Großer ernster Spaß - epd medien

12.12.2025 07:55

Die Serie "Mozart/Mozart" wagt ein Gedankenspiel, das die Verhältnisse auf den Kopf stellt: Was, wenn der notorisch unzuverlässige Wolfgang Amadeus zeitweilig so wirr gewesen wäre, dass er nicht mehr komponieren und konnte und seine Schwester Maria Anna insgeheim seinen Platz eingenommen hätte?

ARD-Serie "Mozart/Mozart"

Havana Joy spielt in der ARD-Serie "Mozart/Mozart" Maria Anna Mozart, Eren M. Güvercin ihren Bruder Wolfgang Amadeus

epd Große Gestalten der Geschichte zeichnen sich ebenso wie große Literatur vor allem durch Ambivalenz aus. Beschreibt man sie, bleibt immer etwas, das sich ins Bild nicht fügen will. Je näher man die Gestalt ansieht, desto ferner sieht sie zurück. In den berühmtesten Fällen behilft sich die Nachwelt mit Klischee und Klitterung, schneidet das Widerständige weg, des Ruhmes wegen oder der Berüchtigtheit. Wolfgang Amadeus Mozart ist ein Prototyp des Originalgenies: kompromisslos, verspielt, unerhört, sein Leben eine Lunte, die an beiden Enden brennt. Mozart Superstar, Schöpfer, Regelbrecher. Seit Tom Hulces Darstellung im Film "Amadeus" ein Spaßvogel, seit Falcos Song "Amadeus" der coolste Typ überhaupt.

Wenn also die sechsteilige opulente feministische Serie "Mozart/Mozart" Rollen- und Männlichkeitsbilder sowie den Geniekult der Kunst- und Musikgeschichte stürmt, die Geschichtsbücher aus den Regalen fliegen lässt, ihre Seiten mutwillig zerreißt und mithilfe neu komponierter Musik den Geist Mozarts als flirrende Gegenwartsprojektion auferstehen lässt, dann ist das im Sinn der Kunstrebellion der Zeit.

Viereinhalb Stunden Vergnügen

Die Serie zeigt einmal mehr, wie sich im fiktionalen Fernsehen gerade die Vorstellungen von "historischer Genauigkeit" wandeln. Kluge Imagination statt quellengestützter Akkuratesse. Wenn es gut geht, ist es toll. In "Mozart/Mozart" gelingt das hervorragend. Ideen und Gestaltung, Drehbuchdarstellungen, Szenen- und Kostümbild (Algirdas Garbaciauskas und Daiva Petrulyté), die großartige Besetzung, die Kameraarbeit von Simon Dat Vu und die überbordende Inszenierung von Clara von Arnim fügen sich mit der Musik, die Mozarts Kompositionen mit elektronischen Klängen in eins blendet, überraschend gut zu viereinhalb Stunden purem Vergnügen.

Die Prämisse ist emanzipatorisch: Mit Vater Leopold Mozart (Peter Kurth) reisen die beiden "Wunderkinder" Maria Anna und Wolfgang Amadeus zu Beginn als lebende Kuriositäten wie kleine Spielautomaten von Hof zu Hof. Das "Nannerl", die ältere Schwester, spielt ebenso gut, wenn nicht besser als "Wolferl", und komponiert ebenso originell, dabei aber spielbarer.

Das Mädchen wird ausgegrenzt

In der ersten Folge von "Mozart/Mozart" zeigt sich gleich die Herrschsucht des Absolutismus. Während die Kinder vor Maria Theresia spielen, befiehlt die Kaiserin Einhalt. Beharrt auf der Entfernung Maria Annas. Diese sei eine Mogelpackung. Zu alt, um als Wunderkind durchzugehen. Eine Frau, weg damit. Allein vor den verschlossenen vergoldeten Türen steht das Mädchen als Künstlerin. Erniedrigt und ausgegrenzt.

Die Idee der Serie: Was, wenn im weiteren Verlauf der Geschichte der Mozarts sich alles anders abgespielt hätte? Wenn das notorisch unzuverlässige Genie auch mental instabil, alkoholkrank und zeitweilig so wirr gewesen wäre, dass Maria Anna insgeheim seinen Platz eingenommen hätte? Wenn sie in (genderfluider) Verkleidung gespielt und dirigiert hätte und selbst das Werk komponiert hätte, für das man ihren Bruder bis heute verehrt? Der Gedanke ist reizvoll und nicht abwegig.

Genie und Gemeinschaft

So neu wie die Serie behauptet, ist die Idee von der ebenbürtigen Genialität Maria Annas freilich nicht. Schon vor 40 Jahren, 1985, erschien im Insel-Verlag ein Buch mit dem Titel "Schwestern berühmter Männer", das auch ein feministisches Porträt Maria Annas enthält, und unter anderem Wolfgang Hildesheimers unverfroren misogyne Einschätzung zurechtweist. Der unterstellt ihr in seiner Mozart-Biographie "penetrante Farblosigkeit".

In "Mozart/Mozart" ist Maria Anna (Havana Joy) neben ihrem unsteten Bruder Amadeus (Eren M. Güvercin) das Zentrum und die ideale Verbindung von allem, Leben und Kunst, Genie und Gemeinschaft. Immer in Rot gekleidet, hartnäckig, kompromisslos, facettenreich menschlich, überaus mutig, die Umstände der Zeit als Spielmaterial in ihre (musikalischen) Vorstellungen aufnehmend.

Während der Bruder zum Entzug in einem düsteren Sanatorium verschwindet, das Edgar Allan Poe Ehre gemacht hätte, schreibt Maria Anna mithilfe der Opernsängerin und Ex-Geliebten von Leopold, Elenora Maxim (Annabelle Mandeng), und der Outlaw-Bänkelsängertruppe der freiheitsliebenden Rosa (Samira Adgezalova) im Instrumentenladen des schweigsamen, zauberisch wirkenden Avenarius (Dzordzs Ronnijs Steele) die Volksoper "Die Entführung aus dem Serail", die später ihrem Bruder zugeschrieben wird.

Vieles ist möglich

Wer will, kann sich beim Ambiente an Charles Dickens erinnert fühlen; wer will, kann Mozarts Frau Constanze (Sonja Weißer), träumerisch, kreativ, gefühlssicher, als Blumenkind-Liebesgestalt oder Wesen aus dem "Sommernachtstraum" sehen. Maria Anna verliebt sich überdies in Hofkapellmeister Antonio Salieri (Eidin Jalali), der hier kein Intrigant, sondern ein Überlebenskünstler im Brotberuf ist. Weist die arrangierte Ehe mit dem Freiherrn zu Sonnenburg (Jan Krauter) zurück, der als Witwer eine Hausfrau für seine zahlreichen Kinder sucht.

Nicht "anything goes", sondern "a lot is possible" ist hier leitend: Maria Anna wird uns bei allem Freiheitsgestus der Erzählung auch als Kind ihrer Zeit vor Augen gestellt. Einer Zeit, in der Kunst als freier Beruf vom Bürgertum gerade erfunden wurde und die bürgerliche Familie noch antihöfischen Impetus hatte. In einer ungeheuer vergnüglichen, aber ebenso niederschmetternden Nebenhandlung schlagen sich der frugal lebende Kaiser Joseph II. (Philipp Hochmair) und seine vom französischen Hof geflüchtete Schwester Marie Antoinette (Verena Altenberger) mit der Inszenierungsmacht des Höfischen herum.

Getragen wird der große ernste Spaß von "Mozart/Mozart" von ausgewählten Mozart-Stücken sowie von der Musik der Komponistin Jessica de Rooij und des Electronica-Duos Ätna. Diese Serie ist der schlagende Beweis, dass offenherzig-kreativ-liebevolle Majestätsbeleidigung die Freiheit der Kunst konstituiert.

infobox: "Mozart/Mozart", sechsteilige Serie, Regie: Clara Zoe My-Linh von Arnim, Buch: Andreas Gutzeit (Headautor), Swantje Oppermann, Kamera: Simon Dat Vu, Produktion: Story House Pictures, The Dreaming Sheep Company (ARD-Mediathek/Degeto/WDR/SWR/ORF seit 12.12.25, ARD, 16.12.25, 20.15-22.30 Uhr und 17.12.25, 20.15-22.30 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 12.12.2025 08:55

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serie, von Arnim, Gutzeit, Hupertz

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