Gegen Wände laufen - epd medien

25.11.2025 10:53

In der Dokumentation "Babo - die Haftbefehl-Story"bei Netflix sieht man dem Rapper Aykut Anhan dabei zu, wie er sich ruiniert. Nicht umsonst reden alle über diesen Film, meint Elisa Makowski.

Dokumentation "Babo - Die Haftbefehl-Story" bei Netflix

Aykut Anhan alias Haftbefehl

epd Um die Netflix-Dokumentation über Haftbefehl, der eigentlich Aykut Anhan heißt, gut zu finden, muss man kein Fan sein. Aber es schadet auch nicht. Der Film ist gewissermaßen eine Fortsetzung der Musik Haftbefehls. Frankfurter Straßen-Rap gilt ja als hart. Hart, aber herzlich. Und so ist auch dieses Bio-Pic über den bisher besten und bekanntesten deutschen Gangster-Rapper. Sie ist harter Tobak und geht direkt ins Herz. Die Zuschauer goutieren das: Die Dokumentation lag zwischenzeitlich auf Platz eins der deutschen Netflix-Charts.

Das liegt natürlich vor allem an Hafti selbst - das "H" so ausgesprochen wie das "ch" in "Dach". An diesem Ausnahme-Künstler, der wie kein anderer mit seinen Lines die Melancholie und Depression in den Deutsch-Rap gebracht hat: "Trau dich nicht in unsre Gegend, denn traurig unser Leben. Scheiß drauf, robb' das Yayo, und lauf rum mit Augen wie 'n Esel", rappt er 2021. Mit "Yayo" ist umgangssprachlich Kokain gemeint, der Stoff, den sich Haftbefehl reinzieht, seit er 13 Jahre alt ist.

Auf die Hochs folgen die Abstürze

Das hinterlässt Spuren. Im Körper und in der Seele. Kokain verätzt die Nasenschleimhäute - und es ist schockierend zu sehen, wie sich Anhan auch rein optisch verändert hat. Kokain verändert das Wesen, geht auf das Herz, den Kopf. Auf die Highs folgen die Downs. Und die 90 Minuten lange Dokumentation "Babo - die Haftbefehl-Story" von Juan Moreno (der beim "Spiegel" einst Claas Relotius als Fälscher enttarnte) und Sinan Sevinç zeigt alles: Die Highs, die Konzerte, in der ausverkauften Frankfurter Jahrhunderthalle, mit einem Haftbefehl, der alles gibt: "Wenns um die Kunst geht, dann ist mir alles egal."

Und da sind die Downs, mehr als Highs, das vor allem ist die Stärke der Dokumentation. Während die erste Hälfte etwas langatmig mit wenig Bildern auskommt, nimmt die zweite Hälfte an Fahrt auf. Das liegt an der Geschichte des Absturzes, beginnend mit dem Rückgriff auf Anhans Lebensgeschichte im Offenbach der 80er und 90er Jahre.

Am Ende des Films fragt Regisseur Juan Moreno, warum alle Szenen gezeigt werden dürfen, und Haftbefehl bekennt sich brutal ehrlich zu seinem Leben: "Warum? Lügen? Nein, das will ich nicht. Was ist denn die Wahrheit, Alter? Dass ich die ganze Zeit zehn nackte Frauen neben mir habe, oder was? Das ist ein Hip-Hop-Video, Digga, vergiss die Realität nicht, weißt du, was ich meine? Die Realität ist: das."

Die Dämonen bleiben

Und "das" wird schonungslos gezeigt: Die Depression nach dem Rausch, das unkontrollierte Nasenbluten, die körperlichen Schmerzen, seine Familie, die unter der Last, mit einem Junkie leben zu müssen, zerfällt. Die Dokumentation ist ein Anti-Drogen-Film, eine bessere Aufklärungskampagne gibt es nicht. Sehr zu Recht fordern Schüler, den Film in den Schulen zu zeigen. Denn dies ist auch ein Film, der aufklärt über chronische psychische Krankheiten. Über die Dämonen, die bleiben, auch nach Therapien und nach dem Entzug.

Der Schmerz ist so groß, er reicht nicht für einen - dann müssen ihn alle tragen. Wie zum Beispiel Aykuts Bruder Cem ("Capo"), der eine sehr große Rolle in der Dokumentation einnimmt - zu Recht, weil er für die Liebe steht, die Aykut zuteilwird, die er aber nicht fühlen kann. Cem kämpft für seinen Bruder. Dabei zuzusehen, rührt an und macht wütend zugleich. Wie schwer muss das sein, immer wieder gegen Wände zu laufen.

Zusammenhalten, auch wenn es weh tut

Auch Nina läuft gegen Wände, Haftbefehls Ehefrau. Der Typ ist Straße und geht auf die Straße, sie macht das Haus schön. Von Schwester zu Schwester möchte man sagen: Lauf, Nina, lauf. Rette dich und deine Kinder, die ebenso wenig einen Vater haben, wie Haftbefehl ihn hatte. Um die Abwesenheit des Vaters kreist das ganze tragische Leben von Aykut. Doch sie liebt ihn, sagt sie, natürlich, den Vater ihrer zwei Kinder, das muss als Erklärung reichen. Zusammenhalten ist alles, auch wenn's weh tut - gerade für Frauen ist das ein toxisches Mantra. Man sieht eine Co-Abhängige. Auch das so ehrlich zu zeigen, ist brutale Pädagogik im besten Sinne.

Eingeordnet wird da gar nichts. Die nachgestellten Szenen kommen ohne Erklärung aus, es gibt keine Expertin für Suchterkrankungen, die sagt, was man sieht: Dauerhaft Drogen zu konsumieren, ist keine gute Idee. Es fehlt auch der selbst von intersektionalem Rassismus betroffene Wissenschaftler, der erklärt, was Prekariat, migrantisches Milieu und Suchterkrankungen für eine explosive Mischung ergeben können. Gut, dass sie fehlen, die Botschaft kommt auch so an.

infobox: "Babo - die Haftbefehl-Story", Dokumentation mit Haftbefehl/Aykut Anhan, Regie und Buch: Juan Moreno, Sinan Sevinç, Produktion: 27 KM'B Pictures, Constantin Film (Netflix, seit 28.10.25)



Zuerst veröffentlicht 25.11.2025 11:53 Letzte Änderung: 25.11.2025 13:46

Elisa Makowski

Schlagworte: Medien, Streaming, Kritik, Kritik.(Streaming), Dokumentation, KNetflix, Moreno, Sevinç, Haftbefehl, Makowski, em, NEU

zur Startseite von epd medien