Krähe, wem Krähe gebührt - epd medien

28.11.2025 09:07

Was wäre, wenn man übergriffige Männer einfach in Federvieh verwandeln könnte? Oder wenigstens in selbstkritische Menschen? In Laura Naumanns witzig abgründigem Mystery-Krimi-Hörspiel "Die Enthauptung" fangen barocke Gemälde zu sprechen an, und verschlägt es einem erklärten Feministen die Sprache.

Deutschlandfunk-Hörspiel "Die Enthauptung"

epd Quentin Tarantino schrieb 2019 mit "Once Upon A Time in Hollywood" eines der grässlichsten Verbrechen der jüngeren Geschichte einfach um: Die Manson-Familiy wird in der Schlusssequenz selbst umgebracht, bevor sie der schwangeren Sharon Stone und den anderen schaden könnte. Eine Korrektur, eine "Anmaßung wie nicht von dieser Welt", jubelte die Kritik zu Recht und feierte dafür den Regisseur, der bereits in "Inglourious Basterds" das Ende des Zweiten Weltkriegs umgeschrieben hatte und in "Django Unchained" die Geschichte der Sklavenbefreiung.

Fiktive Rachegeschichten, seien wir ehrlich, tun gut. Zu erfahren, wie es einmal die Richtigen trifft - die Moral macht Kaffeepause - hilft gegen Ohnmachtsgefühle. So psychohygienisch funktioniert auch Laura Naumanns Krimi-Hörspiel mit Mystery-Elementen "Die Enthauptung". Klug konzipiert und amüsant umgesetzt geht Naumann mit der Jahrtausende alten Tradition männlicher sexualisierter Gewalt ins Gericht - im Realen wie in der Kunst.

Mit Lust und Schaudern

Der Titel spielt an auf Judith, jene biblische Gestalt, die dem Besatzer Holofernes den Kopf abschnitt und damit das Volk Israel rettete. Ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte, ebenso wie die badende Susanna, die von zwei alten Männern begafft und mit anzüglichen Bemerkungen eingeschüchtert wird; oder wie Lucretia, die nach ihrer "Schändung" aka Vergewaltigung den Dolch gegen sich selbst und ihren Busen wendet und dadurch als besonders tugendhaft galt. Man(n) sah hin mit Lust und Schaudern.

Erzählerischer Brennpunkt des Hörspiels sind Gemälde der (realen) barocken Malerin Artemisia Gentileschi, gefeiert zu ihrer Zeit, dann vergessen und Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. Ein fiktives Museum zeigt nun eine Retrospektive, und der kultivierte, nach Eigenaussage Frauen verehrende Museumswärter Adam (distinguiert: Peter Jordan) passt auf die Kunstwerke auf, wenn er nicht gerade seiner Youtube-Sucht nachgibt und Salsa-Videos schaut. Gentileschi spricht aber plötzlich geisterhaft aus ihren Gemälden und befragt sich und uns, etwa zu Lucretia: "Soll sie wirklich doppelt bezahlen? Was soll diese Ehre sein, die ihr innewohnt und die entwendet werden kann, auf deren Zerstechung sie so geil sind seit Jahrtausenden?" Nach Naumanns Lesart besteht bei Gentileschi die Rache darin, Lucretia zögern zu lassen. Was, wenn sie sich einfach doch nicht ersticht?

Komischerweise taucht in letzter Zeit Vogelkot überall im Museum auf, außerdem eine mysteriöse Frau mit Baby auf dem Arm; dann schleift eine alte Dame (furchteinflößend: Almut Zilcher) ihren erwachsenen Sohn Tobias (Moritz Treuenfels) an den Haaren hinter sich her, laut schreiend, er solle sich die Bilder ganz genau anschauen, er, der seine Ex-Partnerin misshandelt habe und den sie nun zu köpfen gedenke. Ist das alles real, fragt sich Adam bald, obwohl er hier noch professionell reagiert und die Frau aus dem Museum entfernen lässt. Aber dann ist da noch dieses seltsame Flüstern, Schnauben und Schreien, das gedämpft aus den Bildern selbst an sein Ohr zu dringen scheint.

Einfach mal die Seite wechseln

In mehreren ineinander verflochtenen Zeitsträngen verwebt Naumann die verschiedenen Übergriffe, ohne ins Didaktisch-Reportagehafte zu verfallen. Es ist, als wolle Naumann sagen: Nicht nur die Scham, auch das Grauen und das Unbehagen müssen einfach mal die Seite wechseln. Erzählt von einer wenig zimperlichen Krähe (Barbara Philipp), von der Künstlerin Gentileschi selbst (Bibiana Beglau) sowie Frauen innerhalb und außerhalb der Gemälde entsteht eine Vielstimmigkeit, die dem Thema nicht Breite, sondern Tiefe und Spannung verleiht.

Dadurch entsteht ein buchstäblich anderes Geschichtsbild, eines der Kontinuitäten und der Synchronizität. Der Museumswärter, erfahren wir, war in einem früheren Lebensabschnitt Polizist. Zeitreise zurück: Eine junge Frau, Miriam (Eva Meckbach) stellt sich auf der Wache vor, ihr war offenkundig Gewalt angetan worden. Leiser Donnergroll markiert die Zeitsprünge, und wir belauschen, wie Mitte der 2000er Adam und sein Kollege Tobias die Aussage des Vergewaltigungsopfers routiniert infrage stellen.

Artemisia Gentileschi hatte in ihrer Jugend ebenfalls nichts Gutes erlebt, wurde berühmt und malte immer wieder Frauen in Bedrängnis, wie Susanna, Judith, Lucretia. Doch die sehr heutige Frage, ob sie damit denn ihr eigenes Trauma verarbeite, lässt Naumann die Barockmalerin ebenfalls sehr heutig kontern mit: "Hätte man das Rubens auch gefragt?"

Gewitzte Unerbittlichkeit

Natürlich ist es selbst eine übergriffige Operation, Bildwerken aus dem Barock gegenwärtige Vorstellungen von Gewalt und Geschlecht anzupassen. Doch Naumann bewahrt die Balance aus ernstem Spiel und gewitzter Unerbittlichkeit. Alle diese Erzählungen treffen in der Gegenwart wie in einem Brennglas aufeinander, und Tobias Vethakes Kompositionen nehmen ironisch die Fäden der Erzählung auf: mit einem barock verfremdeten Streicher-Echo auf Kylie Minogues "Can’t get you out of my Head" oder einer verschleppt-gelangweilten Version von "Quizás, quizás, quizás" ("Vielleicht, vielleicht, vielleicht").

Adam jedenfalls scheint - vielleicht - nicht ganz verloren, immerhin verfügt er über gewisse Abwehrimpulse gegen männerbündnerische Vereinnahmungsversuche und betont: "Frauen gehören auf Händen getragen!" Darauf seine Mitarbeiterin: "In Ruhe gelassen würde erstmal reichen". Er hat sich ja bemüht. Die Rache der Frauen wird ihn dennoch treffen, und dann wird er einfach eine von ihnen.

infobox: "Die Enthauptung", Hörspiel, Regie: Julia Hölscher, Buch: Laura Naumann (Deutschlandfunk Kultur, 24.11.25, 22.05-23.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 28.11.2025 10:07

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Hörspiel, Kritik, Kritik.(Hörspiel), KDeutschlandfunk, Lutz

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