Der schwäbische Tüftler - epd medien

10.11.2025 09:10

Anlässlich seines 70. Geburtstags am 10. November würdigen gleich zwei Dokumentationen bei Arte und im Ersten das filmische Werk von Roland Emmerich. Beide Filme ergänzen sich, lassen aber zugleich wichtige Aspekte aus, meint Manfred Riepe.

ARD und Arte zeigen Dokumentationen über Roland Emmerich

Hollywood-Regisseurs Roland Emmerich in seiner Villa in den USA in Los Angeles

epd Ein junger Mann posiert als Tourist am Zaun vor dem Weißen Haus. Schnitt. Ein Laserstrahl, abgefeuert aus einem Raumschiff, pulverisiert dieses Weltzentrum der Macht. Nein, das ist kein Terroranschlag, sondern die emblematische Szene aus dem Katastrophenfilm "Independence Day", den besagter junger Mann einige Jahre später inszenierte und der zum weltweiten Blockbuster avancierte. Anlässlich seines 70. Geburtstags widmet das deutsche Fernsehen Roland Emmerich nicht nur eine, sondern gleich zwei dokumentarische Porträts, die sich gegenseitig ergänzen.

Eine Anekdote aus Viola Löfflers ZDF-Dokumentation "Roland Emmerich - Weltenzerstörer, Weltenerbauer", die vorab auf Arte ausgestrahlt wird, verdeutlicht, wie ein studentischer Nobody - der ursprünglich gar nicht selbst Regie führen wollte - es fertigbrachte, in die Riege der kommerziell erfolgreichsten Filmemacher überhaupt vorzustoßen, dessen 28 Produktionen an den Kinokassen insgesamt vier Milliarden US-Dollar Umsatz erzielten.

Zu Wort kommt in Löfflers Film Hubert Bartholomae, der unter anderm die Bauten für Emmerichs Debüt "Das Arche Noah Prinzip" von 1984 realisierte. Dass dieser Science-Fiction-Film Made in Germany überhaupt Beachtung fand, liegt an den visuellen Schauwerten - denen Emmerichs eigentliche Leidenschaft gilt. Die Filmtricks sehen nämlich nach sehr viel mehr aus, als das studentische Budget der Produktion erahnen lässt.

Dafür braucht man nicht wirklich gute Schauspieler - man braucht nur eine gute Story.

"Wie hätten wir uns leisten können, Hunderte von blinkenden Lämpchen in die Dekoration zu bauen?", fragt Hubert Bartholomae. Es begab sich, dass der Nachbar von Emmerichs Eltern in Sindelfingen der Deutschlandchef von IBM war. Also ging Mutter Hilde rüber und fragte, ob man da nicht was machen könne. Worauf die Jungs einen Lastwagen voller Paneelen bekamen, die im Set von "Das Arche Noah Prinzip" hübsch und beeindruckend blinkten.

Eine zweite Anekdote verdeutlicht, wie der junge Regisseur kreativ Probleme lösen konnte, die sich aus wirtschaftlichen Zwängen einer Hollywood-B-Produktion ergaben. So hatte er bei seinem ersten amerikanischen Film "Universal Soldier" völlig freie Hand: Bis auf die Besetzung mit den darstellerisch limitierten Schauspielern Dolph Lundgren und Jean-Claude van Damme - die aber als Zugpferde gesetzt waren. Also ließ Emmerich die beiden zu Beginn einander umbringen, sodass sie als menschliche Maschinen wiederbelebt wurden: "Dafür braucht man nicht wirklich gute Schauspieler - man braucht nur eine gute Story", erklärt Emmerich mit unwiderstehlichem Grinsen.

Fundus privater Filmaufzeichnungen

Mit der dritten Anekdote verdeutlicht Löffler schließlich die Kernkompetenz des schwäbischen Überfliegers. Um in "Independence Day" das bedrohliche Gefühl der gigantischen Größe des Raumschiffs zu vermitteln - und zwar ohne kostspielige Filmtricks -, zeigte Emmerich einfach nur dessen scheibenförmigen Schatten, der die halbe Stadt verdunkelt. Mit dieser filmästhetischen Schlitzohrigkeit, so zeichnet die Doku nach, etablierte der schwäbische Tüftler sich in Hollywood.

Dagegen ist Jo Müllers Porträt "Meister der Apokalypse - Roland Emmerich" eher eine Hochglanzdoku, die aus einem großen Fundus privater Filmaufzeichnungen schöpft. "Die folgende Dokumentation ist über den Zeitraum von fast 40 Jahren entstanden", erklärt ein Insert. Ausführlicher noch als bei Löffler plaudert der Filmemacher dabei aus dem Nähkästchen. Jugendaufnahmen und heutige Bilder des Filmemachers werden effektvoll kontrastiert. Der Film kommt einem sympathischen, lebensbejahenden Menschen sehr nahe. Die Kamera ist zu Gast im schwäbischen Elternhaus sowie in Emmerichs Domizilen in London und in Hollywood - deren Interieurs man vielleicht doch nicht derart ausgiebig ins Bild hätte setzen müssen.

Jemand ohne Visionen

In beiden Dokumentationen zu kurz kommt allerdings der Rückblick auf die Ablehnung jener Werke, die Emmerich vor seinem Durchbruch realisierte. Insbesondere im deutschen Feuilleton, in dem in den 1980er Jahren der gesellschaftskritische Autorenfilm als Maß aller Dinge galt, wurde das Bekenntnis eines handwerklich orientierten Regisseurs, der die deutsche Vergangenheit hinter sich ließ und sich unbekümmert zum damals verhassten amerikanischen Kommerz-Kino bekannte, mit einem intellektuellen Vernichtungswillen abgestraft. Für die Mehrzahl der Kritiker war Emmerich nicht einmal ein gescheiterter Künstler, sondern jemand ohne Visionen, auf den die Kategorie der Kunst im Grunde nicht mehr zutraf.

Der Blick zurück auf diese düstere Epoche fehlt in den Würdigungen des 70-Jährigen, der neben Wolfgang Petersen zu den kommerziell erfolgreichsten deutschen Gegenwartsregisseuren in Hollywood zählt. Erwähnt wird dagegen ein anderer Aspekt, dank dem Emmerich mit dem heutigen Zeitgeist kompatibel erscheint. Mit Will Smith in der Rolle des coolen Weltenretters führte Emmerich 1996 in "Independence Day" erstmals vor, dass ein schwarzer Darsteller als Zugpferd in einem globalen Blockbuster auftreten konnte. Damit ebnete der deutsche Regisseur nachfolgenden afroamerikanischen Künstlern den Weg. Unter dem Strich fehlt beiden Dokumentationen die filmhistorische Tiefe, wobei der Film von Jo Müller sich zu sehr auf der Emmerich-Home-Story ausruht.

infobox: "Meister der Apokalypse - Roland Emmerich", Dokumentation, Regie und Buch: Jo Müller, Kamera: Heiko Bokern, Florian Bentele, Produktion: Beetz Brothers (ARD/SWR, 10.11.25, 23.35-0.35 Uhr und seit 5.11.25 in der ARD-Mediathek); "Roland Emmerich - Weltenzerstörer, Weltenerbauer", Dokumentation, Regie und Buch: Viola Löffler, Kamera: Niclas Reed Middleton, Alexander Pillau, Nicolas Grimard, Joel Hess, Produktion: Kontrast Film (Arte/ZDF, 5.11.25, 22.20 bis 23.20 Uhr und in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 10.11.2025 10:10

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KArte, Riepe

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