Instruktive Jahreschronik - epd medien

28.12.2025 09:11

Am 16. Dezember 2024 stellte Olaf Scholz die Vertrauensfrage im Bundestag und ebnete damit den Weg für Neuwahlen. Die Dokumentation "Demokratie unter Druck" hat im vergangenen Jahr Journalistinnen und Journalisten in der Hauptstadt bei der Arbeit begleitet, die vor und nach nach den Neuwahlen den Bundestag und die neue Regierung bei der Arbeit beobachteten.

Dokumentation "Demokratie unter Druck"

Konstituierende Sitzung des Bundestags am 23. Mai 2025

epd Wenn der RBB in der Ankündigung des Dokumentarfilms "Demokratie unter Druck - Ein Jahr im Bundestag" mit der Einschätzung wirbt, dass wir derzeit eine "der turbulentesten Phasen der deutschen Nachkriegsdemokratie" erleben, dürfte er kaum übertreiben: Mit der Zustimmung der AfD-Fraktion zu einem Entschließungsantrag der CDU/CSU zur Verschärfung der Migrationspolitik wurden im Januar erstmals Rechtsextreme zu Mehrheitsbeschaffern im Bundestag. Friedrich Merz war im Mai der erste Kandidat, der bei der Wahl zum Bundeskanzler im ersten Wahlgang scheiterte. Außerdem stimmte der Bundestag im März für eine Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse, im Sommer platzte die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorff zur Bundesverfassungsrichterin.

Alle diese Ereignisse schildert "Demokratie unter Druck - Ein Jahr im Bundestag" aus der Perspektive von Hauptstadtkorrespondentinnen und -korrespondenten. Der Titel und die Thematik des Films erinnern an Stephan Lambys Dokumentarfilm "Nervöse Republik. Ein Jahr Deutschland" von 2017. Anders als Lamby, der in seinem Film sowohl Politiker als auch Journalisten beobachtete, nimmt Antje Boehmert, die Hauptautorin von "Demokratie unter Druck", allerdings ausschließlich Journalisten in den Blick.

Eine Hommage an den Deutschlandfunk

Boehmert entschied sich dagegen, auf allzu bekannte Fernsehgesichter zurückzugreifen, also auf jene Universalexperten, die regelmäßig in Talkshows auftreten. Sie setzte auf weniger prominente Hauptstadtkorrespondentinnen und -korrespondenten, die aufgrund ihrer enormen Reichweite allerdings sehr einflussreich sind. Daniela Vates erreicht als Korrespondentin des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Madsack) die Leser Dutzender Tageszeitungen. Christian Grimm und Stefan Lange arbeiten von Berlin aus für die Mediengruppe Pressedruck ("Augsburger Allgemeine"), das sechstgrößte Zeitungshaus Deutschlands. Und Andreas Rinke, der Chefkorrespondent der Nachrichtenagentur Reuters, verfügt auf andere Weise über eine hohe Reichweite.

Hinzu kommen gleich drei Redakteure aus dem Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks: dessen bisheriger Leiter Stephan Detjen, Katharina Hamberger sowie Ann-Kathrin Büüsker. Zumindest in Teilen kann man diesen Dokumentarfilm also als kleine Hommage an diesen Radiosender verstehen.

Es gibt so eine Pizza-Bestelldienst-Mentalität.

Große Teile des Films bestehen darin, die Korrespondentinnen und Korrespondenten bei ihrer Arbeit im Bundestag zu begleiten und einzufangen, wie sie das, was gerade im Parlament passiert, in Echtzeit einordnen. Als die Wahl von Frauke Brosius‑Gersdorff zur Bundesverfassungsrichterin infolge einer Kampagne scheitert, sagt Stephan Detjen, der von Haus aus Jurist ist: "Das ist immer das, was man befürchten musste: Dass, wenn diese Demokratie nicht mehr funktioniert, die Gerichte wie überall als erste die Leidtragenden sind. Das sehen wir hier gerade."

Über die manchmal dramatische Tagesaktualität hinaus reflektieren die Protagonisten ihre eigene Arbeit sowie den Wandel der politischen Wahrnehmung. Reuters-Korrespondent Rinke sagt: "Es gibt so eine Pizza-Bestelldienst-Mentalität, wie man mittlerweile auf die Politik guckt. Also soll die Politik genauso schnell liefern. Das Verständnis für die Art und Weise, wie Demokratie funktioniert, geht verloren, weil sehr schnell immer ein Frust entsteht, weil nicht sofort die Lösung da ist."

Eine Brückenzeit

Als Glücksfall für den Film erweist es sich, dass Ann-Kathrin Büüsker im Juni als Klimaexpertin in die Umweltredaktion des Deutschlandfunks wechselte. Das ermöglicht es den Machern, das Thema Klima in den Film einzubauen, das trotz seiner außerordentlichen Relevanz in der chronologischen Erzählung bis zu dem Zeitpunkt so gut wie gar nicht vorkam. Büüsker sagt: "Wir haben eine ganze Menge anderer Krisen, die im Moment drängen. Ich habe das Gefühl, dass sich der Fokus auf eine ungünstige Art verengt hat." Sich politisch nicht mit der Klimakrise auseinanderzusetzen, führe aber nicht dazu, "dass das Thema verschwindet, sondern dass die Probleme noch viel größer werden". Die Dringlichkeit des Themas wird auf der Bildebene dadurch verdeutlicht, dass Büüsker eine Treppe im Redaktionsgebäude hinunterläuft, während ihr O-Ton zu hören ist.

"Demokratie unter Druck" erweist sich als instruktive Jahreschronik, auch dank der analytischen Brillanz von Veteranen wie Stephan Detjen und Andreas Rinke. Von Detjen, der im Januar 2026 Frankreich-Korrespondent des Deutschlandfunks wird, kommt dann auch das Schlusswort: "Aus zeitlicher Distanz" werde man 2025 wahrscheinlich "als ein Jahr in einer Brückenzeit" sehen, die "aus der einen Ordnung in eine andere Ordnung rüberführt", sagt er. Wir seien jetzt gerade dabei, auf diese "Brücke" zu gehen, ohne schon wissen zu können, ob sie an einem "festen Ufer" endet oder "irgendwann abbricht".

infobox: "Demokratie unter Druck - Ein Jahr im Bundestag", Dokumentation, Regie und Buch: Antje Boehmert, Ronald Rist, Kamera: Knut Schmitz, Produktion: Docdays (RBB, 16.12.25, 20.15-21.30 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 28.12.2025 10:11

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRBB, Boehmert, Rist, Martens

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