04.11.2025 09:56
Zwei Dokumentationen zu den Terroranschlägen von Paris 2015
  epd Das erste Ziel beim Angriff des Islamischen Staats (IS) auf Paris am Abend des 13. November 2015 war ein Fußballstadion: Während sich drei Attentäter vor den Toren des Stade de France im Vorort Saint-Denis in die Luft sprengten und dabei den Busfahrer Manuel Dias mit in den Tod rissen, trugen die Nationalmannschaften von Frankreich und Deutschland drinnen ein Länderspiel aus. Die ersten beiden Explosionen waren bei der Live-Übertragung im Fernsehen deutlich zu hören. Noch während des Spiels begannen an mehreren Orten in Paris die Attacken auf Menschen, die am Freitagabend in Restaurants und Cafés den Feierabend genossen oder im Saal Bataclan ein Konzert der US-Band Eagles of Death Metal besuchten. In dem Konzertsaal richteten drei Terroristen ein Massaker an, allein dort wurden 90 Menschen getötet.
Die beiden Dokumentationen, die Sky und der Bayerische Rundfunk (BR) zum zehnten Jahrestag produzieren ließen, konzentrieren sich auf den Anschlagsort Stade de France, was aus deutscher Perspektive legitim sein mag und dennoch mit zunehmender Dauer der Dokumentationen befremdlich erscheint. Zumal die Aussagen von Nationalspielern und anderen Zeitzeugen, die von ihrer Angst und Verunsicherung berichten, manchmal redundant sind.
Während also die Stimmung in der DFB-Delegation und bei Journalistinnen und Journalisten in immer neuen Formulierungen als Wiederholungsschleife heraufbeschworen wird, bleiben die grausamen Ereignisse andernorts Randnotiz. Im Gegensatz dazu widmete sich zum Beispiel der Netflix-Dreiteiler "13. November - Angriff auf Paris" (2018), der die Terror-Attacken aus der Sicht der Überlebenden, Angehörigen der Opfer, Polizisten und Rettungskräfte nachvollzog, allein in zwei Teilen dem stundenlangen, unfassbaren Drama im Bataclan.
Die französische Perspektive findet sich in der Sky-Produktion "Die Nacht von Paris" deutlich stärker wieder, das mag daran liegen, dass die beauftragte Produktionsfirma Leonine Documentaries zum französischen Medienkonzern Mediawan gehört. Die Autoren Christian Twente und Markus Brauckmann rekonstruieren den Tag minutiös und präziser als der ARD-Film und beziehen auch Erkenntnisse über die Täter mit ein, bis hin zum rätselhaften Verhalten des später verurteilten Salah Abdeslam, der sich in der Nacht mitsamt Sprengstoffgürtel von zwei Freunden aus Paris herausbringen ließ.
Auch kommen hier die Witwe des am Stadion getöteten Manuel Dias, ein weiterer, beim ersten Selbstmordattentat verletzter Mann und der Ordner Salim Toorabally zu Wort, der dem Attentäter den Zugang zum Stadion verwehrt hatte. Der Terrorist hatte keine Eintrittskarte, die anderen beiden schon - sofern man einem für den ARD-Film interviewten GSG9-Mitglied glauben möchte, der diese Behauptung in einem Nebensatz fallen lässt. Wieso sind diese beiden nicht ins Stadion gelangt?
Dass Selbstmordattentäter Bomben in einem mit 80.000 Menschen voll besetzten Fußballstadion zünden wollten, ist eine erschreckende Vorstellung. Welche enormen Ängste die Explosionen vor dem Stadion und die nach und nach eintreffenden Nachrichten auslösten, erzählen beide Filme eindringlich. Bisweilen wird jedoch versucht, Nervenkitzel und Schauwert mit Kunstgriffen zu erhöhen. In "Die Nacht von Paris" setzen die Autoren Szenen ein, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. In "Terror. Fußball. Paris 2015" sind es grafische Animationen von Spielern in der Umkleidekabine. Dabei genügen die zahlreich geführten Interviews vollauf, um die bedrückende Lage im Stade de France nachzuvollziehen.
Es hat den Anschein, als hätten sich die Nationalspieler auf beide Produktionen einigermaßen gerecht verteilt. Bei Sky treten auf: Julian Draxler, Matthias Ginter, Ilkay Gündoğan, Shkodran Mustafi und Jérȏme Boateng. Diesem kommt eine besondere Bedeutung zu, weil er wegen seiner Auswechslung in der Halbzeitpause als erster Spieler von der Anschlagsserie über die zahlreichen Nachrichten auf seinem Handy erfuhr. Während bei ihm das "Kopfkino" (Boateng) bereits einsetzte und sich auch die Sicherheitskräfte fragten, ob weitere Attentäter im Stadion waren oder vor dem Stadion warteten, spielten seine Nationalmannschaftskollegen ahnungslos weiter. Das Spiel wurde nicht abgebrochen, um eine Panik zu vermeiden.
Nach dem Abpfiff wurde das Stadion zeitweise abgeriegelt, dann wieder geöffnet. Menschen strömten hinaus, wieder hinein und schließlich in Panik in den Innenraum. Die Mannschaften konnten erst in der Nacht die Katakomben verlassen, das französische Team solidarisierte sich mit den deutschen Gästen und harrte ebenfalls noch Stunden im Stadion aus.
Man sitzt da mit bebendem Herzen.
Gerüchte und beunruhigende Warnungen machten die Runde. Sogar der türkische Staatspräsident Erdogan mischte angeblich mit, wie Ex-Bundestrainer Joachim Löw in "Terror. Fußball. Paris 2015" offenbart. Mit ihm und dem damals als Außenminister im Stadion anwesenden Frank-Walter Steinmeier (SPD) sowie dem damaligen Kapitän und heutigen ARD-Experten Bastian Schweinsteiger, Christoph Kramer (nun Fernsehexperte beim ZDF), dem Hannoveraner Ron-Robert Zieler und dem 2015 bei Paris Saint-Germain spielenden Torhüter Kevin Trapp hat die ARD aus deutscher Perspektive gegenüber Sky die Nase leicht vorn. Auch Reporter Tom Bartels, der damals das Spiel kommentierte, berichtet von seiner immensen Angst: Plötzlich hätten seine Beine angefangen zu zittern.
Exklusiv haben die Autoren Uli Weidenbach und Uli Voigt außerdem die Recherchen zum kurz vor Spielbeginn abgesagten Länderspiel gegen die Niederlande, das vier Tage später in Hannover stattfinden sollte. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) berichtet von Hinweisen von ausländischen Nachrichtendiensten, die vor möglicherweise zwei geplanten Anschlägen gewarnt hätten: einer Bombe in einem Rettungswagen und einem Anschlag auf den Hauptbahnhof. "Man sitzt da mit bebendem Herzen", erinnert sich de Maizière, der auch damals seine Sorgen nicht ganz verbergen konnte und bei einer Pressekonferenz zur aktuellen Bedrohungslage sagte: "Teile dieser Antwort würden die Bevölkerung verunsichern." Wie Terror Angst verbreitet, dafür liefern die Ereignisse von 2015 verstörendes Anschauungsmaterial.
infobox: "Terror. Fußball. Paris 2015 - Die Nationalmannschaft im Visier", Dokumentation, Regie und Buch: Uli Weidenbach, Uli Voigt, Produktion: Stereo Films (ARD-Mediathek, ab 4.11.25, ARD/BR, 10.11.25, 20.15-21.45 Uhr); "Die Nacht von Paris - Terror am Stade de France", Dokumentation, Regie und Buch: Christian Twente, Markus Brauckmann, Produktion: Leonine Documentaries (Sky/Wow, ab 6.11.25, Sky Crime, 6.11.25, 20.15-21.55 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 04.11.2025 10:56 Letzte Änderung: 04.11.2025 11:23
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSky, KARD, Dokumentation, Weidenbach, Voigt, Twente, Brauckmann, Gehringer, NEU
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