Leben mit dem Vergessen - epd medien

14.11.2025 09:19

Wie verändert Demenz nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch das ihrer Angehörigen? Was lässt sich tun, um das Risiko zu mindern? In seiner zweiteiligen Dokumentation geht Eckart von Hirschhausen den Ursachen, Formen und Folgen der Krankheit auf den Grund.

ARD-Doku "Hirschhausen und das große Vergessen" über Demenz

Eckart von Hirschhausen und "Super-Ager" Willy Bartz (l.)

epd In Deutschland leben schätzungsweise 1,8 bis 1,84 Millionen Menschen mit Demenz, die Zahl der Neuerkrankungen liegt bei mehr als 400.000 pro Jahr. Die deutsche Alzheimer-Gesellschaft rechnet damit, dass bis zum Jahr 2050 die Zahl Demenzerkrankter im Alter von über 65 Jahren auf 2,3 bis 2,7 Millionen steigen wird. Betroffen sind jedoch nicht nur Menschen über 60 - es gibt auch Menschen, die weit jünger sind und erkranken.

Dabei verbergen sich hinter den landläufigen Begriffen "Alzheimer" und "Demenz" rund 50 unterschiedliche Formen mit unterschiedlichen Ursachen, Verläufen und Symptomen. Bei manchen versagt das Kurzzeitgedächtnis oder die Wortfindung, andere entwickeln einen unstillbaren Bewegungsdrang oder Persönlichkeitsveränderungen. Hinzu kommen außerdem jene, die häufig vergessen werden: rund 1,4 Millionen Angehörige, die sich um Ehemann oder -frau, um Mutter oder Vater kümmern, oft rund um die Uhr - denn die meisten Demenzkranken leben zu Hause.

Relevante Risikofaktoren

"Das große Vergessen", das "Bröckeln von Erinnerungen, Verstand, Persönlichkeit" hat Eckart von Hirschhausen zum Thema eines neuen Zweiteilers gemacht, dessen Dramaturgie aus seinen zahlreichen Reportagen und Dokus bereits vertraut ist. Man kann das "Masche" nennen - oder aber schlicht ein bewährtes Prinzip, das die Dokus anschaulich, lebendig und verständlich macht.

Hirschhausen spricht mit Erkrankten und ihren Angehörigen, mit Forschenden, die der Krankheit auf den Grund gehen wollen, mit Pflegekräften, er unterzieht sich Selbsttests und besucht ein Treffen von "Super-Agern", die noch im hohen Alter, mit 80 oder 90, verblüffend fit an Geist und Körper sind. So wie Willi, der keine teuren Tech-Geräte braucht, um sich agil zu halten: ein Sprungseil im Keller, zwei Einkaufskörbe mit Gurkengläsern als Hanteln, Morgengymnastik und die eigenen Füße zum Laufen tun es auch.

Demenz ist bislang nicht heilbar. Man kann jedoch einiges tun, um zumindest die Risikofaktoren einzuschränken. Dabei macht die Erforschung der Krankheit durchaus Fortschritte: So konnten im letzten Jahr 14 relevante Risikofaktoren definiert werden. Dazu gehört alles, was Herz und Kreislauf, mithin Gefäße belastet, wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel, aber auch Schwerhörigkeit, Luftverschmutzung oder Depressionen.

Komplexes einfach erklärt

Der Schwerpunkt des ersten Teils der Doku liegt auf dem Verständnis der Prozesse, die sich bei einer Erkrankung im Gehirn und Körper abspielen, und auf dem Umgang mit der Krankheit: Wie gelingt es, den Betroffenen ein Leben in Würde, in vertrauter Umgebung und Geborgenheit zu ermöglichen?

Was an Hirschhausens Reportagen immer wieder beeindruckt, ist die respektvolle, einfühlsame und empathische Art, mit der er Betroffenen begegnet, seien es Erkrankte oder Angehörige. Man sollte das nicht gering- oder unterschätzen - es trifft offenbar den Nerv und die Bedürfnisse vieler, die sich vom deutschen Gesundheits- und Pflegesystem öfter im Stich gelassen fühlen.

Der zweite Grund, der Hirschhausens Filme so erfolgreich macht, ist die Fähigkeit, komplizierte medizinische Prozesse allgemein verständlich zu erklären. Populärwissenschaft hat in Deutschland keinen so guten Ruf und wird hier oft ein wenig verächtlich angesehen, im Gegensatz zum angelsächsischen Raum. Dabei ist die Übersetzungsarbeit, die hier geleistet wird, ein schätzenswertes und wichtiges Handwerk, das auch Journalismus zu einem guten Teil ausmacht oder zumindest ausmachen sollte - also die Fähigkeit, komplexe und schwierige Sachverhalte allgemein verständlich zu erklären. Wenn etwa Hirschhausen das glymphatische System mit einer "Waschanlage im Gehirn" vergleicht, ist das ein Bild, das viele nachvollziehen können.

Im zweiten Teil liegt der Fokus auf Handlungsmöglichkeiten - sowohl präventiver als auch therapeutischer Natur. Natürlich geht es dabei auch um das erst seit April in Deutschland zugelassene Medikament Lecanemab, das Alzheimer zwar nicht verhindert, aber verlangsamen soll - allerdings auch nur in einem frühen Krankheitsstadium. Hirschhausen begleitet Klara Winterhoff, die als eine der ersten Patienten das Medikament erhalten soll, bei den zuvor notwendigen Tests und Untersuchungen.

Vielen ist die Dimension noch nicht klar.

Nachdem Hirschhausen nach seiner Post-Covid-Reportage vorgeworfen war, er habe die Blutwäsche als einen Therapieansatz zu unkritisch hochgejazzt, kann man ihm hier diesen Vorwurf kaum machen: Der Mediziner verweist unter anderem darauf, dass das Medikament in der Wissenschaft wegen der Nebenwirkungen, der Wirksamkeit und der Kosten noch immer hochumstritten ist, auch Kritiker wie der Biochemiker Christian Behl, der an der Uni Mainz seit Jahren zu Antikörpern forscht, kommen zu Wort. Behl ist es auch, der kritisiert, dass über die Medikamentenforschung die Prävention stark vernachlässigt wurde, auch finanziell. Dahinter stehen letztlich auch politische Entscheidungen: "Vielen ist die Dimension noch nicht klar."

Andere Länder sind da schon wesentlich weiter, wie Hirschhausens Abstecher nach Maastricht zeigt, wo man mit einer großen Kampagne über Präventionsmaßnahmen aufklärt. Prävention ist dabei keineswegs nur Privatsache, auch das wird hier deutlich. Maßnahmen gegen Feinstaub oder Mikroplastik, die das Gehirn belasten, sind politische Entscheidungen. Und natürlich kommt auch die Misere der Pflegesituation in Deutschland zur Sprache. Denn ohne die Angehörigen, die meist die Erkrankten pflegen und die Hirschhausen die "größte und die unsichtbarste Gruppe im Gesundheitswesen" nennt, wäre das System wohl schon kollabiert.

Immerhin aber können die Zuschauer eine ganze Menge praktischer Tipps mitnehmen, was jeder und jede selbst tun kann, um das Risiko einer Erkrankung zumindest zu vermindern.

infobox: "Hirschhausen und das große Vergessen", zweiteilige Dokumentation mit Eckart von Hirschhausen, Regie und Buch: Krischan Dietmaier, Kamera: Manuel Brem, Moritz Frisch, Alexander Keller u.a., Produktion: Bilderfest GmbH (ARD-Mediathek/WDR/RBB, seit 31.10.25, ARD, 3.11.25, 20.15-21.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 14.11.2025 10:19

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K

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