Die Psychiatrie als Schutzraum - epd medien

20.11.2025 10:12

Die fünf Jugendlichen in der ARD-Serie "Stabil" sind genau das nicht, was der Titel verspricht. Aus der Bahn geworfen, versuchen sie in der Jugendpsychiatrie, mit sich und ihrem Erwachsenwerden ins Reine zu kommen und ihren Weg zu finden.

ARD-Serie "Stabil" über mentale Gesundheit

Nach dem Unfalltod ihrer Schwester kommt die 16-jährige Greta (Luna Mwezi) in die Jugendpsychiatrie

epd Greta (Luna Mwezi) hat nachts nach dem Clubbesuch mit dem Motorroller einen Unfall gebaut, bei dem ihre Schwester Nele als Sozia ums Leben kam. Seither quält sich die 16-Jährige mit Schuldgefühlen. Nach einem Suizidversuch wird bei ihr eine schwere posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Sie wird in der Jugendpsychiatrie aufgenommen und trifft dort auf andere Jugendliche, die ebenfalls psychische Probleme zu bewältigen haben.

Ersan (Uhud Karakoç), der sich beim Gaming "Killer" nennt, ist wegen seiner Spielsucht hier, Alireza (Caspar Kamyar) kämpft mit Depressionen, die 14-jährige Michelle (Katharina Hirschberg) fühlt sich in ihrer Familie ausgeschlossen: ihre Mutter hat einen neuen Partner und mit ihm zwei kleine Kinder, in ihrer Hilflosigkeit reagiert Michelle mit Selbstverletzungen und Regression, indem sie sich nicht wäscht. Besonders schlimm dran ist Frederick alias Fresse (Beren Zint), der keine Eltern, aber bereits eine Odyssee durch vier Heime und acht betreute Wohngruppen hinter sich hat und seine Ausraster und Wutausbrüche kaum kontrollieren kann. Die Station ist seine letzte Chance.

Einfühlsamer Umgang

In der Jugendpsychiatrie herrschen die üblichen Regeln: keine Handys, keine Gegenstände, mit denen man sich selbst verletzen könnte, und "KKKuKK" (kein Körperkontakt unter Klinikkindern). Doch wie hart man vorgeschriebene Reglements durchsetzen muss, darüber gibt es beim Klinikpersonal durchaus unterschiedliche Ansichten. Die Ärztin Sarah Kim (Abak Safaei-Rad) und Betreuer Uwe (Ronald Zehrfeld) tendieren eher zu einem einfühlsamen Umgang, in dem ihre Schützlinge an erster Stelle stehen.

Jugendliche mit psychischen Problemen, die versuchen, in der Psychiatrie ihren eigenen Weg zu finden, sind seit einiger Zeit häufiger das Thema von TV-Produktionen, etwa in den Mini-Serien "Oh Hell" oder "Hungry". Die besorgniserregende Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche psychologischer Hilfe bedürfen, wird so wenigstens in den Medien aufgegriffen, während sich die Politik eher in Ignoranz übt.

Mobbingerfahrungen

Auch "Stabil" zeigt die Psychiatrie als einen Schutzraum, in dem den Jugendlichen Zeit und Aufmerksamkeit gegeben wird, damit sie herausfinden können, was mit ihnen los ist, und ihren Weg finden. Dabei entstehen auch neue Dynamiken zwischen den Kids - und natürlich darf dabei, KKKUKK hin oder her, eine Romanze nicht fehlen: zwischen Greta und Alireza keimen Gefühle auf.

Der raue, verschlossene Frederick wiederum, der nie eine Familie hatte, wird für Michelle so etwas wie ein großer Bruder mit Beschützerinstinkten, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. So werden diese Dynamiken auf ihre Weise auch als Teil der Therapie verdeutlicht.

Geschickt werden die individuellen Geschichten verwoben: So verbirgt sich hinter Alirezas Depressionen auch Angst, ausgelöst durch Mobbingerfahrungen mit seinem Schulkameraden Jerome. Jerome wird wiederum später von Frederick zusammengeschlagen: weil er Alireza bei einer zufälligen Begegnung wieder gemobbt und in den Schwitzkasten genommen hatte - aber auch, weil er Frederick dazu noch provozierte. Was wiederum die Frage nach sich zieht, ob Alireza endlich den Mut findet, von Jeromes Quälereien zu erzählen, um damit Frederick zu entlasten.

Tieferliegende Konflikte

Es ist natürlich der Dramaturgie geschuldet, dass Greta im Verlauf einer Schlüssel-Therapiesitzung Zugang zu tieferliegenden Konflikten mit der verstorbenen Schwester findet - in der Realität dürfte das ein eher langwieriger Prozess sein. Dagegen werden etwa Michelles schwierige familiäre Verhältnisse - eine überforderte Mutter, die sehr früh ihr erstes Kind bekommen hat, ein Stiefvater, der Michelle als störende Altlast ansieht - ausschließlich szenisch erzählt: Man muss nur sehen, wie die Mutter und ihr Partner Michelle nach einem neuen Versuch zu Hause wieder zurück in die Klinik bringen und sie dort abstellen wie einen alten Koffer.

Das junge Ensemble ist durchweg beeindruckend: Was den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern möglicherweise noch an Erfahrung fehlt, machen sie durch großes Einfühlungsvermögen und Authentizität wett. Ihre Fähigkeit, ein breites Spektrum an Emotionen zu zeigen, ist enorm, da hätte es der artifiziellen Farbenspiele (so sollen blauviolett eingefärbte Szenen Flashbacks verdeutlichen) gar nicht bedurft.

Einer sticht besonders hervor: Beren Zint als Frederick ist eine Wucht, geradezu eine von Gerechtigkeitssehnsucht getriebene Naturgewalt. Zwischen seinen (Auto-)Aggressionsschüben legt er eine feine Sensibilität für die Gefühle seiner Mitmenschen an den Tag. Und man muss noch nicht mal die Narben auf seinem Rücken gesehen haben, um zu verstehen, warum es Frederick triggert, wenn sich ihm jemand von hinten nähert. Bei Zint sieht man das Unheil förmlich in seiner verschlossenen Miene aufziehen - die sich, ganz am Ende, zu einem so breiten Lächeln (mit frischer Zahnlücke) öffnet, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

infobox: "Stabil", sechsteilige Serie, Regie: Teresa Fritzi Hoerl, Sinje Köhler, Buch: Teresa Fritzi Hoerl, Mareike Almedom, Berthold Wahjudi, Sarah Claire Wray nach einem Konzept von Chiara Grabmayr und Teresa Fritzi Hoerl, Kamera: Friede Clausz, Produktion: Rat Pack Filmproduktion, Lemonpie Film (ARD-Mediathek/Degeto seit 14.11.25, One, 15.11.25, 23.30-2.35 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 20.11.2025 11:12

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serie, Hoerl, Köhler, Almedom, Wahjudi, Wray, Grabmayr, Steglich

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