14.11.2025 10:30
Sportdokumentationen bei Sendern und Streaming-Portalen
epd Vor Jahren starteten die aufkommenden Streaming-Plattformen serielle Sportdokumentationen. Das Angebot für potenzielle Kundinnen und Kunden musste aufgefüllt werden, auf dass diese, wenn sie Abonnements abschlossen, glaubten, gleichsam eine Schatzkammer des Audiovisuellen zu öffnen. Dokumentationen sind sehr viel preiswerter herzustellen als Spielfilme, ob als Einzelfilm oder als Serie. Und populäre Sportarten verfügen über ein stabiles Interesse der Fangemeinde, die sich noch für kleinste Details jenseits der Live-Übertragungen interessiert. Zugleich konnten die Streamer den Sportverbänden und Vereinen, deren Spiele sie live übertragen wollten, mit solchen dokumentarischen Projekten ihr Interesse am jeweiligen Sport und den sie vertretenden und vermarktenden Institutionen signalisieren.
Bei einer aktuellen Bestandsaufnahme fällt auf, dass die Zahl dieser Dokumentationen insgesamt stabil geblieben ist, also regelmäßig neue Produktionen herausgebracht werden, die um die Aufmerksamkeit der sportlich interessierten Zuschauerinnen und Zuschauer kämpfen. Aber die Orte, an denen sie zu sehen sind, haben sich verändert. Bei den Streaming-Plattformen Amazon Prime, DAZN oder Netflix, bei denen sich vor drei oder vier Jahren die entsprechenden Einzelfilme und Serien häuften, sind sie seltener geworden. Die Rechnung, bei niedrigen Kosten zumindest eine gewisse Resonanz beim Publikum zu erreichen, scheint nicht aufgegangen zu sein. Zugenommen haben die seriellen Sportdokumentationen hingegen in den letzten Jahren bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Eine Folge der Strategie, die Mediatheken mit Attraktionen aufzufüllen.
Hinzu kommt der Pay-TV-Sender Sky, der im Herbst mehrere Serien und Einzelfilme für seine Abonnentinnen und Abonnenten ins Programm hob, die sie auch über Wow, das Streaming-Portal von Sky, abrufen können. Der erste der beiden Filme, die vom Sender mit "Mythos Borussia: Eine Legende wird 125" überschrieben wurden, wurde erstmals am 29. August im Spartenkanal Sky Documentaries gezeigt. Im zweiten Teil, der am 21. November folgen wird, soll die Feier, in der die niederrheinische Borussia ihr Jubiläum beging, im Mittelpunkt stehen. Für beide Teile ist Jens Westen als Regisseur verantwortlich, er widmete sich im ersten Teil vor allem der jüngeren Bundesligageschichte des Vereins.
An diesem Film kann man ein Muster ablesen, das Sky für seine Sport-Dokumentationen wohl vorgegeben hat, denn es prägt auch den Zweiteiler "Tradition & Träume: Die 2. Bundesliga 2024/2025", der seit August zu sehen ist. Zu diesem Muster gehört an erster Stelle eine doppelte Zweitverwertung. In den Filmen wird vieles noch einmal gezeigt, was der Sender bereits verwendet hatte. Dazu gehören die meisten Spielszenen, die Interviews, aber auch die Personen, die als Kommentatoren oder Fachleute Woche für Woche bei den Live-Übertragungen der Fußball-Bundesliga der Männer zu sehen und zu hören sind.
So wird Lothar Mätthäus, der seit vielen Jahren als Experte für Sky arbeitet, zum Zentrum des Films über Borussia Mönchengladbach. Zum einen, weil er hier mehrere Jahre selbst gespielt hat. Zum anderen, weil er für die Kamera ein längeres Gespräch mit Günter Netzer führte, der als einer der Helden des Vereins gilt. Stets sind die beiden gemeinsam im Bild, man sieht ihnen an, dass sie sich schätzen.
Die anderen Interviews mit ehemaligen Spielern wie Christoph Kramer oder Rainer Bonhof, der zudem dem Verein als Präsident vorsteht, führte der Regisseur klassisch aus dem Off. Pech hatte Westen mit zwei weiteren Gesprächspartnern. Denn im September entließ der eine, Geschäftsführer Roland Virkus, den anderen, den Trainer Gerardo Seoane. Zwei Wochen später kündigte Virkus dann selbst. Wenn man sie im Film nun über den Stand der Mannschaft reden hört, mutet das schon sehr merkwürdig an.
Der Film reiht die wichtigsten und damit auch bekanntesten Szenen der Vereinsgeschichte aneinander. Er kommt auf die beiden Pokalendspiele 1973 und 1984 zu sprechen, die mit den Namen der prominenten Gesprächspartner des Films verbunden sind. Günter Netzer wechselte sich 1973 selbst ein und schoss dann das entscheidende Tor, während Lothar Matthäus elf Jahre später einen Elfmeter verschoss, was zur Niederlage gegen den FC Bayern führte, dem Verein, zu dem der Spieler anschließend wechselte.
Neues, gar Überraschendes erfuhr man nicht. Die Montage des heterogenen Materials ist ebenso konventionell wie das Design. So wirkt der Film insgesamt wie eine Pflichtübung. Der Sender feiert den Verein, der ihm einen Teil seines Geschäfts garantiert. Zugleich wirbt er für sich selbst, denn jenseits der beiden erwähnten Pokalspiele wurden meist nur Spielszenen verwandt, die Sky selbst übertragen hatte.
Es gibt nur einen ...
Dass der Sender auch anders kann, beweist die 90 Minuten lange Dokumentation "Rudi Völler - Es gibt nur einen", die seit dem 3. Oktober zu sehen ist. Der Film von Marc Schlömer erzählt gut strukturiert von der Karriere des Fußballspielers, Nationaltrainers und Managers Völler, der auch immer wieder für Höhepunkte in der Sportfernsehgeschichte sorgte, als er sich beispielsweise live in der ARD über die Fußball-Kommentatoren beschwerte oder als er vor den Kameras den gegnerischen Spieler Andreas Brehme tröstete, der gerade nach einer Niederlage seiner Mannschaft gegen Völlers Bayer Leverkusen hemmungslos weinte.
Neben den üblichen sportlichen Begleitern, zu denen natürlich auch wieder Sky-Gesicht Matthäus gehört, sind Personen zu erleben, die man in diesem Zusammenhang nicht erwartete, wie der Sänger Marius Müller-Westernhagen, der mit Völler befreundet ist. Mittelpunkt des Films ist Völlers aus Italien stammende Ehefrau, die selbstbewusst und mit viel Charme ihre eigene Sicht auf die Karriere ihres Mannes preisgibt. Das hat man so noch nicht gehört.
Eine auf zweifache Weise ungewöhnliche Geschichte erzählt die vierteilige Serie "Großes Tennis - Made in East Germany", die in einer komprimierten Fassung von 45 Minuten am 28. September vom ZDF ausgestrahlt wurde. Die vierteilige Serie kann in Gänze - jede Folge dauert zwischen 25 und 30 Minuten - in der Mediathek des Senders abgerufen werden. Ungewöhnlich ist das Thema zum einen deshalb, weil Tennis in der DDR eine Randsportart war. Grund dafür war, dass Tennis erst 1988 wieder olympische Disziplin wurde, aber die Sportpolitik der DDR auf die olympischen Spiele und ihre Medaillen ausgerichtet war.
Ungewöhnlich ist die Serie von Christoph Eder und Markus Brauckmann zum anderen deswegen, weil sie immer wieder Ausflüge in die politische Geschichte unternimmt; das ist notwendig um die Lebens- und Sportgeschichte beispielsweise von Thomas Emmrich zu verstehen, der nie bei Turnieren im Westen beweisen konnte, dass er mit den Profis mithalten konnte.
Einen Nachteil der DDR-Sportpolitik bekamen die Regisseure der Serie selbst zu spüren. Da Tennis Randsportart war, nahm es das DDR-Fernsehen kaum wahr. Es mangelt also an Archivmaterial. So gibt es in den vier Teilen nur wenige Szenen zu sehen, in denen man selbst beurteilen kann, ob Emmrich wirklich so gut war, wie der Film behauptet. Anders sieht es bei den Tennisspielerinnen Grit Schneider, Gabriele Lucke und Juliana Gorka aus, die erfolgreich waren, als das Ende der DDR nahte und es wohl häufiger Berichte über Tennis gab.
Dem Mangel an Archiv-Bildern versucht die Serie durch inszenierte Szenen zu entkommen, aber den Jugendlichen von heute sieht man an, dass sie nicht wie damals mit einem schweren Holzschläger spielen. Es gibt Animationspassagen, die mittels Künstlicher Intelligenz (KI) hergestellt wurden. Sie sollen eine Ahnung von markanten Szenen liefern, aber auch das geht nur begrenzt auf. Insgesamt gewinnt der Vierteiler immer dann, wenn die Geschichten der Porträtierten persönlich werden und sich in ihnen zugleich etwas von dem spiegelt, was Teil deutscher Geschichte ist. Höhepunkt in diesem Sinne ist die Geschichte der Flucht in den Westen, bei der Grit Schneider Geld im Schaft ihres Schlägers versteckte, was fast aufgefallen wäre.
Die beste Sportdokumentationsserie, die in diesem Jahr bislang zu sehen war, verantwortet der Bayerische Rundfunk, sie wurde Ende Oktober in der ARD-Mediathek online gestellt. Sie ist Teil der Reihe "Rise & Fall", die bislang drei deutschen Fußballvereinen gilt: 1860 München, dem 1. FC Kaiserlautern und dem VfB Stuttgart.
Die Serie des BR zu 1860 München widmet sich in fünf Folgen dem Verein, dessen Geschichte in den letzten 20 Jahren kompliziert zu nennen eine gewaltige Untertreibung wäre. Aber das Team Lennart Bedford-Strohm, Robert Grantner, Christoph Nahr und Max Stockinger hat diese Geschichte so aufgefächert, dass man die Abläufe und wichtiger noch die Gründe für die Verwerfungen und Konflikte versteht.
Die fünf Folgen zeichnet außerdem aus, dass hier nicht nur mehr oder minder bekannte Fußballspieler, Trainer, Vereinsfunktionäre und Fernsehreporter vor der Kamera sprechen, sondern durchaus gleichberechtigt eine gleich große Zahl von Fans. Allerdings müssen sich Nicht-Bayern schon konzentrieren, wollen sie alles mitbekommen, was da dialektal gefärbt gesprochen wird. Darüber hinaus wird am Einzelfall des Münchner Stadtteilvereins sichtbar, wie es um die Ökonomie dieses Profisports bestellt ist und wie sehr er sich von der Lebenswelt derer, die ihn als Fans populär machten, zu entfernen droht.
Der Serie gelingt die Integration des heterogenen Archivmaterials beispielhaft. Eine intelligente Montage, für die Xenja Kupin verantwortlich war, ein gelungenes Design, das die Textinformationen bestens in die Bilder einfügt, und eine Dramaturgie, die am Ende jeder Folge die Spannung wachhält, wie es mit dem Drama um die Sechziger weitergeht, heben diese Serie weit über den Durchschnitt hinaus.
Ungleich schlechter ist dagegen ein Hochglanzprodukt aus den USA, das auf den ersten Blick äußerst verheißungsvoll schien: Die sechsteilige Serie "Court of Gold", die bei Netflix seit Februar zu sehen ist, berichtet vom olympischen Basketball-Turnier, das 2024 Jahr in Paris stattfand. Ihr Problem besteht nicht darin, dass es dem Regisseur Jake Rogal vor allem darum geht, den Weg des US-Teams zu schildern, das am Ende die Goldmedaille gewinnt. Im Gegenteil: Hätte sich Rogal darauf beschränkt, hätte die Serie spannend werden können.
Nein, ihr Problem besteht darin, dass sie immer mal wieder so tut, als interessiere sie sich auch für andere Teams wie das französische oder serbische, für andere olympische Wettbewerbe oder gar für den Austragungsort Paris. Dieser multiperspektivische Ansatz führt zu einer Zersplitterung der Erzählung und wirkt zudem zufällig, da - aus deutscher Sicht - ausgerechnet die deutsche Mannschaft nicht begleitet wurde, die immerhin als Weltmeister nach Paris reiste und neben den anderen drei ebenfalls im Halbfinale stand.
Penetrant ist die Kommentarebene der Serie: Synchronsprecher, die vermutlich sonst eher Werbe-Jingles sprechen, reihen eine Plattitüde an die andere. Die vielen Interviews sind meist zu Häppchen zerschnitten. Nur selten lässt man sich für Beobachtungen Zeit, wenn etwa der ehemalige US-Präsident Barack Obama das US-Team im Trainingslager besucht und man ihm anmerkt, dass er ein begeisterter Fan dieser Sportler ist. Erst in der letzten Folge, in der sich die Serie Zeit lässt, einen Spieler wie Stephen Curry auch in seinem familiären Umfeld zu porträtieren, gewinnt sie. Curry erzielte im Finale mit einer grandiosen Leistung die entscheidenden Punkte für den Sieg.
Zu bemerken ist, dass Sportdokumentarfilme, vor allem wenn sie in serieller Form erscheinen, in Gefahr stehen, ein Spekulationsgeschäft zu sein. Es geht nicht darum, etwas Besonderes darzustellen oder herauszubekommen, wie es für das dokumentarische Genre üblich ist. Es geht eher darum, Vorhandenes auf eine neue Art aufzubereiten. Deshalb gelten sie nur selten den unbekannten Feldern des Sports, sondern in der Hauptsache den Sportarten, die ohnehin in Live-Übertragungen gezeigt und gefeiert werden. Zugleich unterliegen die den Moden des Mediensports folgenden Filme selbst den Bedingungen des Marktes: Wie will man kritisch etwas untersuchen, von dem man selbst lebt? Der Fünfteiler des BR über 1860 München beweist, dass man das kann.
infobox: Dietrich Leder hat folgende Sportdokumentationen gesichtet: "Mythos Borussia - Eine Legende wird 125", Regie und Buch: Jens Westen (Wow/Sky seit 29.8.25) "Tradition und Träume: Die 2. Bundesliga 2024/25", Regie und Buch: Christoph Küppers (Wow/Sky seit 8.8.25) "Rudi Völler: Es gibt nur einen", Regie und Buch: Marc Schlömer (Wow/Sky seit 3.10.25) "Großes Tennis - Made in East Germany", Regie und Buch: Christoph Eder, Markus Brauckmann (ZDF-Mediathek seit 19.9.25) "Rise & Fall of 1860 München", Regie und Buch: Lennart Bedford Strohm, Robert Grantner, Christoph Nahr, Maximilian Stockinger (ARD-Mediathek/BR seit 25.10.25) "Court of Gold", Regie und Buch: Jake Rogal (Netflix seit 18.2.25)
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Text: Dietrich Leder war bis 2021 Professor für Fernsehkultur an der Kunsthochschule für Kunst und Medien in Köln und ist Autor von epd medien.
Zuerst veröffentlicht 14.11.2025 11:30
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Sport, Streaming, Dokumentationen, Leder
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