Ansteckend freundlich - epd medien

07.02.2024 11:02

Am 21. Januar startete im Ersten die neue Talkshow "Caren Miosga". Die frühere "Tagesthemen"-Moderatorin Miosga löste Anne Will ab, die die nach ihr benannte Talkshow im Ersten zuvor 16 Jahre lang moderiert hatte. Thomas Gehringer hat sich die ersten drei Sendungen angeschaut und stellt fest: Miosga macht einiges anders als Will.

Die neue ARD-Talkshow "Caren Miosga"

Caren Miosga im neuen Studio in Berlin Adlershof

epd Die dritte Ausgabe von "Caren Miosga" bot einen denkwürdigen Schlagabtausch: Robert Habeck und Christian Lindner duzen und fetzen sich vor laufender Kamera, Olaf Scholz blickt konsterniert und schweigt. Eine tolle Szene - aus dem Archiv. Aus heutiger Sicht betrachtet scheint es so, als probte die Ampel damals schon das Theaterstück, das sie seit einiger Zeit aufführt. Der bühnenreife TV-Disput wurde im Oktober 2018 in der alten Kulisse ausgetragen, als noch Anne Will die Gastgeberin des ARD-Talks am Sonntagabend war.

Es spricht für Caren Miosga und ihr Team, dass dieser Fund präsentiert wurde. Denn der Ausschnitt kennzeichnet auch den Verlust, den der Wechsel zu dem neuen Talkshow-Format im Ersten bedeutet. Ein solch unterhaltsames Gerangel von Alphatieren wird "Caren Miosga" nicht mehr zur deutschen Fernsehdebattenkultur beitragen können. Denn die neue Gastgeberin verzichtet bewusst darauf, Politikerinnen und Politiker miteinander zu konfrontieren. "Dieses erwartbare Meinungspingpong ermüdet mich", sagte Miosga vor dem Start ihrer Talkshow dem "Spiegel". Und nicht nur sie, möchte man hinzufügen.

Keine Zirkusnummer mit Kampfhunden

Anne Will bat an drei Abenden insgesamt rund ein Dutzend der üblichen Verdächtigen in ihr Studio, ihre Nachfolgerin beschränkte sich bisher pro Sendung auf jeweils einen deutschen Politiker - tatsächlich, so die vorläufige Bilanz, alles Männer (Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Robert Habeck). Könnte sein, dass da bald der ein oder andere in Berlin und anderswo mit Entzugserscheinungen zu kämpfen haben wird. Für das klassische Politikerstelldichein in größerer Runde gibt es im linearen Fernsehen wie in den Mediatheken somit nur noch "Maybrit Illner" (ZDF) und "Hart aber fair" - und da probiert der WDR mit Louis Klamroth gerade einen Neustart mit ungewissem Ausgang.

"Ich glaube, dass Politikerinnen und Politiker anders antworten, wenn sie nicht das Gefühl haben, dass in der Runde lauter Rottweiler lauern, die sich gleich auf sie stürzen", sagte Caren Miosga dem "Spiegel". Statt auf die Zirkusnummer mit Kampfhunden setzt sie wie angekündigt auf ausführliche Einzelgespräche zu Beginn jeder Sendung. Später kommen zwei weitere Gäste hinzu. Zum Einstieg hatte Miosga den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz eingeladen, der offenbar mächtig erfreut darüber war, der erste Gast zu sein, denn er kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus.

Und weil auch die Gastgeberin so gar nichts plasberg- oder lanzartiges hat, sondern mit Charme, freundlicher Beharrlichkeit und leider zumeist ebenso großer Vergeblichkeit versuchte, dem Oppositionsführer Inhaltsvolles zu entlocken, stellte sich vor dem Bildschirm das zwiespältige Gefühl eines ziemlich wohlwollenden Zusammentreffens ein.

Vorbei sind immerhin die Zeiten, in denen die Sonntagsgäste bei "Anne Will" munter durcheinanderredeten. Das kommt im neu gestalteten Studio praktisch nicht mehr vor, auch nicht in der abschließenden Viererrunde. Caren Miosga und ihre Gäste rücken an dem vergleichsweise kleinen Tisch näher zusammen als die Protagonisten in jeder anderen politischen Talkshow. Das allein beeinflusst schon die Atmosphäre eines Gesprächs, selbst wenn da Medienprofis sitzen. Die weite "Anne Will"-Runde war konfrontativer und hielt die Protagonisten gleichzeitig auf Distanz. Für Rhythmus und Dynamik sorgte die Regie, die durch Schnitte und Bildauswahl auch einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Gesprächsverlaufs hatte.

In den Einzelgesprächen und Duellen, die wiederum Sandra Maischberger in ihrer ARD-Sendung am Dienstag und Mittwoch führt, sind sich Gastgeberin und Gäste zwar ähnlich nah, wenn auch ohne Tisch, allerdings suggeriert die Kamera, dass das Gespräch mitten unter den Menschen geführt wird, denn im Hintergrund ist häufig das Studiopublikum zu sehen. Bei Miosga dagegen konzentriert sich der Bildausschnitt meist auf das Zweiergespräch, das freilich auf einer Art Podium mit einigem Abstand zu den vier Zuschauerreihen geführt wird.

Die Kamera bleibt dicht beim Tischdialog, registriert Reaktionen und Mienenspiele, was insbesondere bei Miosga ein Vergnügen ist. So stellt sich beim Zuschauer das Gefühl ein, bei einem intensiven Gespräch zwischen zwei Menschen mit am Tisch zu sitzen.

Kein bisschen hämisch

Eine solch freundlich-sachliche Talkshow in vergleichsweise intimer Runde kommt durchaus recht, denn an Geschrei und Unversöhnlichkeit mangelt es zurzeit ja nicht. Und Caren Miosga bringt mit ihrem herzhaften, ansteckenden Lachen eine persönliche Note mit, die ausgesprochen erfrischend wirkt. Sie lachte Merz schallend aus, als der bei der Frage nach der Kanzlerkandidatur die bekannte "Das werden wir im Spätsommer entscheiden"-Formel abspulte, und dennoch klang ihr Lachen kein bisschen hämisch.

Bei dem in Kiew geführten Interview mit dem ukrainischen Präsidenten boten unter anderem Wolodymyr Selenskyjs Bemerkungen über seine Erfahrungen mit Donald Trump Gelegenheit zu gemeinsamer Heiterkeit. Die Ernsthaftigkeit des Gesprächs über den Krieg, die Wehrpflicht in der Ukraine, Selenskyjs Verhältnis zu Olaf Scholz und die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nahm dennoch keinen Schaden.

Zu Beginn sah man Miosga vor zerschossenen Häusern - eine Szene, bei der angereiste Journalistinnen leicht wie Katastrophentouristen wirken. Allerdings machte es hier durchaus Sinn, auch im Bild den Nachweis zu erbringen, dass Miosga tatsächlich in die Ukraine gereist war. Und auf weitere Schreckensbilder aus dem Krieg wurde in der Folge verzichtet.

Das in mehreren Auszügen gezeigte Selenskyj-Interview diskutierten dann jeweils im Studio der SPD-Vorsitzende Klingbeil, der ARD-Korrespondent Vassili Golod und die Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer - keine besonders kontrovers besetzte Gästeliste. Man könnte kritisieren, dass niemand eingeladen war, der eine klare Gegenposition zur Selenskyj-Politik und zu den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine einnimmt. In einer Woche, in der Sahra Wagenknecht kurz hintereinander sowohl bei "Markus Lanz" als auch bei "Hart aber fair" sowie AfD-Chef Tino Chrupalla bei "Maischberger" waren, war jedoch dieses auf ruhigen Austausch und Vertiefung ausgelegte Konzept geradezu erfreulich unaufgeregt.

Auf extreme Positionen und zünftigen Streit, die Schlagzeilen und erregte Chat-Debatten versprechen, hat Caren Miosga zum Auftakt verzichtet - trotz (oder wegen?) ihrer Aussage im "Spiegel"-Interview: "Wir müssen die AfD einladen."

Zu viel Harmonie

Das kommt dann wohl noch. Womöglich ist es auch sinnvoll, erst einmal Sicherheit in der neuen Sendung zu gewinnen, ehe man die besonders krawalligen Gäste an den Tisch bittet.

Beim Merz-Auftakt war durchaus noch zu befürchten, dass bei "Caren Miosga" vielleicht zu viel Harmoniesoße angerührt werden soll. Kontroverser und schärfer wurde es erst, als in der zweiten Hälfte der ersten Show noch die "Zeit"-Journalistin Anne Hähnig und der Soziologe Armin Nassehi an den Tisch kamen. Als der ins Dozieren geriet und von Themen sprach, "die leicht affizierbar sind", hätte man sich einen Moderator wie Frank Plasberg gewünscht, der auf verständliche Sprache bestand.

Und als Merz einen von Anne Hähnig sinngemäß zitierten Tweet zur Zusammenarbeit der CDU mit der AfD auf kommunaler Ebene rundweg leugnete, wäre eine Einblendung mit dem korrekten Zitat hilfreich gewesen. Dafür hatte die Redaktion die Redeausschnitte von Merz parat, in denen er über "kleine Paschas", Asylbewerber beim Zahnarzt und Kreuzberg wetterte. Es gab Applaus von einem kleineren Teil des Berliner Studiopublikums, was den größeren Teil zu noch lauterem Beifall motivierte, als Merz von Nassehi und Hähnig kritisiert wurde.

Falls der Eindruck nicht täuscht, wurde die Kamera in den folgenden beiden Sendungen seltener ins Studiopublikum geschwenkt, warum auch immer. Jedenfalls zeigt sich, dass es nicht ausreicht, einfach wieder Publikum in den Saal zu lassen. Zwar verändert die Anwesenheit weiterer Menschen die Gesprächsatmosphäre, doch wenn es im "Resonanzraum" (Miosga im "Spiegel") keine Resonanz gibt oder man diese gar nicht einfangen und abbilden will, erscheint das Publikum von außen betrachtet auch schnell überflüssig. Eine Interaktion zwischen Podium und Studiozuschauern gab es jedenfalls nicht, abgesehen von Begrüßung und Abschied.

Souverän und hartnäckig

Erste Veränderungen des Formats gab es bereits. Das schicke Logo der Sendung, bestehend aus den stilisierten Initialen von Caren Miosga, wurde bei der Premiere permanent unten in der Bildmitte eingeblendet, was lustige Effekte hatte. Friedrich Merz schien das Logo zeitweise wie ein Anstecker am Revers zu tragen. Mittlerweile ist das Logo, das an die Quadratur des Kreises erinnert - ein schönes Motto für eine Talkshow nach unten links in die Bildecke gewandert. Und während Miosga Merz noch mit einer Kaiser-idell-Leuchte aus dem Sauerland beglückte, blieben alle anderen Gäste von weiteren Geschenken verschont.

Stattdessen legte die Moderatorin, die sich auf 16 Jahre Erfahrung bei den "Tagesthemen" stützen kann, schnell an Souveränität und auch an Hartnäckigkeit bei den Befragungen zu. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekam das in der dritten Ausgabe von "Caren Miosga" zu spüren. Die beliebte Eingangsfrage an Habeck ("Schon daran gewöhnt, an allem schuld sein zu müssen?") könnte man jetzt endlich mal zu den Akten legen, aber danach kam Miosga schnell zur Sache. Mehrfach bohrte sie nach, warum Habeck sich mal wieder nicht mit Finanzminister Lindner (FDP) abgesprochen hatte, bevor er im Bundestag ein Sondervermögen für Investitionen vorschlug.

Am Ende mochte Miosga auch den Vizekanzler nicht ohne klare Aussagen zum Klimageld aus dem Studio entlassen. Sekundiert von FAZ-Journalistin Julia Löhr, brachte sie Habeck damit wie schon beim Thema mangelnde Absprachen in der Ampel in Erklärungsnot.

Miosga zeigte sich gut vorbereitet und steuerte sicher durch das ökonomische Themenfeld, sie mutete dem Publikum viele Zahlen zu, berührte aber gleichzeitig vieles nur oberflächlich - von den Bauernprotesten bis zu grünem Stahl, von den Demos gegen rechts bis zum ewigen Ampelpalaver. Das hatte was von Schlagzeilen-Hopping, ähnlich wie in der Merz-Sendung, nur komplizierter, weil die Fachbegriffe aus dem wirtschaftspolitischen Tagesgeschäft noch mehr Vorwissen verlangten. Zum Klima-Transformations-Fonds (KTF) gab es immerhin ein Filmchen, auch das Beispiel des Mittelstandsunternehmens aus Siegen war lehrreich. Eine stärkere Fokussierung wäre dennoch angebracht.

Sie streiten nicht

Habeck begeisterte sich übrigens nicht ganz so wie Merz für seine Rolle als Miosgas Gast. Auch verwechselte er mal Thailand mit Taiwan, aber geduldig versuchte er, durch die Untiefen des Bundeshaushalts und der gesellschaftlichen Debatten zu führen. Immerhin sprang ihm Gunnar Groebler, Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG, zur Seite, jedenfalls als es um satte Subventionen für die Industrie ging, die Groebler lieber Investitionen nennt.

An die Sendung vom Oktober 2018 und den Zoff zwischen ihm und Duzfreund Lindner konnte sich Habeck nach eigenen Angaben übrigens noch gut erinnern. Als Miosga den Ausschnitt mit sichtlich großer Vorfreude ankündigte, maulte er schon los: "Ja, aber da waren wir nicht in einer Regierung." Dass Olaf Scholz damals auch bei "Anne Will" war, habe er jedoch nicht mehr gewusst, sagte Habeck anschließend. Heiterkeit im Saal. Ob der Bundeskanzler heute eigentlich immer noch so gucke, "wenn Sie beide sich streiten und beharken", wollte Caren Miosga wissen. "Wir streiten uns ja gar nicht", sagte Habeck.

infobox: Die Premierensendung von "Caren Miosga" am 21. Januar verfolgten 4,6 Millionen Zuschauer, der Marktanteil lag bei 18,6 Prozent. Am 28. Januar schalteten 3,65 Millionen Zuschauer ein, der Marktanteil betrug 15,5 Prozent. Am 4. Februar schauten 3,67 Millionen Menschen zu, der Marktanteil lag bei 15,2 Prozent. "Anne Will" erreichte 2023 im Schnitt knapp drei Millionen Zuschauer, der durchschnittliche Marktanteil betrug 13,1 Prozent.

Thomas Gehringer Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Thomas Gehringer ist freier Journalist in Köln und regelmäßiger Autor von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 07.02.2024 12:02 Letzte Änderung: 09.02.2024 12:03

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fensehen, Programm, Talkshows, Miosga, Gehringer, NEU

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