07.11.2025 08:21
Radio3-Hörspiel "Das Ende des Westens"
epd Zu den lustigsten und zugleich beklemmendsten Momenten in Lars Werners Hörspiel "Das Ende des Westens" gehört die Rede eines KGB-Majors in Dresden drei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs: Ausgerechnet am hitleresk hinausgebrüllten Wort "Freiheit!" droht dieser unschwer als Putin zu Erkennende zu ersticken. Und das in einem Satz, in dem er uns allen genau dasselbe Schicksal prophezeit: Man müsse, sagt er da, das Volk erziehen und es dabei glauben lassen, "dass es frei ist"; man müsse dann dafür sorgen, dass es an seiner Freiheit "und an all dem, was es sagen darf, selbst erstickt".
Angesichts gegenwärtig zu verzeichnender Erfolge rechtsradikaler Kräfte und autoritärer Regime: Tun wir das gerade? Ersticken wir - Klicks und Empörungen generierend - an dem, was wir "Meinungsfreiheit" nennen? Oder ist "Das Ende des Westens" nur eine weitere Verschwörungserzählung?
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Kaum ein Begriff ist in den letzten Jahren so korrumpiert worden wie der Begriff der Freiheit und damit die DNA eines geopolitischen und kulturellen Konstrukts: "Der Westen" verstand sich lange wie von selbst, versteht sich aber zunehmend selbst nicht mehr.
Das Hörspiel "Das Ende des Westens" handelt ziemlich unterhaltsam von Sasha, einer beispielhaften Mitarbeiterin einer russischen Trollfabrik. Ihre Mutter kam 2002 bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater ums Leben - "Jaja, alles ist verbunden", sagt die zwielichtige Erzählinstanz, aber so eine Erzählung sei das nicht, sie interessiere sich für "das Wesentliche".
Das Wesentliche ist ein "geheimes" und doch "weltbekanntes" Skript. Menschen wie Sasha schuften an dieser "Erfolgsserie", Titel: "Das Ende des Westens". Als Teil der "Web-Brigaden", ansässig in einem Bürokomplex in Sankt Petersburg, kommuniziert Sasha von verschiedenen Fake-Profilen aus. Neben Hundebildern und Landschaftsaufnahmen verbreitet sie etwa als "Brian" Posts und Kommentare voller Falschbehauptungen, "frittiert in einem Teig aus Wahrheit". Das Ziel: Wahlen zu beeinflussen, politische Akteure zu diskreditieren und gesellschaftliche Debatten zu vergiften. Kritische Websites werden durch übertrieben viel Zuspruch lahmgelegt. Die öffentliche Meinung wird gesteuert.
Außer von bezahlten Söldnern wie ihr, die jung sind und das Geld brauchen, handelt das Hörspiel somit auch von uns allen, von Nutzern Sozialer Netzwerke als nützlichen Idioten. Zur Publikumsbeschimpfung gerät Lars Werners Stück trotzdem nicht, dafür ist es viel zu lakonisch. Friedrich Byusa Blams minimalistische Musik ist weniger daran interessiert, Atmosphäre zu schaffen oder Spannung zu erzeugen, als das emsige Getriebe zu bestätigen und immer weiter am Laufen zu halten. Je weiter das in seinen 52 Minuten äußerst dichte, kurzweilige Hörspiel voranschreitet, desto stimmiger wirkt dieser Ton eines sarkastisch-amüsanten Trauerspiels.
Dass im Büro niemand rebelliert, funktioniert, weil Überwachung und Misstrauen herrschen. "Niemand ist wirklich jemand", heißt es einmal. Das beschreibt den Zustand im Büro wie im Virtuellen: "Sie meinen, die Wirklichkeit zu kennen, aber in Wirklichkeit haben Sie nur eine Meinung." Und so werden nach sieben Geboten Fake News erfunden und verbreitet, "von Bettwanzen in Pariser Hotelbetten bis Reptilien im Weißen Haus". Lügen, groß genug, um wahr zu scheinen. Hat man nicht selbst schon von dem einen oder anderen gehört?
Es funktioniert wie "Streumunition", einer der Abteilungsleiter nennt es Krieg. Das Schlachtfeld: "Die Köpfe der Menschen auf dem Planeten Erde." Das soll wirklich so gesagt worden sein, von einem, der später die Wagner-Söldner anführte. Doch wer weiß das schon?
Putzig, sich vor diesem Hintergrund die allgegenwärtigen Plädoyers für mehr Medienkompetenz schon bei Grundschulkindern ins Gedächtnis zu rufen. Als wolle man Sechsjährigen beibringen, wie sie mit Panzern und Atomraketen umgehen sollen, die auf sie zurasen. Lars Werner, der sich dezidiert als politischer Autor versteht, hat mit einem 15-minütigen Vorläufer-Werk "Das normale Haus" 2024 den Hörspielpreis Max15 gewonnen, den Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit ARD, ORF und SRF vergibt. In diesem "normalen Haus" arbeiten sie bereits, diese zersetzenden Trolle. Die Jury urteilte damals, Werner lasse hoffen, "dass ein künstlerisches Hörspiel, das uns angriffslustig herausfordert, doch wenigstens einen Gegenpol zur Desinformation aufzeigen kann, von dem aus wir uns gemeinsam zu einer Gegenstrategie aufmachen können".
Doch Hoffnung gibt es auch in der Extended Version nicht, weil eine Gegenstrategie nicht existieren kann in einem Skript, an dem wir alle mitschreiben, ob wir nun bewusst mitmachen oder widersprechen, denn alles das ist längst in die Story eingepreist. Lars Werner übersetzt diesen Umstand ins Akustische, indem er mitten im Satz die Sprecherinnen wechseln lässt. Identität splittet sich so auf, und die Frage, wer da eigentlich redet, wird unbeantwortbar. Es sind längst unzählige Subjekte, die ein und demselben Drehbuch folgen - und damit eigentlich aufgehört haben, Subjekte zu sein.
Das will sich natürlich kein aufgeklärter Zeitgenosse sagen lassen. Doch selbst wenn plötzlich alle damit aufhörten: Lapidar flicht Werner auch noch die nächste Zündstufe ein, die "Maschine", gemeint ist Künstliche Intelligenz, die den Troll-Armeen die Arbeit abnimmt und binnen Sekundenbruchteilen erledigt, was Lohnsklaven zuvor unter Ausschaltung ihres Gewissens "in Handarbeit" erledigten.
Immer wieder nimmt die ungreifbar aufgesplitterte Erzählinstanz zynisch Abstand zum Geschehen und deklariert es zum Spiel: "Einmal vom Ende des Ostens zum Ende des Westens - ein Spiel von 40 Jahren." Die Welt, sagt sie, gehe nicht nur einmal unter, "sie tut es immer wieder" - und das funktioniert, "weil es unterhaltsam ist". Diesmal amüsieren wir uns also vielleicht wirklich zu Tode.
infobox: "Das Ende des Westens", Hörspiel, Text und Regie: Lars Werner, Musik: Friedrich Byusa Blam (Radio3/RBB, 28.9.25,16.00-17.00 Uhr, ARD-Audiothek seit 7.11.25)
Zuerst veröffentlicht 07.11.2025 09:21 Letzte Änderung: 07.11.2025 12:22
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KRBB, Radio3, Lars Werner, Lutz, NEU
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