Ein Kleinod im Programm - epd medien

18.11.2025 09:42

Für die Dokumentation "Lutwi, der Junge aus der Nordstadt" haben drei Autoren den jungen Roma aus dem Kosovo, den sie vor zehn Jahren schon einmal begleitet hatten, in Dortmund wieder besucht. Entstanden sei ein leiser Film, der Zwischentöne zulässt, lobt René Martens.

WDR-Dokumentation "Lutwi, der Junge aus der Nordstadt"

Lutwi am Dortmunder Hafen

epd Seit den "Stadtbild"-Äußerungen von Friedrich Merz rücken sogenannte Problemviertel wieder stärker in den Fokus. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Maria Westphal schrieb Anfang November in einem Gastbeitrag für das Magazin "Cicero": Wer an Orten wie der Dortmunder Nordstadt die Straßen entlanggehe, blicke "auf Fassaden, die mehr erzählen als jede Statistik: Wir befinden uns in einem Land, das seine Kontrolle verloren hat."

Wie der Alltag einer Familie in der Nordstadt jenseits solcher schablonenhaften Beschreibungen aussieht, erzählen Jürgen Brügger, Jörg Haaßengier und Gerhard Schick in ihrem 38 Minuten langen Dokumentarfilm "Lutwi, der Junge aus der Nordstadt". Brügger, Haaßengier und Schick haben ihren Protagonisten, den heute 22-jährigen Lutwi, bereits vor zehn Jahren begleitet - für ein dokumentarisches Großprojekt des WDR über Kinder aus der Nordstadt. Ihr Film über den Sohn einer aus dem Kosovo stammenden Roma-Familie wurde 2017 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Angst vor Abschiebung

Zu Beginn des ersten Films sagte der damals zwölfjährige Lutwi: "Also, ich hab’ Angst, dass die nachts hier reinkommen und dann einfach uns abholen und wegschieben. Ich will nicht abgeschoben werden." Mit dieser Szene beginnt auch der neue Film, der für die Reihe "Menschen hautnah" entstanden ist. Denn die Angst, nicht in Deutschland bleiben zu können, ist in Lutwis Familie weiterhin präsent. Seine Eltern sind nur geduldet, er selbst hat derzeit nur eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, die ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gewährt. Der Aufenthaltsstatus seines älteren Bruders Ibo ist gefährdet, weil er als alleinerziehender Vater einem Teilzeit-Job nachgeht, die Ausländerbehörde aber eine Vollzeitstelle verlangt.

Im ersten Film sieht das Publikum Lutwi als aufgeweckten Jungen, dem die Lehrer das Abitur zutrauen. Zehn Jahre später lässt sich feststellen: Es ist nicht alles glatt gelaufen in Lutwis Leben. Er lebt immer noch bei seinen Eltern - zusammen mit seiner Schwester und einem jüngeren Bruder. Seine Ausbildung als Garten- und Landschaftsbauer hat er abgebrochen. Er hörte auf "falsche Freunde", machte "ein, zwei Sachen, die man nicht machen wollte" und landete im Jugendarrest. Jetzt bewirbt er sich bei der Deutschen Bahn als Sicherungsposten, der zum Beispiel Gleisbauarbeiten überwacht. Die Autoren begleiten ihn auf dem Weg zu den Prüfungen.

Ein leiser Film

Lutwis Leben findet zu einem großen Teil immer noch draußen statt. Heute lässt er sich zwar nicht mehr auf der Straße mit dem Wasserschlauch nassspritzen, aber auf dem Bolzplatz tobt er sich immer noch aus. Und für ein Nachtleben, wie es ein 22-jähriger gern führen würde, reicht das Geld nicht. Lutwi kann sich nur am Kiosk Getränke kaufen und mit Freunden in der Innenstadt abhängen.

Dieser ohne Kommentar auskommende Dokumentarfilm ist ein Kleinod im Programm der ARD. Die Autoren lassen sich auf ihren Protagonisten ein und stellen ihn nicht in den Dienst einer im Exposé vorgezeichneten Dramaturgie oder vorformulierten These. Sie wollen verstehen, nicht erklären. "Lutwi, der Junge aus der Nordstadt" ist ein leiser Film, der Zwischentöne zulässt - und solche Filme über Migration und Problemviertel sind leider sehr selten.

"Lutwi, der Junge aus der Nordstadt" zeigt auch, dass der kurze Dokumentarfilm weiterhin ein fruchtbares Genre ist. Leider wird es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schon lange sträflich vernachlässigt.

infobox: "Menschen hautnah: Lutwi, der Junge aus der Nordstadt", Regie und Buch: Jürgen Brügger, Jörg Haaßengier, Gerhard Schick, Kamera: Jörg Haaßengier, Produktion: Ehrenfilm (WDR Fernsehen, 13.11.25, 22.45-23.30 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 18.11.2025 10:42

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, Dokumentation, Brügger, Haaßengier, Schick, Martens KWDR

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