"Offener, faktenbasierter Diskurs" - epd medien

17.11.2025 10:30

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat ein "Policy Paper" veröffentlicht, in dem sie fordert, Online-Plattformen stärker zu regulieren und diese zu verpflichten, ihre Inhalte selbst auf Rechtsverstöße zu durchsuchen. Plattformen müssten für ihre Inhalte haften und die Auffindbarkeit publizistisch relevanter Inhalte garantieren. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, sagte: "Wenn Plattformen funktional wie redaktionelle Medien agieren, sind sie auch entsprechend zu regulieren - mit den damit einhergehenden Rechten und überprüfbaren Pflichten." Im Folgenden dokumentieren wir das "Policy Paper: Plattformregulierung" von ver.di, das am 4. November veröffentlicht wurde.

Policy-Paper von ver.di zur Plattformregulierung

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert, Online-Plattformen wie Tiktok und X strenger zu regulieren

Durch die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden Online-Plattformen längst nicht mehr neutrale Mittler diverser Inhalte, sondern werden selbst zum kuratierenden Medium. Der Raum für Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformation ist immens. Um die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu stärken, besteht akuter Handlungsbedarf.

Mit der Ankündigung, die Zusammenarbeit von Facebook mit Faktencheck-Teams aufzukündigen, brach der Inhaber eines der größten global agierenden Sozialen Netzwerks Mark Zuckerberg im Januar 2025 mit der bisherigen Digitalpolitik insbesondere der Europäischen Union. Diese hatte sehr große Online-Plattformen als demokratierelevante Infrastrukturen zunehmend in die Verantwortung genommen.

Einfluss großer Plattformen begrenzen

Dass Digitalplattformen an der Qualitätssicherung sparen, ist jedoch kein reines US-Phänomen. So hat Tiktok in Berlin im Herbst 2025 etwa 150 Mitarbeitenden gekündigt - und damit der gesamten Abteilung, die mit der Prüfung auf Zulässigkeit von Inhalten betraut war.

In der EU schreibt der DSA (Digitale Dienste Gesetz) Online-Plattformen wie sozialen Netzwerken oder Onlinehändler*innen vor, Maßnahmen zu ergreifen, um Nutzer*innen vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen. Das Gesetz über Digitale Märkte (DMA) will den Einfluss großer Plattformen begrenzen und das Umfeld für Mitbewerber und Verbraucher*innen verbessern. Die meisten Pflichten kommen Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen Usern in der EU zu (beispielsweise Tiktok, Facebook, Amazon oder Google). Die europäische KI-Verordnung (AI Act) schließlich soll unter anderem die Risiken im Zusammenhang mit generativer Künstlicher Intelligenz minimieren und die Wahrung von Urheberrechten gewährleisten.

Problematische Meinungsmacht der Big-Tech-Monopole

Traditionell ist es Aufgabe der Länder, das Vorherrschen von Meinungsmacht zu verhindern. Die Bundesregierung soll sicherstellen, dass Wirtschaftsmacht nicht missbraucht wird. Gegen die problematische Meinungsmacht der Big-Tech-Monopole müssen zweifellos beide Ebenen gemeinsam aktiv werden und sich für eine EU-weite Harmonisierung einsetzen. Denn in der Praxis kommen die Big-Tech-Plattformen diversen Vorgaben des DSA (etwa in Bezug auf Meldewege, Forschungsdatenzugang oder suchtförderndes Design) nur unzureichend nach. Die Transparenzvorgaben des AI Act sind noch ungeeignet, um Fakes, die das Vertrauen in Medien erodieren, zu verhindern oder um die Durchsetzung von Urheberrechten zu gewährleisten.

Während Eigner der marktdominierenden Plattformen diese teilweise für politische Zwecke missbrauchen, droht die US-Regierung der EU mit Strafen, sollte sie US-amerikanische Tech-Anbieter regulieren. Und auch die EU-Kommission selbst weicht unter dem Vorwand, die Wettbewerbsfähigkeit stärken zu wollen, mit einer breiten "Entbürokratisierung", also Deregulierung, bestehende Regeln unter anderem in der Digitalpolitik auf. In diesem politischen Spannungsfeld ist die Bundesrepublik besonders gefragt, die regelbasierte Werteordnung mit Fokus auf Grundrechten, Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflichten konsequent zu vertreten und zu verteidigen. Der Druck aus den USA und von großen Tech-Konzernen darf nicht dazu führen, dass Europa einknickt.

Wenige Unternehmen, teils in der Hand einzelner Personen mit wirtschaftlichen und ideologischen Interessen, kontrollieren unsere digitalen Kommunikationsräume. Diese bestehende Abhängigkeit bedroht demokratische Freiheiten. Es ist höchste Zeit, die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu schützen.

Resilienz der Demokratie stärken

Damit Medienplattformen nicht entgleisen, sondern sich im Rechtsrahmen bewegen, ist eine Plattformregulierung erforderlich, die Medieninhalte zuverlässig und überprüfbar in Bezug auf Persönlichkeitsrechte, Jugendschutz, Verhinderung von Hassrede und Grundrechtsverstößen usw. kontrolliert.

KI kann eine zunehmend hilfreiche Rolle spielen, um diese Prüfung effizienter zu gestalten, bedarf aber aktuell immer noch einer menschlichen Kontrolle. Bislang sind es jedoch vornehmlich Dritte (beispielsweise Landesmedienanstalten), die Online-Angebote nach verstörenden und illegalen Inhalten durchsuchen und bestätigte Verstöße zur Anzeige bringen. Die Plattformen selbst sind hierzu nicht verpflichtet (Providerprivileg). Wenn menschliche Moderation von Plattforminhalten durch KI-Lösungen ersetzt wird, droht die Qualität des dortigen Angebots weiter abzusinken. Dass die gewinnorientierten Plattformen auf diese Weise noch weniger Verantwortung für die Inhalte übernehmen, ist inakzeptabel. Weitere Digitalisierung und Automatisierung darf nicht auf Kosten guter Arbeit und Daseinsvorsorge gehen.

Online-Plattformen in die Verantwortung nehmen

Die algorithmisch gesteuerte Gewichtung und Verbreitung von Inhalten auf digitalen Plattformen, auf denen sich wesentliche Teile gesellschaftlicher Kommunikation abspielen, stellt eine neue Form der Meinungsmacht dar, die mit einer entsprechenden Verantwortung einhergehen muss. Die bisherige Einstufung dieser Plattformen als bloße Intermediäre wird der tatsächlichen redaktionellen Einflussnahme durch die nach programmierten Algorithmen gesteuerten Feeds längst nicht mehr gerecht. Beispiele wie die Drosselung politischer Inhalte bei Instagram, die manipulierte Reichweite der Posts von Elon Musk auf X oder die Privilegierung der AfD bei der Tiktok-Suche im Zuge der Europawahlen 2024 verdeutlichen die Notwendigkeit einer Neubewertung dieser Angebote: Wenn Plattformen funktional wie redaktionelle Medien agieren, sind sie auch entsprechend zu regulieren - mit den damit einhergehenden Rechten und überprüfbaren Pflichten (z. B. für die Gewährleistung verfassungskonformer Inhalte).

Zur Sicherung vertrauenswürdiger Informationsangebote für unsere Gesellschaft muss die Finanzierungsgrundlage von journalistisch-redaktionellen Inhalten auch unter digitalen Bedingungen langfristig gesichert bleiben. Doch inzwischen fließt die Hälfte des Netto-Werbeumsatzes an nur drei Tech-Plattformen. Monopolartige Strukturen sind in gesellschaftlich sensiblen Bereichen wie der Kommunikationsinfrastruktur inakzeptabel.

KI als Beschleuniger digitaler Monopolbildung einhegen

Das Geschäftsmodell tracking-basierter Online-Werbung hat den Tech-Konzernen über die Jahre große Mengen an Nutzer*innendaten verschafft. Hiermit konnten die Unternehmen KIs trainieren, welche die Monopolstellung der dominanten Akteure nun wiederum verfestigen. Schon jetzt bedroht beispielsweise der Missbrauch der Marktposition durch Google das Geschäftsmodell von redaktionellen Medien. Ihre Inhalte werden von Googles AI zwar ausgewertet, durch ein verändertes Design durch User*innen aber kaum noch aufgerufen werden ("Google Zusammenfassung").

DMA und KI-Verordnung haben dieses und anderes demokratieschädigendes Marktagieren nicht verhindern können. Der KI-Disruption zugrunde liegt ein eklatanter Raubzug an Kreativen. Die massenhafte Verwendung auch journalistischer Werke zum Training von KI-Modellen ohne Vergütung der Urheber*innen ist nicht hinnehmbar.

Gefährdung der Kommunikationsgrundlage

Zudem sind die Fehlerquoten von KI-Chatbots, welche die Informationssuche im Internet zunehmend ersetzen, alarmierend hoch. Unzutreffende Angaben werden nicht als solche kenntlich gemacht, vermeintliche Quellen erfunden. Auch KI-basierte Ton- und Bildgeneratoren vermögen Ergebnisse zu produzieren, die bar jeder faktischen Grundlage sind, aber plausibel wirken. Deren Verbreitung stellt die Glaubwürdigkeit von Informationen insgesamt infrage - eine Gefährdung der Kommunikationsgrundlage unserer Gesellschaft.

Gemeinwohlorientierte Alternativen fördern

Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft & Co. haben über mehrere Märkte hinweg monopolartige Strukturen geschaffen, die Wettbewerb verhindern und unserer Demokratie ernsten Schaden zufügen. Um uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien, gilt es, eine europäische Alternative aufzubauen - womöglich jenseits des Plattformmodells.

Die öffentlich-rechtlichen und privaten Medienhäuser arbeiten bereits an einer gemeinsamen digitalen Medieninfrastruktur. Dies kann jedoch nur ein Anfang hin zu einer europäischen Alternative zu den Big-Tech-Monopolen sein, die es mit öffentlichen Mitteln und Aktivitäten zu flankieren gilt.

Ein offener, faktenbasierter Diskurs und der Schutz vor malevolenter Einflussnahme sind Grundpfeiler einer lebendigen und wehrhaften Demokratie. Angesichts der Dynamik der Monopolbildung im Digitalen, der damit verbundenen Meinungsmacht und autoritärer Tendenzen ist die Politik gefragt, diese Herausforderungen zur Priorität zu machen.

dir



Zuerst veröffentlicht 17.11.2025 11:30

Schlagworte: Medien, Medienpolitik, Internet, Plattformen, ver.di, Policy Paper

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