27.11.2025 09:49
Krimi-Dinner mit Jessy Wellmer in der ARD
epd Das sei doch alles "nur ein schlechter Scherz", glaubt der Sohn, aber nein: Die Stiefmutter liegt nach wie vor vergiftet hinterm Vorhang. Auch die ARD hat dieses als "packendes Live-Krimi-Event" angekündigte vermeintliche Spektakel ernst gemeint. Das "Krimi-Dinner" sollte laut Moderatorin Jessy Wellmer "das TV-Krimi-Ereignis des Jahres" werden; tatsächlich wurde die Sendung der Langweiler des Jahres.
Dass das Erste die Erwartungen an das "intensive Spiel aus Verdacht, Täuschung und überraschenden Enthüllungen" mit Formulierungen wie "unvorhersehbar und spannungsgeladen bis zur letzten Minute" zusätzlich schürte, hat die Fallhöhe noch mal vergrößert: Die 150 Minuten zogen sich stellenweise ganz erheblich, weil oftmals schlicht nichts passierte. Womöglich hat den Verantwortlichen schon geschwant, dass viele Menschen zwischendurch auch mal wegschalten werden, weshalb Axel Prahl als Spielleiter Harry die Ereignisse mehrfach zusammenfassen musste; eine Redundanz wie im Wissensmagazin aus dem Kinderfernsehen.
Das entscheidende Manko war jedoch die Ensembleleistung. Im Fußball würde man sagen: Es standen zwar elf Spieler auf dem Platz, aber keine Mannschaft. Wenn nicht gerade was passierte, weil der Kronleuchter von der Decke plumpste, David Alaba im Bad als virtuelle Spiegelexistenz auftauchte, der Strom ausfiel oder wieder mal jemand starb, standen die Mitwirkenden die meiste Zeit bloß beschäftigungslos herum. Deshalb erinnerte die Konstellation an das Comedy-Format "LOL: Last One Laughing" (Amazon Prime), aber natürlich ohne Comedy.
In solchen Momenten, von denen es eine ganze Menge gab, offenbarte sich der Nachteil des improvisierten Spiels: Die handelnden Personen kannten ihre Figuren, jedoch nicht den Ablauf; doch wenn alle darauf warten, dass einer den ersten Schritt macht, passiert erst mal gar nichts. Das entsprach immerhin dem Rollenentwurf für Juergen Maurer als düsterer Bodyguard; der Österreicher verkörpert seine Filmfiguren ohnehin gern und mit Erfolg nach der Devise "Aura genügt".
Darüber hinaus zeigte sich bald, wie dünn die Handlung war, selbst wenn das Autorenduo Nils Willbrandt (auch Regie) und Michael Gantenberg eine typische Agatha-Christie-Welt entworfen hatten: ein einsam gelegenes, sturmumtostes Schloss, das schließlich wegen einer Lawine von der Außenwelt abgeschnitten ist, eine siebenköpfige Mischpoke, die den runden Geburtstag des Patriarchen feiert, einander jedoch in herzlicher Abneigung verbunden ist; und natürlich ein Mord.
Im Hinterzimmer zieht Harry die Fäden und überwacht das Spielgeschehen, im Vordergrund tummelt sich Jan Josef Liefers als Maître de Plaisir, der ein bisschen kriminalisieren darf. Prahl und Liefers waren sichtlich darum bemüht, nicht zu oft in ihre "Tatort"-Muster zu verfallen. Gänzlich verleugnen sollten (oder wollten) sie das Duo Thiel und Boerne jedoch nicht. Aus unerfindlichen Gründen mischte außerdem Bill Kaulitz als Partyplaner und Pausenclown mit. Seine Rolle bestand im Wesentlichen darin, regelmäßig kleine Konfettikanonen abzufeuern, was die anwesenden Damen zuverlässig zum Kreischen brachte.
Natürlich hat das Autorenduo dafür gesorgt, dass sämtliche Figuren ein handfestes Motiv hatten, der vergifteten zweiten Gattin (Martina Hill) von Spielefabrikant Kampstahl (Uwe Ochsenknecht) nur das Schlechteste zu wünschen, echte Tiefe bekam jedoch keine von ihnen. Krimi-Fans hätten vermutlich am ehesten auf die Ex-Frau als Täterin getippt, zumal Andrea Sawatzki, zunächst nur als Foto präsent, nicht auf der Besetzungsliste stand, aber die Dame war gar nicht eingeladen. Der Kreis der Verdächtigen beschränkte sich ausdrücklich auf die Anwesenden. Später tauchte sie wie eine Dea ex machina doch noch auf, aber da musste schon alles ganz schnell gehen, weshalb ein gemeinsamer Ausflug des Ensembles in den Keller abrupt und ergebnislos endete; zuvor war wohl schlicht zu viel Zeit verplempert worden.
Zwischendurch versuchte Jessy Wellmer, das Publikum zu motivieren, sich telefonisch an der Auflösung zu beteiligen. Skurrilerweise hielten zunächst erstaunlich viele Leute das Mordopfer für die Täterin. Die Plaudereien der Moderatorin mit prominenten Studiogästen wie Philipp Hochmaier, Herbert Knaup oder Hendrik Duryn hatten zur Wahrheitsfindung allerdings rein gar nichts beizutragen, und so bleibt unterm Strich allein der Respekt vor der Live-Regie. Ein einziges Mal unterlief Ladislaus Kiraly ein Fauxpas, als kurz ein Kameramann durchs Bild huschte, aber ansonsten entsprach die Inszenierung einem klassischen Fernsehspiel: Vor 70 Jahren entstanden sämtliche TV-Produktionen auf diese Weise.
infobox: "Tödliches Spiel - Das Live-Krimi-Dinner", Moderation: Jessy Wellmer, Regie: Nils Willbrandt, Ladislaus Kiraly, Buch: Nils Willbrandt, Michael Gantenberg, Produktion: Constantin Entertainment (ARD/Degeto/SR/ORF, ARD, 22.11.25, 20.15-22.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 27.11.2025 10:49
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Improvisation, Wellmer, Gangloff
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