Ein politischer Heimatfilm - epd medien

03.11.2025 13:35

In "Sturm kommt auf" erzählen Matti Geschonneck und Hannah Hollinger vom Aufkommen des Faschismus in den 1920er Jahren in der bayerischen Provinz. Der ZDF-Zweiteiler basiert auf dem Buch "Unruhe um einen Friedfertigen" von Oskar Maria Graf.

ZDF-Zweiteiler "Sturm kommt auf" nach Oskar Maria Graf

Der Schuster Julius Kraus (Josef Hader) in seiner Werkstatt

epd Das Wort Heimatdichtung hat einen faden Beigeschmack von Unerheblichkeit. Im Mikrokosmos eines Dorfes kann sich aber die ganze Welt nicht nur spiegeln, das Kleine kann unmittelbar verweisen auf das Große. Das gilt auch für Heimatfilme. Die besten zeigen Charaktere, in denen Ansichten, Beziehungen, die Tragweite ihrer Entscheidungen und die Zeitläufte anschaulich werden. Oskar Maria Grafs Roman "Unruhe um einen Friedfertigen", geschrieben 1947 als Chronik der Ereignisse des sich ausbreitenden Faschismus in einem bayerischen Dorf, gleichzeitig Memento Mori für Zeitgenossen und Zukünftige, ist so ein Heimatroman. Matti Geschonneck hat daraus einen zweiteiligen politischen Heimatfilm gemacht, den man jeder und jedem ans Herz legen möchte.

"Sturm kommt auf" ist ein exzellenter Fernsehfilm, zusammen mit "Die Wannseekonferenz" und "Das Zeugenhaus" (beide ebenfalls von Matti Geschonneck und beide in der ZDF-Mediathek abrufbar) haben wir hier eine aktuelle historische Trilogie, drei zusammengehörige Filme, an denen wir uns abarbeiten müssen und können.

Stille Liebe

Da ist zum einen die Werktreue: Eine Literaturverfilmung kann als gelungen gelten, wenn sie die Essenz des Werks einfängt und es zugänglich macht. Hannah Hollingers Drehbuch fasst großzügig zusammen, unterbricht, erfindet gar eine zentrale Figur des Zweiteilers. Hauptfigur ist bei ihr wie bei Oskar Maria Graf der Schuster Julius Kraus, fast ein Namensvetter des österreichischen Zeitgenossen Karl Kraus. Schuster Kraus will von keinem was, mischt sich nirgendwo ein, lehnt es ab, Bürgermeister zu werden und pflegt eine sehr stille, fast innig-fromme Liebe zu Elies, die im Dorf bloß respektiert wird wegen der Stellung ihrer Bauersfamilie und ihres Vaters, des alten Silvan Heingeiger.

Das Haus des Schusters und der Hof der Heingeigers liegen einander gegenüber an der Straße zur Stadt. Wer aus der Dorfmitte mit Wirts- und Gemeindehaus in die Welt da draußen will, zum Kloster, zu den Anwälten und Notaren und zum Markt, kommt unwillkürlich zwischen dem "Schuaster" und dem "Heingeiger" vorbei, wie zwischen zwei Existenzformen. Dem Unpolitischen und dem Sich-Einmischenden, bis zum bitteren, verbrecherischen und gewalttätigen Ende, das beiden gemacht wird.

Prinzipienfest und gottesfürchtig

Die Besetzung, die Geschonneck für dieses Projekt gefunden hat, könnte überzeugender nicht sein. Josef Hader ist der Schuster, der nur in Frieden leben will, Sigi Zimmerschied der alte Heingeiger, der den Bürgermeisterposten annimmt, weil es eben einer machen muss. Einer, der aus dem Ständestaat kommt, aber der jungen Demokratie nicht abgeneigt ist. Heingeiger senior, der Prinzipienfeste und Gottesfürchtige ("der Heiland liebt jedes Kind"), ist der Charakter der untergehenden Welt.

Schuster Kraus' Welt ist schon verstummt und untergegangen, mit den Judenpogromen in galizischen Schtetl. Bis zuletzt wehrt sich Heingeiger gegen das Hissen der Nazifahne vor dem Gemeindeamt. Schuster Kraus' Haus ist gegenüber der Unruhe im Heingeigerhof ein mit schweren Kamerablicken erzählter Ort des friedvollen Rückzugs (Kamera: Theo Bierkens). Verena Altenberger, die die Elies mit großer Würde und hinreißender Innigkeit spielt, macht Kraus den Haushalt, ihr unehelicher Bub Peter (Max Jung, im zweiten Teil als Jugendlicher Jakob Brendel) geht hier ein und aus, hier macht Elies dem Schuster einen Heiratsantrag.

Wenn hier gesprochen wird, was nicht oft vorkommt, dann nur Wichtiges, aber wie beiläufig. Später wird dieser Mann mehr sprechen, immer häufiger. Weil er weiß, dass es auf Worte nicht mehr ankommt, wenn die Tat versagt?

Fromme Kirchenlieder

Gelungen ist in "Sturm kommt auf" sowohl die Reduktion der ausgreifenden Geschichte Oskar Maria Grafs, gelungen ist die Erzählung dieser Geschichte auch durch die Gestaltung des Orts, an dem sie stattfindet (Szenenbild: Christoph Kanter), gelungen ist ihre Strukturierung durch den leitmotivischen Auftritt des Frauenchors, dessen traditionelle Gesänge und fromme Kirchenlieder ("Großer Gott, wir loben dich") wie in der klassischen griechischen Tragödie das Geschehen zu kommentieren scheinen.

Gelungen ist der Kontrast der Darstellung von katholisch-barocker Volksfrömmigkeit mit einem Dorfpfarrer (Martin Walch), der zum Glauben predigt, und der prunk- und machtgetriebenen Gier des Priors (Matthias Bundschuh), der den kleinen Peter gern in der Klosterschule wissen möchte, um an das Erbe des alten Heingeiger zu kommen. Beide Varianten des bayerischen Katholizismus werden die "Hitlerschen" beseitigen - allerdings nicht diejenigen, die sich "arrangieren" mit den Mächtigen.

Handfeste Schlägerei

Der Zweiteiler erzählt von den Jahren 1918 und 1932 in der bayerischen Provinz, eine gewaltige Spanne nicht nur im Hinblick auf die politischen Ereignisse, sondern auch im Hinblick auf die Veränderung der Mentalitäten. Zwischen der ersten und der zweiten Folge wird eine Lücke von zehn Jahren gelassen, diese unerzählte Zeit ist selbst ein beeindruckendes Gestaltungselement. Was war dazwischen?

Die Aufforderung zu handeln steht zwischen beiden Filmen. Im ersten Teil gab es eine handfeste Schlägerei zwischen dem "Roten", Ludwig Allberger (Sebastian Bezzel) und dem Freikorpsler Silvan Heingeiger junior (Frederic Linkemann).

Zu Beginn des zweiten Teils sind alle zehn Jahre älter, jedenfalls die Überlebenden. Elies hat sich aufgehängt, nachdem sie im Wald von einem Mann vergewaltigt wurde, den ihr Bruder Silvan angestiftet hat. Er ist jetzt mit seiner braunen Bande Herrscher im Dorf, als SA-Funktionär. Der Gastwirt Stelzinger (Helmfried von Lüttichau) macht gute Geschäfte mit der SA. Stelzingers Tochter Julia (Antonia Bill) politisiert sich an der Seite ihres Mannes Ludwig mehr und mehr.

Produktion für Generationen

In der Stadt tut sich der Juwelier Sulerschmid (Stefan Murr) als NS-Parteifunktionär hervor. Als der Schuster eine Millionenerbschaft macht, blasen die Nazis zur Judenhatz.

"Sturm kommt auf" ist eine Produktion für Generationen. Sie erzählt, wie es zu "Die Wannseekonferenz" und "Das Zeugenhaus" nicht nur kommen konnte, sondern gewissermaßen kommen musste. Sie erzählt auch, dass die Verbrechen der Nazis und der Genozid am jüdischen Volk kein Naturgeschehen, kein Zwangsablauf waren, sondern die Folge von Entscheidungen und dem Nicht-Handeln eines jeden. Können wir von Filmen lernen?

infobox: "Sturm kommt auf", zweiteiliger Fernsehfilm, Regie: Matti Geschonneck, Buch: Hannah Hollinger nach dem Roman "Unruhe um einen Friedfertigen" von Oskar Maria Graf, Kamera: Theo Bierkens, Produktion: Claussen + Putz Filmproduktion, Film AG Produktion (ZDF-Mediathek/ORF ab 3.11.25, ZDF, 10.11.25, 20.15-21.45 Uhr und 22.00-23.30 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 03.11.2025 14:35 Letzte Änderung: 03.11.2025 14:52

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Geschonneck, Hollinger, Graf, Hupertz, NEU

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