Till Lindemann erzielt Teilerfolg beim OLG Frankfurt gegen SZ - epd medien

20.09.2024 10:10

Streitet sich viel mit Medien: Rammstein-Sänger Till Lindemann, hier im Juni 2024 in Marseille

Frankfurt a.M. (epd). Die Auseinandersetzungen zwischen Rammstein-Sänger Till Lindemann und verschiedenen Medien gehen weiter. Beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt war der 61-Jährige am 11. September mit einer Berufung gegen das Eilurteil der Vorinstanz teilweise erfolgreich, wie das OLG mitteilte. Dabei ging es um einen Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) vom 2. Juni 2023. In Bezug auf eine der beiden erwähnten Frauen werde zu Unrecht der Verdacht erhoben, dass Lindemann sexuelle Handlungen ohne ihre Einwilligung vorgenommen habe, urteilte das Gericht. (AZ: 16 U 122/23)

Diese Verdachtsäußerung müsse die SZ daher unterlassen. Hinsichtlich der anderen Betroffenen werde dieser Verdacht durch die Zeitung nicht erweckt, führte das OLG aus. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, weil das Oberlandesgericht die letzte Instanz im Eilverfahren ist. Die SZ könnte Lindemann jedoch auffordern, ins Hauptsacheverfahren zu gehen. Eine Entscheidung darüber sei noch nicht gefallen, sagte Martin Gritzbach, Sprecher des Mutterkonzerns Südwestdeutsche Medienholding, dem epd am 16. September.

Das Casting-System

Die SZ hatte in ihrem Artikel "Am Ende der Show" berichtet, dass mehrere Frauen Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorwerfen, und dabei auch das sogenannte Casting-System beschrieben, mit dem bei Rammstein-Konzerten regelmäßig junge Frauen für Partys und Sex mit Lindemann angesprochen worden seien. Der Sänger und seine Anwälte hätten das Casting-System nicht bestritten, sondern argumentiert, dass die im Artikel beschrieben sexuellen Handlungen einvernehmlich gewesen seien, berichtete die SZ im Oktober 2023 in eigener Sache.

Das Landgericht Frankfurt (LG) wies den Unterlassungsantrag Lindemanns im Oktober 2023 ab. Für die Berichterstattung über das Casting-System sehe die Kammer ein "überragendes öffentliches Informationsinteresse", insbesondere "unter Präventionsgesichtspunkten", hieß es zur Begründung. Dies umfasse auch sexuelle Kontakte, wenn "junge Frauen systematisch für sexuelle Handlungen mit dem Kläger ausgesucht und diesem organisiert zugeführt werden". Die SZ habe die Grundsätze einer zulässigen Verdachtsberichterstattung eingehalten. Der Beitrag sei ausgewogen, Lindemann sei auch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Keine hinreichende Tatsachengrundlage

Das sah das OLG nun in Teilen anders. Zu ermitteln sei grundsätzlich der zutreffende Sinn der Berichterstattung, dabei gehe es um das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums, stellte der für Pressesachen zuständige 16. Zivilsenat zunächst heraus. Maßgeblich seien dabei hier insbesondere die Textpassagen, die die Erlebnisse der beiden Frauen schilderten.

Daraus folge hinsichtlich der einen der beiden betroffenen Frauen, dass von der SZ unberechtigt ein Verdacht ohne hinreichende Tatsachengrundlage geäußert werde. Mit den teilweise in direkter, teilweise in indirekter Rede wiedergegebenen Schilderungen der einen Betroffenen werde der Verdacht erweckt, der Kläger habe ohne Zustimmung sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen. Für diesen Verdacht fehle es jedoch an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, sodass die Verdachtsberichterstattung unzulässig sei.

Hohe Stichhaltigkeit gefordert

Zu beachten sei dabei, dass die Verdachtsmomente umso stichhaltiger sein müssten, je schwerer der Vorwurf sei, betonte das OLG. Vor allem die eidesstattliche Versicherung der betroffenen Frau lasse "wegen erheblicher Erinnerungslücken nicht sicher darauf schließen, dass der Kläger sexuelle Handlungen ohne ihre Einwilligung begonnen" habe. Sie lasse vielmehr die Möglichkeit, dass sie den sexuellen Handlungen infolge starker Alkoholisierung nicht mehr habe zustimmen können, ebenso zu wie die Möglichkeit, dass sie "bei Beginn der sexuellen Handlungen aufgrund des Alkohols enthemmt, aber noch entscheidungsfähig gewesen" sei.

Soweit Lindemann auch gegenüber der zweiten im SZ-Bericht erwähnten Frau einen Unterlassungsanspruch geltend mache, sei dieser nicht begründet. Die Zeitung erwecke in ihrem Bericht "bereits nicht den Verdacht der Vornahme sexueller Handlungen gegen den Willen der Betroffenen", so das OLG. Die Frau habe ausgeführt, dass sie Schmerzen gehabt habe und es ihr nicht leichtgefallen sei, mit dem Rocksänger zu schlafen. Zitiert werde aber auch die Aussage: "Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe." Daraus schließe ein durchschnittlicher Leser auf ein Einverständnis.

"Das mittlerweile vierte gerichtliche Verbot"

Lindemanns Anwaltskanzlei Schertz Bergmann erklärte am 12. September, die einstweilige Verfügung des OLG Frankfurt sei "das mittlerweile vierte gerichtliche Verbot gegen die Verdachtsberichtserstattung des Rechercheverbundes zwischen Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR aus dem Juni 2023". Mit einstweiliger Verfügung des LG Hamburg vom 10. August 2023 (AZ: 324 O 273/23) sei dem NDR untersagt worden, den Verdacht zu erwecken, Lindemann habe an mehreren Frauen sexuelle Handlungen vorgenommen, denen diese nicht zugestimmt hätten.

Zwei weitere einstweilige Verfügungen seien gegen die Berichterstattung vom 17. Juli und 18. Juli 2023 ergangen. Mit Beschlüssen des LG Hamburg vom 10. August 2023 (AZ: 324 O 294/23 und 324 O 298/23) sei der "Süddeutschen Zeitung" und dem NDR jeweils untersagt worden, den Verdacht zu erwecken, Lindemann habe im Februar 1996 eine Frau namens "Sybille Herder" vergewaltigt beziehungsweise sexuelle Handlungen gegen ihren Willen vorgenommen.

Streit auch mit dem "Spiegel"

Der NDR hat noch nicht entschieden, ob er gegen die Beschlüsse des Landgerichts Hamburg vorgeht. Die Rechtsmittelprüfungen zu den in der Pressemitteilung von Schertz Bergmann genannten Verfügungen dauerten an, teilte Sender-Sprecherin Lara Louwien am 12. September dem epd mit.

Auch mit dem "Spiegel" liegt der Bandleader im Streit. Laut einer Verfügung des Landgerichts Hamburg vom Juli 2023 darf das Magazin in seiner Berichterstattung nicht mehr den Verdacht erwecken, Lindemann habe junge Frauen mit K.O.-Tropfen, Drogen oder Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um Sex zu erzwingen. Das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigte am 19. Juli dieses Jahres im Berufungsverfahren die Verfügung des Landgerichts in diesem Punkt (AZ: 7 U 37/23), diese letztinstanzliche Eilentscheidung ist nicht anfechtbar.

"Spiegel" sieht wichtigen Teilerfolg

"Spiegel"-Sprecher Guido Schmitz sagte dem epd am 20. September, das OLG-Urteil sei ein "wichtiger Teilerfolg" für das Magazin. "Aufgehoben wurde das Verbot des Landgerichts, den Verdacht zu erwecken, Lindemann habe Frauen bei Konzerten auch mithilfe von Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vorzunehmen", so Schmitz. Denn ein solcher Verdacht werde laut OLG gar nicht erweckt. Auch das Verbot der Aussage einer der "Spiegel"-Quellen, in Crewkreisen sei mit Blick auf die für Sex gecasteten Frauen von "Schlampenparade" und "Resteficken" die Rede gewesen, sei aufgehoben worden.

Im Eilverfahren sei es somit gelungen, das Unterlassungsverlangen Lindemanns "zu einem großen Teil abzuwehren, nämlich entsprechend der Kostenquote zu 69 Prozent", betonte Schmitz. Für die vom OLG untersagten Punkte, vor allem zur Frage eines angeblich erweckten Verdachts, dass auch K.O.-Tropfen oder Drogen zur Gefügigmachung eingesetzt wurden, werde der "Spiegel" im bereits laufenden Hauptsacheverfahren "bis zum Bundesgerichtshof streiten". Der erste Termin in diesem Verfahren habe Ende Mai beim Landgericht Hamburg stattgefunden und sei ohne Ergebnis geblieben.

Kritik an "Litigation-PR"

Die Kanzlei Schertz Bergmann kündigte Anfang August zudem eine Strafanzeige Lindemanns gegen den "Spiegel" wegen Urkundenfälschung und versuchten Prozessbetrugs an. Es gehe dabei um Dokumente, die der "Spiegel" in der juristischen Auseinandersetzung um Vorwürfe von Frauen gegen den Sänger eingereicht hatte, hieß es.

"Spiegel"-Sprecher Schmitz sagte dazu: "Wir haben den Sachverhalt bereits im Zivilverfahren von uns aus umfassend aufgeklärt, die eingeräumten Versehen bei der Anfertigung des Stellungnahmeschriftsatzes hatten dann auch erwartbar keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des OLG Hamburg." Die Ankündigung scheine "Teil der mittlerweile wohl leider üblichen Litigation-PR". Niemand habe sich hier strafbar gemacht, die Ermittlungsbehörden hätten sich in der Sache bislang auch nicht beim "Spiegel" gemeldet.

rid



Zuerst veröffentlicht 20.09.2024 12:10 Letzte Änderung: 20.09.2024 16:45

Schlagworte: Medien, Presse, Recht, Verdachtsberichterstattung, Lindemann, SZ, OLG Frankfurt, Schertz, rid, NEU

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