Patriarchat im Niedergang - epd medien

30.12.2025 08:06

Die Geschichte der Tanzschulenbesitzerin Caterina Schöllack und ihrer Töchter in Berlin geht in die vierte Runde. In "Ku'damm 77 führt Autorin Annette Hess die Schöllack-Frauen in die 1970er Jahre.

ZDF-Serie "Ku'damm 77"

Caterina Schöllack (Claudia Michelsen, Mitte) und ihre Töchter Monika (Sonja Gerhardt, links) und Helga (Maria Ehrich) schwelgen in Erinnerungen

epd Als im März 2016 der Event-Dreiteiler "Ku'damm 56" im ZDF ausgestrahlt wurde, war die Resonanz groß. Die Geschichte der Tanzschule "Galant" der Familie Schöllack, die im Gebäude Kurfürstendamm 56 residierte und 1956 spielte, war Zeitpanorama, Sittenbild, Gesellschafts- und Mentalitätendarstellung - ein originärer Wurf. Während insbesondere Patriarchin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) Haltung, Anstand und Dünnsein als weibliches Ideal propagierte, wurde eine der drei Töchter rebellisch, gab sich dem Rock 'n Roll und einem gewissen Freddy (Trystan Pütter) hin. Tochter Monika (Sonja Gerhardt) hielt an ihren Träumen fest, tanzte sich frei und war erfolgreich, während die beiden Schwestern Helga (Maria Ehrich) und Eva (Emilia Schüle), den Erwartungen ihrer Mutter entsprachen und "standesgemäße" Partien machten. Die beiden nicht gut bekamen.

Zuschauerinnen, die sich ihres eigenen Lebens erinnerten, schrieben in großer Zahl an das ZDF, die Zuschriften changierten zwischen "Genauso war's" und "Wie wir das alles bloß geschafft haben". Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder, zurück an den Herd, neue Unterdrückung durch versehrte Kriegsheimkehrer - jede Schreiberin hatte ihre Beiträge.

Panorama der Zeit

Im Grunde war es verwunderlich, dass das Fernsehen noch nicht entdeckt hatte, wie dankbar die 50er Jahre zwischen Restauration und Aufbruch waren, die hier aus weiblicher Perspektive entfaltet wurden. Der Tanz zwischen steifem Anstandstee und sexuell aufgeladen verstandenen Rock'n-Roll-Rhythmen war mehr als Paartanz-Emanzipation. Ein unmittelbar anschauliches Symbol. Schließlich wurde daraus sogar ein Musical.

Annette Hess sagte damals, sie hätte eine Serie vorgezogen, um das Panorama der Zeit mit mehr Details zu entwerfen. Es folgten "Ku'damm 59" und "Ku'damm 63". Mit "Ku'Damm 77" macht Hess nun einen großen Zeitsprung, doch die Serie profitiert von ihren Recherchen zu dieser Zeit. Es steht zu vermuten, dass der vierte Teil des "Ku'Damm"-Epos der letzte sein wird, zumindest legt das der versöhnliche Schluss nahe. Dieses Mal führte Maurice Hübner Regie und Annette Hess war nicht nur für die Drehbücher, sondern zusammen mit Hübner für das Regiekonzept verantwortlich.

Männer als Versager

Es gibt eine Vielzahl an Handlungssträngen, darunter eindrückliche Geschichten, aber auch viel Füllmaterial, Überfrachtung und Längen. 70er-Jahre-Themen werden aufgenommen, die Emanzipation gefeiert, Männer als Versager präsentiert und Caterina Schöllacks Charakter aus ihrer repressiven Kindheit erklärt. Hinzu kommen Rassismuskritik, die RAF, der Zustand der Berliner Polizei, Sexismus am Arbeitsplatz und so weiter. Mindestens Stoff für eine zehnteilige Serie.

Annette Hess versteht es zwar, inhaltliche Gedrängtheit zu gestalten, doch wirkt vieles bloß angespielt oder verschenkt. RAF, die Ermordung von Jürgen Ponto und Hanns Martin Schleyer werden zu Nachrichten-Stichworten im Hintergrund. Helga hat eine neue Liebe, einen wohlhabenden Zahnarzt mit Villa in Dahlem, doch leider erweist sich der als Manipulator und Frauenschläger. Helgas Tochter Friederike will kein Abitur machen, sondern als eine der ersten Frauen zur Polizei. Zum "Deeskalieren", wie sie sagt.

Deutsche Einsamkeit

In der Rahmenhandlung erscheint eine neue Figur auf der Bildfläche. Eine Figur mit Geheimnis: Linda Müller (Massiamy Diaby), eine junge schwarze Filmemacherin, besucht die Schöllacks mit Kameramann und ohne Drehbuch. Sie erzählt, sie wolle ein dokumentarisches Porträt über das Berliner Traditionsunternehmen, seine Geschichte und die Familie dahinter für den SFB machen. Die Schöllacks, das sind inzwischen drei Generationen Frauen, die viele Ehen und Männer überlebt haben und in der die Töchter von Monika und Helga gerade um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung kämpfen. Die meiste Zeit wohnen sie gemeinsam über der Tanzschule, die Männer kommen und gehen: Spieler, Schläger, verlorene und schwache Naturen. Patriarchat im Niedergang. Warum nicht?

Ohne sich beim Sender zu erkundigen, öffnen die Schöllack-Frauen der Filmemacherin Tür und Tor, lassen sie an ihren Gedanken teilhaben. Solch ein Rahmen wäre eine sinnvolle Klammer, mehr und mehr aber rückt in den Vordergrund, dass Linda Müller emotional engagiert ist. Sogar zur Beerdigung von Caterinas Bruder reist sie mit. Dort erfährt Caterina, dass sie keineswegs die Alleinerbin ist, sondern eine Thailänderin "aus dem Katalog" den Hof übernimmt. Diese Frau erklärt in einer Art Epilog der Serie allen Zuschauern, dass deutsche Einsamkeit die wirkliche Armut ist.

Überhaupt wird es zum Schluss gefühlig. "Ku'damm 77" schließt die Film-im-Film-Thematik damit, dass Linda Müller der Familie ihren Film vorführt, das erinnert an progressive Filmästhetik der 70er Jahre. Ausstattung und Kostüme von Susanne Abel und Judith Holste sind wie immer sehr stimmig, das gilt auch für die Kamera von Michael Schreitel und die Musikzusammenstellung von Dascha Dauenhauer. Doch Annette Hess hat sich zum Finale von "Ku'damm 77" gewaltig verzettelt.

infobox: "Ku'damm 77", sechsteilige Serie, vierte Staffel, Regie: Maurice Hübner, Annette Hess, Buch: Annette Hess, Kamera: Michael Schreitel, Produktion: UFA Fiction (ZDF-Mediathek seit 27.12.25, ZDF, 12., 13. und 14.1.26, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 30.12.2025 09:06

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Serie, Hübner, Hess, Hupertz

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