31.12.2025 08:00
Amazon-Serie "Miss Sophie"
epd Den Sketch "Dinner for One" kennt in Deutschland jeder. Er gehört seit 1972 zu den Silvesterritualen der Republik und hat seit seiner Erstausstrahlung 1963 nichts von seinem leicht morbiden Humor verloren. In dem Zweipersonenstück feiert Miss Sophie ihren 90. Geburtstag, ihre Gäste sind frühere Verehrer, alle schon verschieden, aber Butler James befördert sie, zum Vergnügen der Miss, einen nach dem anderen durch Reenactments ins Leben zurück.
Nun könnte man sich ja mal fragen: Wie kam es dazu, dass die junge Miss Sophie dermaleinst gleich vier oder womöglich fünf Bewerber um ihre Hand an ihrem Tisch versammeln konnte? Wo kamen sie her, der Admiral von Schneider, Mr. Winterbottom, Sir Toby und Mr. Pommeroy? Und was wurde aus ihnen? Fragen dieser Art werden sich Tommy Wosch und sein Co-Autor Dominik Moser gestellt haben, um mit den Regisseuren Markus Sehr und Daniel Rakete Siegel die Antwort in der sechsteiligen Amazon-Serie "Miss Sophie - Same Procedure as Every Year" zu geben.
Gedreht wurde in und um Potsdam, die Epoche, in der die Geschichten spielen, ist die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die junge Sophie, verwaiste Erbin eines majestätischen Schlosses, wird mit der Erkenntnis konfrontiert, dass sie pleite ist und ihr Anwesen gepfändet werden soll. Obwohl sie die Liebe ihres Lebens längst gefunden hat und auf Unabhängigkeit bedacht ist, muss sie nun zusehen, dass eine reiche Heirat ihr den Lebensstandard rettet. Und sie lädt passende Kandidaten ein, die es in einem Wettbewerb miteinander aufnehmen sollen. Die Herren reisen an, wie wissen wir ja, wie sie heißen. Es ist sogar noch ein Fünfter dabei, ein ungarischer Graf. Alle bleiben und machen bei dem nicht gerade ehrenvollen Wettkampf mit - denn Miss Sophie ist geradezu unwiderstehlich hübsch und herzlich und anscheinend (man trifft sich im Schloss) auch reich.
Es geht um Mutproben, Wetten und Prophetien, aber letztlich sind all die Spiele eher Vorwände, um kleine Charakterstudien der Kandidaten zu präsentieren, in denen sich alle Beteiligten als Burschen mit einer hidden agenda, als Schwindler, Hochstapler, Aufschneider und Hüter mehr oder weniger dunkler Geheimnisse entpuppen.
Eine Schwindlerin ist ja auch Sophie, die so tut, als wolle sie ihr Herz verschenken. Das aber gehört seit ihrer Jugend dem jungen Butler James, der jedoch, da nicht standesgemäß, von Sophies Vater mittels einer Intrige aus dem Hause befördert und jetzt beim König als dienstbarer Geist untergekommen ist. Der Tod des Alt-Butlers Mortimer bringt ihn zurück ins Schloss mitten in die Dauerparty mit den Kandidaten, und so darf auch die echte Erotik unter all den Spiegelfechtereien ihre Momente haben.
Die Erfinder dieses Prequels zu "Dinner for One" haben es insofern völlig richtig gemacht, als sie nicht in Versuchung geraten sind, den schrägen britischen Witz des Sketches von Lauri Wylie zu kopieren, sondern einen ganz eigenen Ton gesucht und gefunden haben. Sie fabrizieren eine Mischung aus höherer Albernheit, die in den besten Dialogstellen eine fast dadaistische Spottlust zeigt, und aus derber Situationskomik mit Mut zur Drastik. Daneben gibt es allerlei parodistische Einlagen, etwa über das Preußentum (Admiral von Schneider, gespielt von Christoph Schechinger), das Franzosentum (Mr. Pommeroy, gespielt von Moritz Bleibtreu) und die amerikanische Coolness (Sir Toby, gespielt von Jacob Matschenz).
Die Britishness in Gestalt von Miss Sophie ist in der Darstellung Alicia von Rittbergs zeit- und ortlos schlichtweg bezaubernd. Die Miss hält als Spielführerin die Serie schon deshalb zusammen, weil fast niemand dem Charme dieser verarmten und ebenso munteren wie zielstrebigen Schlossherrin widerstehen kann. Ihr Vater hat seine Tochter übrigens dereinst wegen der verbotenen Affäre mit James (überzeugend: Kostja Ullmann) nicht mit auf eine ganz besondere Familienreise genommen: die Jungfernfahrt der Titanic. Merke: Seinem Herzen zu folgen, kann Leben retten.
Man könnte allerdings anmerken, dass die Dramaturgie immer mal wieder wackelt, dass die Plausibilität zu wünschen übrig lässt und dass der Abstecher nach Frankreich, den sich ein Teil der Truppe gegen Ende gönnt, vielleicht doch entbehrlich gewesen wäre. Aber man kann sich auch entschließen, solche Kriterien fallen zu lassen und ganz einfach bei dem Hauptspaß mitzumachen, den die Folgen dann doch immer wieder entfesseln.
Um mitzugehen, braucht es ein Gespür für die schon erwähnte höhere Albernheit, den Nonsens - die interessante komische Kunstmittel sind, an die sich nur wenige rantrauen. Dada ist als Stichwort vielleicht etwas hoch gegriffen, aber es war damals die Zeit. Im Übrigen: Die Anachronismen, die sich die Serie öfters gönnt (vor allem, was die Musik betrifft), sind gewollt und lustig und verweisen darauf, dass man hier nicht recht daran tut, wenn man die Dinge allzu genau nimmt.
infobox: "Miss Sophie - Same Procedure as Every Year", sechsteilige Serie, Regie: Markus Sehr, Daniel Rakete Siegel, Buch: Tommy Wosch, Dominik Moser, Kamera: René Richter, Produktion: Ufa Fiction (Amazon Prime Video, seit 22.12.25)
Zuerst veröffentlicht 31.12.2025 09:00
Schlagworte: Medien, Kritik, KStreaming, KAmazon, Miss Sophie, Sehr, Sichtermann, Siegel, Wosch, Moser
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