeobachtung kontrastiert immer wieder Bilder von 2015 mit der heutigen Situation. Deutlich wird, wie die Kinder die Perspektivlosigkeit der Eltern reproduzieren. Stephanie Kallenbachs Sohn Anthony, den sie schon mit 16 zur Welt brachte, war zur Drehzeit der ersten Staffel neun Jahre alt. 2025 hat der inzwischen 19-jährige Drogenabhängige eine Gefängnisstrafe verbüßt. Er hat seinen Onkel so brutal verprügelt, dass dieser für immer im Rollstuhl sitzt.
Schockierend ist auch die sichtbare Veränderung von Stephanie Kallenbachs Wohnung, die verdeutlicht, dass selbst materielle Zuwendungen versanden. Wie in den Bildern von 2015 zu sehen ist, hatte Ilse Menke, tatkräftige Kneipenwirtin und gute Seele im Viertel, gemeinsam mit ihrem Sohn die 60 Quadratmeter große Unterkunft der Kallenbachs in Eigenleistung liebevoll renoviert. Das Kinderzimmer sah damals aus wie aus einer Wohnzeitschrift. Zehn Jahre später zeigt die Kamera dieselben Räume als Ansammlung von Dreck, Beengung, Zerstörung und Schimmel.
"Asternweg - 10 Jahre danach" wirft einen Blick auf Menschen, die gefangen sind in einem Teufelskreis von mangelndem familiärem Rückhalt, Kinderreichtum, fehlender sozialer Kompetenz, Alkohol- und Drogenproblemen. Der sich sukzessive auf weitere Bewohner des Viertels erweiternde Blick lässt erahnen, warum es Kindern nahezu unmöglich ist, diesem engen Zusammenleben von Menschen mit ähnlichen Defiziten zu entkommen. Dass selbst Zuschauer, die mit der pfälzischen Mundart vertraut sind, den breiten Dialekt der Bewohner des Asternwegs ohne Untertitelung nicht verstehen, verdeutlicht zusätzlich, dass diese Menschen in einer Blase eingeschlossen sind.
Die markanten Milieu-Beobachtungen stehen selten für sich. Der durchgehende Off-Kommentar liefert nicht nur Hintergrundinfos und Einordnungen, er konstruiert zugleich einen erzählerischen Bogen, der die Porträtierten zu Protagonisten einer Dokusoap macht. Die plakative Musikuntermalung unterstreicht den dramatischen Bogen der Bildfolgen.
Einen aufklärerischen Anspruch hat die Sendereihe, das zeigt auch die Spendenbereitschaft, die durch die Ausstrahlung bewirkt wurde. In ungeschminkter Direktheit ermöglicht das Format Einblicke in eine Welt, die man eigentlich nicht so genau sehen möchte. Erträglich wird die in Wort und Bild sich zusammenballende, zuweilen an der Grenze zur Armutspornographie entlangschrammende Darstellung auch deswegen, weil der Zweiteiler immer wieder den Fokus auf die hilfsbereite Nächstenliebe von Mitmenschen richtet.
Die Doku endet mit einem gefühlten Lichtblick: Dank Katharina Welsh-Schieds tatkräftiger Unterstützung kann Stephanie Kallenbach mit ihren Kindern das Elendsviertel verlassen und eine großzügige Wohnung auf dem Land beziehen. Ob es für die porträtierte Familie nun bergauf geht? Das bleibt ungewiss.
infobox: "Asternweg - 10 Jahre danach", zweiteilige Dokumentation, Regie und Buch: Clara Bergener, Leonard Mann, Tini Turbini, Felix Steinbrecher, Kamera: Clara Bergener, Leonard Mann, Produktion: B28 Produktion (Vox, 1.11. und 8.11.25, jeweils 20.15-22.00 Uhr und bei RTL+)
Zuerst veröffentlicht 01.11.2025 11:15
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KVOX, Dokumentation, Bergener, Mann, Turbini, Riepe
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