Greenwashing - epd medien

12.11.2025 09:15

Jan Stadler arbeitet als Umweltwissenschaftler für ein Klimaschutzprojekt in Brasilien. Er sollte ein Aufforstungsprojekt zertifizieren, ist aber plötzlich verschwunden. In "Verschollen" reist sein Vater nach Brasilien, um dort nach dem Sohn zu suchen.

ARD-Fernsehfilm "Verschollen" mit Axel Milberg

Clemens Stadler (Axel Milberg) sucht in Brasilien nach seinem verschwundenen Sohn

epd Welchen Beitrag die Aufforstung zum weltweiten Klimaschutz leisten kann, das wird bei der 30. Weltklimakonferenz, die im November in Belém im brasilianischen Amazonasgebiet stattfindet, mit Sicherheit ein Thema sein. Die ARD hat dazu passend einen weiteren filmischen Doppelpack von Daniel Harrich im Programm. Der Autor und Regisseur, 2016 für seine Recherchen zum Waffenhandel ("Tödliche Exporte") mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, war zuletzt in Brasilien unterwegs, genauer gesagt: in der von Umweltzerstörung bedrohten, artenreichen Cerrado-Savanne, deren Fläche sechs Mal so groß ist wie Deutschland, die aber seltener im Fokus der Medien ist als der Amazonas-Regenwald. Wie bereits in früheren Projekten führte Harrichs Recherche vor Ort zu einer Kombination aus Spielfilm ("Verschollen") und anschließender Dokumentation.

Nachdem er sich zuletzt in "Bis zum letzen Tropfen" mit dem knapper werdenden Gut Trinkwasser und in "Am Abgrund" mit dem Zusammenhang zwischen Energiewende und Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan beschäftigt hatte, widmet sich Harrich nun dem Emissionshandel, einem zentralen Instrument des Klimaschutzes. Unternehmen können den Ausstoß klimaschädlicher Gase durch den Kauf von sogenannten CO2-Zertifikaten ausgleichen. Aber helfen die zertifizierten Projekte tatsächlich dem Klima?

Vater sucht Sohn

Das Thema ist komplex, doch der Kern des Fernsehfilms "Verschollen" lässt sich mit einem Satz beschreiben: Ein Vater reist in ein fremdes Land und sucht auf eigene Faust nach seinem verschwundenen Sohn. Diese dramaturgische Klarheit ist ebenso hilfreich wie die Besetzung der Hauptrolle. Axel Milberg, der in früheren Harrich-Filmen eher auf der dunklen Seite der Macht zu finden war, darf hier mal die positive Identifikationsfigur des Films geben.

Clemens Stadler ist ein empathischer Mann, der sich hartnäckig und auch mit einem offenen Ohr für die einheimische Bevölkerung auf die Suche nach seinem Sohn Jan (Max Hubacher) begibt. Beide standen sich nicht besonders nahe, also scheint der Vater auch von der Hoffnung auf eine Art Wiedergutmachung getrieben zu sein. Milberg spielt diesen "Helden" mit zunehmend wildem Vollbart, aber auf typisch Milberg'sche Art: leise und nachdenklich, ohne übertriebenes Pathos oder plakativen Furor. Eindrucksvoll ist, wie sich der 1956 geborene Milberg in einigen physisch herausfordernden Szenen unter den klimatischen Bedingungen Brasiliens schlägt.

Klimapolitischer Skandal

Umweltwissenschaftler Jan Stadler sollte eigentlich den Beleg erbringen, dass das gigantische Aufforstungsprojekt "Treeplanet" für den Emissionshandel zertifiziert werden kann. Doch Stadler schien nicht die gewünschten Ergebnisse liefern zu können. Das von Weltbank, Europäischer Union und mehreren Regierungen geförderte Vorhaben will "das größte zusammenhängende Waldgebiet der Welt" erschaffen, wie Kurt Winkler (Benjamin Sadler), der Projektleiter vor Ort, erklärt. Einheimische sollen allerdings ihre Heimatdörfer verlassen, damit "Treeplanet", geschützt von der örtlichen Polizei und rüden Sicherheitskräften, die Aufforstungspläne umsetzen kann.

Die spannende Suche des Vaters wird zu einer Suche nach den Hintergründen eines klimapolitischen Skandals. Dass im Film die Sprachbarriere nicht wegsynchronisiert wurde, unterstreicht die wirklichkeitsnahe Inszenierung, die auch dank der eindrucksvoll fotografierten Bilder sehenswert ist. Kameramann Walter Harrich, Daniels Vater, bringt dem Publikum eine imposante Landschaft nahe, dokumentiert die endlosen Plantagen mit den in Reih und Glied stehenden Bäumen und auch die kahlen, gerodeten Flächen.

Wirtschaftliche Interessen

Der Film würdigt überdies den Kampf der indigenen Bevölkerung um ihre Heimat. Erst mit deren Hilfe kommt Clemens voran, insbesondere dank der resoluten Anwältin Taís Goncalves (Luka Omoto). "Wir müssen extrem vorsichtig agieren, sonst heißt es, wir seien Neokolonialisten", jammert Diana Creutz (Julia Koschitz) über den Protest der Menschen vor Ort.

Tatsächlich hat "Verschollen" etwas von einer Reise ins "Herz der Finsternis". Zum Glück vermeidet Harrich bei der Figurenzeichnung ein allzu plumpes Gut-Böse-Schema. So spielt Koschitz die bei einem Ableger der Weltbank-Gruppe in Frankfurt residierende "Treeplanet"-Chefin Creutz keineswegs als kaltblütige Managerin, der man zutrauen würde, über Leichen zu gehen. Wieso sie sich von anderen instrumentalisieren lässt, bleibt letztlich offen. Rücksichtslos setzen hier Regierungen und Konzerne ein Projekt um, das nicht dem Klima, sondern wirtschaftlichen Interessen dient. Der vermeintliche Klimaschutz wird zum Etikettenschwindel.

Über den realen Hintergrund des fiktionalen Szenarios klärt Daniel Harrichs "Verschollen - Die Doku" auf, die nach dem Film im Ersten läuft. Im Namen des "Green Deals" würden schwerste Umweltschäden, massives Unrecht gegenüber Menschen in den betreffenden Ländern und Regionen und die Zerstörung unwiederbringlicher Ressourcen in Kauf genommen, sagt der Autor und Regisseur. Das System, das alle hehren Ziele ad absurdum führe, nennt er "maßlos und zynisch". Es gelingt Harrich, das wichtige und komplexe Thema mit einer Mischung, spannender Fiktion und investigativer Recherche öffentlichkeitswirksam aufzubereiten.

infobox: "Verschollen", Fernsehfilm, Regie und Buch: Daniel Harrich, Kamera: Walter Harrich, Produktion: Diwa Film (ARD-Mediathek, seit 6.11.25, ARD/SWR/SR/WDR/BR, 12.11.25, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 12.11.2025 10:15

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSWR, Fernsehfilm, Harrich, Gehringer

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