03.04.2024 09:01
Wie der WDR den Geburtstag seiner Kulturwelle feierte
epd Als der WDR am Karsamstag den ganzen Tag sein Kulturradio WDR3 feierte, gab es manche ironische Spitze gegen den Tonfall, in dem man früher voller Ernst und mitunter Inbrunst jene Hochkultur feierte, der sich dieser Sender von Anfang an widmete. Zum 60. Geburtstag - WDR3 startete Ostern 1964 - spielte die Welle nicht nur jene 60 klassischen Musikstücke, die sich die Hörerinnen und Hörer gewünscht hatten, sondern erinnerte mit Ausschnitten alter Sendungen an eine Reihe von Personen, die dem Programm im Laufe der Jahrzehnte ihre Stimmen geliehen hatten. Und so hörte man mal pathetische, mal professorale Texte, die meist der klassischen Musik galten.
Bei dieser Konzentration auf die klassische Musik, der dann auch weitgehend die aus Bochum live übertragene Jubiläumsveranstaltung frönte, ging ein wichtiger Teil der Geschichte dieses Programms unter. Zum Glück hatte es die Ausgabe vom täglichen "Zeitzeichen", die der Geschichte von WDR3 gewidmet war, einen Tag zuvor erwähnt: Das dritte Programm, das auf UKW erst in Mono, bald aber schon in Stereo ausgestrahlt wurde, bestand in den ersten Jahren weitgehend aus Wortbeiträgen.
Verantwortlich war denn auch eine Abteilung, die "Kulturelles Wort" hieß. Sie produzierte zunächst nur wenige Stunden am Tag, der Rest war Schweigen. Ab 1967 sorgte dann beispielsweise das "Kritische Tagebuch" dafür, dass das kulturelle Wort dieses Programms nicht mehr von jenem hohen Jargon der Eigentlichkeit bestimmt wurde, den beispielsweise Heinrich Böll in seiner Satire "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" in den 50er Jahren karikiert hatte. Es ging nun frecher, tagesaktueller und politischer zu. Angemaßte Autoritäten (auch im eigenen Haus) wurden ebenso kritisiert wie jene gesellschaftlichen Verhältnisse, die der Kultur selbst lange Zeit aus dem Blick geraten waren.
Hauptprogramm des WDR wurde zu jener Zeit WDR2, das ab 1965 mit den "Mittagsmagazin" und einige Jahre später mit dem "Morgenmagazin" die Radioangebote strukturell veränderte: An die Stelle verlesener Textbeiträge trat das live gesprochene Wort in Moderationen und Gesprächen, die in ein Musikangebot eingebettet wurden.
WDR3 wandelte sich entscheidend erst nach zehn Jahren. Neue Sendungen wie das werktägliche "Mosaik" am frühen Morgen, anfangs allein von Friedrich Riehl produziert und moderiert, kamen hinzu. Im "Mosaik" ging es zunächst um die Kultur in Nordrhein-Westfalen, die den anderen eher ins Weite der Bundesrepublik oder gar der Welt schweifenden WDR3-Sendungen eher fremd geblieben war. Zwischen den wenigen Beiträgen liefen viele kürzere Stücke der klassischen Musik, die jetzt auf dieser Welle unterkam und weite Flächen besetzte.
In den späten 70er Jahren gab es manche Auseinandersetzung zwischen den Wort- und den Musikredaktionen. Dabei ging es um Sendeplätze und Finanzen, aber auch um die Frage, wer denn in diesem Programm das Sagen habe.
Erst als in den 80er Jahren die Radioprogramme weitgehend nach Musikfarben neu sortiert wurden, erhielt WDR3 seine bis heute geltende Grundierung eines auf die klassische Musik orientierten Programms, das damals von 1Live als Popwelle für junge Leute und WDR4 mit Volksmusik und Schlager flankiert wurde. Als das 1991 als reines Wortprogramm gegründete WDR5 eine Reihe von Sendungen abzog, dominierten die Musikredaktionen WDR3.
Und so spielten an diesem Jubiläumstag die Moderatorinnen und Moderatoren vom Morgen bis zum Festakt am Abend die Wunschtitel, die bald als "Klassikhits" firmierten und am Abend sogar als "Lieblingsklassikhits" verkauft wurden. Zum Glück kamen an diesem Tag aber auch viele Hörerinnen und Hörer zu Wort, die in ihren kurzen Statements ihre Verbundenheit mit WDR3 ausdrückten. Sie erinnerten sich an vieles im Detail - an die Stimmen des Programms, an seine musikalische Kennung, an Titelmelodien einzelner Sendungen. Spürbar wurde hier, dass dieses Radioprogramm anscheinend tiefe Spuren im Gedächtnis derer hinterlassen hat, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren.
Bleiben zwei Fragen: Ob andere Radiowellen des WDR, die deutlich stärker als Begleit- und nicht als Zuhörmedium konzipiert sind, vergleichbare Gedächtnisspuren erzeugen? Und ob die Tiefe der Erinnerung und der Zuneigung nicht auch in Rechnung zu stellen ist, wenn mal wieder Marktanalysen ergeben, dass WDR3 nur eine qualifizierte Minderheit unter den Menschen in Nordrhein-Westfalen erreicht - ob also neben der Quantität auch die Qualität des Hörens erfasst werden sollte?
Am Jubiläumstag mochte keiner aus der Hierarchie am Konzept von WDR3 rühren, auch wenn man hellhörig wurde, wenn mehrfach auf die notwendige "Akzeptanz" des Programms hingewiesen wurde. Denn der Anspruch einer nicht näher definierten Akzeptanz dient als Alibi, wenn regelmäßige Hörfunkangebote, die zwar das Profil schärfen, aber von der Hierarchie wenig geliebt werden, beendet werden - aktuell ist das bei den Sendungen "Multitrack" und "Diskurs" vorgesehen.
Wie sehr sich die Sprache in diesem Programm geändert hat, bewies WDR3-Chef Matthias Kremin als er auf der Bühne in Bochum Worte wie "Hammer-Programm" in den Mund nahm und manche Musikerin oder Musiker als "Weltklasse" bezeichnete. Als würden diese Übernahmen einer seit Jahrzehnten veralteten Jugendsprache die "Akzeptanz" des von ihm verantworteten Programms erhöhen!
Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Dietrich Leder war bis 2021 Professor für Fernsehkultur an der Kunsthochschule für Medien in Köln und ist Autor von epd medien.
Zuerst veröffentlicht 03.04.2024 11:01 Letzte Änderung: 10.04.2024 09:51
Schlagworte: Medien, WDR, WDR3, Leder, Kremin, Kulturradio, BER, NEU
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