Medienpolitik gestalten - epd medien

31.10.2024 08:16

Die Einführung des privaten Rundfunks war 1984 ein bedeutender Einschnitt für die deutsche Medienpolitik. Drei Jahre, nachdem der erste Privatsender in Deutschland auf Sendung gegangen war, trat der erste Rundfunkstaatsvertrag in Kraft, der das Verhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern sowie der Aufsicht über den privaten Rundfunk regelte. Der ehemalige HR-Justiziar Jürgen Betz blickt aus der Sicht eines öffentlich-rechtlichen Juristen zurück auf 40 Jahre duale Rundfunkordnung und ordnet die derzeitige Diskussion um den Reformstaatsvertrag historisch ein.

40 Jahre duale Rundfunkordnung

Der Medienstaatsvertrag löste 2020 den Rundfunkstaatsvertrag ab

epd Die duale Rundfunkordnung in Deutschland besteht nun seit 40 Jahren. Die anfänglichen, über Jahre dauernden, bisweilen heftigen Scharmützel zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk gehören der Vergangenheit an, wenn man von der gerade wieder aktualisierten Forderung des Verbands Privater Medien Vaunet, die Werbung bei ARD und ZDF abzuschaffen, absieht. Man kann also heute von einer weitgehend friedlichen Koexistenz sprechen. Der private Rundfunk weiß, dass er nur so sein kann wie er ist, solange der öffentlich-rechtliche seinen Grundversorgungs- und Funktionsauftrag erfüllt. Im Ausland wird Deutschland oft wegen seiner durchaus erfolgreichen dualen Rundfunkordnung beneidet.

Blicken wir trotzdem einmal zurück und schauen auf die Entwicklung des Rundfunkstaatsvertrags, der inzwischen Medienstaatsvertrag heißt und gerade sehr weitgehend geändert werden soll, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu reformieren.

Warnungen vor Reizüberflutung

Spätestens 1982 war klar: Die Zeit des ausschließlich öffentlich-rechtlichen Rundfunks ging in Deutschland zu Ende. Mit dem Regierungswechsel in Bonn wurde deutlich, dass die CDU privaten Rundfunk zulassen wollte. Dafür wurden neue technische Verbreitungswege entwickelt, Kabel und Satellit. Zuvor hatte es heftige politische Auseinandersetzungen darüber gegeben, da die Auffassungen zwischen CDU und SPD, ob privater Rundfunk überhaupt zugelassen werden soll, sehr konträr waren.

Zu jener Zeit war Medienpolitik ein sehr wichtiges Thema. Man konnte nach Lektüre einiger weniger Worte sofort feststellen, ob Positionen von den SPD-regierten Ländern (den sogenannten A-Ländern) stammten oder von CDU-regierten (den B-Ländern).

Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang Helmut Schmidts Aussage aus dem Jahr 1979: "Wir dürfen nicht in Gefahren hineintaumeln, die akuter und gefährlicher sind als die Kernenergie." Würden die Bürger mit privaten Kabel- oder Satellitenprogrammen überflutet, dann könnte dies, so Schmidt, "die Strukturen der demokratischen Gesellschaft verändern".

Dämme gegen "Reizüberflutung"

Und sein Justizminister Hans-Jochen Vogel wollte "Dämme" gegen eine "Reizüberflutung" in den deutschen Wohnstuben errichten: "Ich kann mir nichts Gefährlicheres für die Familie vorstellen." Zu viele Krimis, Quiz und Shows machten die Menschen "muffig und sprachlos". Forschungsminister Volker Hauff schließlich sah das "Ende der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten" heraufdämmern, wenn künftig private Sender mit ARD und ZDF um die Werbeeinnahmen wetteifern: "Die sind dann einfach nicht mehr finanzierbar."

Es kam bekanntlich anders, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem 3. Rundfunkurteil im Jahr 1981 privaten Rundfunk unter näher konkretisierten Bedingungen für zulässig erklärt hatte. 1984 starteten die ersten von vier Kabelpilotprojekten in Ludwigshafen und München, die die technische Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen im Kabel testen sollten. 1985 folgten Dortmund und Berlin. Dennoch prägten die unterschiedlichen Auffassungen über die Zulassung privaten Rundfunks weiterhin auch die Medienpolitik der Länder.

Erst die aufgrund der unversöhnlichen Positionen wieder laut werdende Debatte, ob nicht der Bund doch eine Kompetenz für den Rundfunk erhalten solle und das 4. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1986 brachten die Länder dazu, sich 1987 auf den Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens zu verständigen. Die SPD-regierten Länder stimmten der Einführung privaten Rundfunks schweren Herzens zu, die CDU-regierten akzeptierten im Gegenzug die Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Anforderungen konkretisiert

Das Bundesverfassungsgericht hatte im 4. Rundfunkurteil 1986 und kurz darauf im 5. Rundfunkurteil 1987 die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die duale Rundfunkordnung konkretisiert. Es betonte, es sei in der dualen Rundfunkordnung die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten, eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen zu gewährleisten, die Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung umfasse. Für die Sicherung der Grundversorgung sei es daher erforderlich, die technischen, finanziellen, organisatorischen und personellen Bedingungen so auszugestalten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dieser Aufgabe gerecht werden könne (Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie).

Eine entscheidende Aussage der beiden Urteile war, es sei nur dann hinnehmbar, an den privaten Rundfunk geringere Anforderungen bezüglich der Breite des Programmangebotes und der Sicherung gleichwertiger Vielfalt zu stellen, wenn die Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewährleistet sei. Diese Klarstellung gilt bis heute, wie das Bundesverfassungsgericht in allen späteren Rundfunkentscheidungen, zuletzt 2021, deutlich gemacht hat. In den jüngsten Urteilen wurde betont, dass dies gerade in Zeiten des Internets mit seinen Möglichkeiten der Verbreitung individueller Meinungen wichtig sei.

Neujustierung des Rundfunkrechts

Die nur in diesem Sinne zulässige duale Rundfunkordnung wurde in der Präambel des Rundfunkstaatsvertrags von den Ländern verdeutlicht und diese gilt bis heute unverändert im Medienstaatsvertrag.

Was regelte der erste Staatsvertrag im Jahr 1987? Er war mit 16 Artikeln sehr überschaubar: Die Satellitenkapazität von fünf Fernsehkanälen wurde auf privaten Rundfunk und ARD und ZDF verteilt. Die Privatsender erhielten zwei Kanäle, ARD und ZDF je einen. Zudem wurden ARD und ZDF mit je einem zusätzlichen Fernsehprogramm mit kulturellem Schwerpunkt, bei der ARD war das Eins Plus, das von 1986 bis 1993 ausgestrahlt wurde, das ZDF hatte bereits 1984 zusammen mit dem Schweizer Fernsehen SRF und dem Österreichischen Rundfunk (ORF) den Kulturkanal 3sat gestartet. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Gebühr und Werbung wurde festgeschrieben, die Rundfunkgebühr auf 16,60 Mark festgelegt.

Zwei Prozent aus der Rundfunkgebühr sollten an die Landesmedienanstalten gehen für die Zulassung des privaten Rundfunks und die Aufsicht darüber, sowie die Förderung der technischen Infrastruktur und für die Finanzierung Offener Kanäle. Ein Artikel befasste sich mit der Sicherung der Meinungsvielfalt und Verhinderung von Medienkonzentration, einer mit Jugendmedienschutz.

Rundfunkrecht für das neue Deutschland

Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde es erforderlich, das Rundfunkrecht für ganz Deutschland, also auch für die neuen Bundesländer, neu zu justieren. Das geschah durch den Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland, der am 1. Januar 1992 in Kraft trat und sowohl die neue Fernsehrichtlinie der Europäischen Union (EU) umsetzte als auch das 1991 ergangene 6. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigte.

Trotz gegensätzlicher Standortinteressen und unterschiedlicher medienpolitischer Positionen gelang es den Ländern in relativ kurzer Zeit, sich auf einen Staatsvertrag zu einigen. Dieser schuf eine dauerhafte Grundlage für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk und schrieb die duale Rundfunkordnung fest. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) bezeichnete ihn im Landtag als "Magna Carta für das duale Rundfunksystem im vereinten Deutschland".

Der Staatsvertrag fasste mehrere Staatsverträge zusammen: den Rundfunkstaatsvertrag, den ARD-Staatsvertrag, den ZDF-Staatsvertrag, den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag und den Rundfunkgebührenstaatsvertrag.

22 Rundfunkänderungsstaatsverträge

Im Rundfunkstaatsvertrag wurden insbesondere die Kurzberichterstattung, Programm- und Produktionsquoten gemäß europäischem Recht, eine Ausweitung der Werbemöglichkeiten für den privaten Rundfunk inklusive Sponsoring und die Ermittlung des Finanzbedarfs für ARD und ZDF durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) geregelt.

Es ist hier nicht der Platz, um die in den Jahren von 1994 bis 2019 erfolgten insgesamt 22 Rundfunkänderungsstaatsverträge zu erläutern. Der 9. Änderungsstaatsvertrag änderte mit Wirkung ab 2007 unter anderem auch den Namen in "Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien". Der 12. Änderungsstaatsvertrag 2009 ermöglichte den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in beschränktem Maße Angebote im Internet. Die Sender mussten dafür Telemedienkonzepte vorlegen, die wiederum im sogenannten Drei-Stufen-Test geprüft werden. Der Drei-Stufen-Test geht auf den Beihilfekompromiss mit der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2007 zurück.

Mit dem 15. Änderungsstaatsvertrag, der 2013 in Kraft trat, wurde die geräteabhängige Rundfunkgebühr durch eine Haushalts- und Betriebsstättenabgabe, den Rundfunkbeitrag, abgelöst. Und der 2015 verabschiedete 19. Änderungsstaatsvertrag ermöglichte ARD und ZDF ein gemeinsames onlinebasiertes Jugendangebot, das am 1. Oktober 2016 unter dem Namen Funk startete.

Medienstaatsvertrag tritt in Kraft

2020 löste der Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland (Medienstaatsvertrag) den Rundfunkstaatsvertrag ab. Er regelte nicht nur Fernsehen und Hörfunk, sondern auch die digitalen Medien. Ihm ging ein fünf Jahre langer Streit zwischen den Ländern über seine Inhalte voraus. Er sollte dem Wandel zu digitalen, interaktiven, nicht linearen Medienangeboten und der Plattformökonomie Rechnung tragen.

Mit dem Medienstaatsvertrag wurden die Vorgaben aus der "EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD)" in nationales Recht umgesetzt. Er gewährleistet mehr Transparenz und sichert den Medienpluralismus und somit die Meinungsvielfalt. Zentraler Punkt ist die diskriminierungsfreie Auffindbarkeit und Präsentation von Angeboten oder Inhalten.

Der Medienstaatsvertrag ist inzwischen bereits viermal geändert und ergänzt worden. Die dritte Änderung konkretisierte 2023 insbesondere den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und stärkte die Gremienkontrolle über Programm und Finanzen. Mit der vierten Änderung wurden weitere Regelungen zur Stärkung von Compliance, Transparenz und Gremienkontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeführt.

Die aktuell bevorstehende Änderung des Medienstaatsvertrags, die auch als Reformstaatsvertrag bezeichnet wird, sieht eine erhebliche Reduzierung und Konkretisierung der Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor, unter anderem sollen ARD und ZDF weniger Hörfunk- und Fernsehspartenprogramme machen. Ein externer Medienrat soll zur Qualitätskontrolle eingeführt werden und die Regeln für Textangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollen verschärft werden.

Das "SMS-Papier"

Hat sich die Rundfunkgesetzgebung in den vergangenen 40 Jahren bewährt und wie sieht heute Medienpolitik aus?

Eines lässt sich festhalten: Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden derzeit nur von der AfD ernsthaft infrage gestellt. Er wird zwar für reformbedürftig gehalten, aber seine hohe Bedeutung für unser demokratisches System und die dafür erforderliche Meinungsbildung wird mehrheitlich anerkannt. Die medienpolitischen Kontroversen zwischen SPD und CDU aus den 1970er und 80er Jahren gehören der Vergangenheit an. Gab es damals noch klare gegensätzliche Positionen, ist vom ordnungspolitischen Wettbewerb zwischen den Ländern wenig geblieben. Die Medienpolitik der Parteien ist beliebig geworden, klare Abgrenzungen sind kaum mehr festzustellen.

Ab 2000 stand für die Medienpolitik vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Fokus, wie das parteiübergreifende sogenannte Rundfunkreformpapier der Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU), Georg Milbradt (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) im Jahr 2003 zeigte, das nach den Autoren "SMS-Papier" genannt wurde. Es wurde im Vorfeld einer sich ab 2005 abzeichnenden Gebührenerhöhung veröffentlicht, die aus der Sicht mancher Medienpolitiker inakzeptabel war.

Das SMS-Papier forderte weitgehende Reformen. In dem Papier waren viele Forderungen und Sparvorschläge enthalten, die aktuell im Reformstaatsvertrag wiederkehren: In dem Papier wurde vorgeschlagen, Arte und 3sat zusammenzulegen und die Verantwortlichkeit für den Kinderkanal und für Phoenix zwischen ARD und ZDF aufzuteilen. Die damals noch sechs digitalen TV-Kanäle von ARD und ZDF sollten entfallen. Inzwischen sind es noch vier.

Den drei Ministerpräsidenten ging es damals nicht nur um Einsparungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, sondern auch um eine Stärkung der Marktchancen der Privaten. Umgesetzt wurden die Forderungen nicht, weil die 16 Länder keinen Konsens herstellen konnten. Die Rundfunkgebühr wurde jedoch nur um 0,88 Euro erhöht, die KEF hatte damals eine Erhöhung um 1,09 Euro empfohlen.

Erfolg mit Verfassungsbeschwerde

Was finanzwirksame Strukturreformen anging, setzten die Ministerpräsidenten erst einmal auf das neuartige Instrumentarium rechtsverbindlicher struktureller Selbstbindungen der Anstalten. Sie wollten herausfinden, ob und inwieweit die als notwendig erachteten Grenzziehungen von den öffentlich-rechtlichen Sendern freiwillig in Angriff genommen und kooperativ konkretisiert werden. In diesem Sinne wurden dem Gebührenerhöhungsstaatsvertrag einige Protokollerklärungen beigefügt, die in diese Richtung gingen.

ARD, ZDF und Deutschlandradio akzeptierten die geringere Gebührenerhöhung nicht. Sie forderten eine klare Trennung von Strukturdebatte und Gebührenanpassung und erklärten, dass Strukturveränderungen nicht vor 2009 zu Gebührenminderungen führen könnten. Ein wesentlicher Teil des SMS-Papiers greife in ihre Autonomie ein. Die Sender legten gegen die geringere Gebührenanhebung Verfassungsbeschwerde ein und hatten Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem Urteil von 2007, dass die Kürzung des KEF-Vorschlags die Rundfunkfreiheit verletzt, weil die Länder medienpolitische Maßnahmen und die Gebührenentscheidung unzulässig miteinander verknüpft hätten.

Strukturveränderungen mit wenig Wirkung

Die ARD erließ erstmals 2004 "Leitlinien für die Programmgestaltung 2005/06" und erstattete einen "Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über Qualität und Quantität ihrer Angebote und Programme sowie über die geplanten Schwerpunkte". Dies wurde in den Folgejahren bis heute so fortgeführt. Das ZDF verabschiedete Richtlinien und eine Selbstverpflichtungserklärung in den "Programmperspektiven des ZDF 2004-2006" und legte Mitte 2006 eine Bilanz darüber vor. Auch das ZDF verabschiedete in den Folgejahren entsprechende Selbstverpflichtungserklärungen bis in die Gegenwart.

Das Instrument der Selbstverpflichtung führte allerdings nicht zu relevanten internen Reformen bei ARD und ZDF. Auch die von der ARD im Jahr 2017 angekündigten Strukturveränderungen und Einsparungen waren wenig erfolgreich, das Einsparvolumen lag nur bei einem Prozent des Beitragsaufkommens.

Die Medienpolitik konzentrierte sich in den vergangenen Jahren primär auf die Forderung nach "Beitragsstabilität". Um das zu erreichen, wurden quer durch das Parteienspektrum Reformen gefordert, ohne allerdings die vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonte Möglichkeit zu nutzen, den Auftrag zu konkretisieren. Dazu kann neben strukturellen Veränderungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch eine Reduzierung von Programmangeboten gehören.

Föderale Verantwortungsgemeinschaft

Im Jahr 2020 stimmte der Landtag von Sachsen-Anhalt nicht über die Beitragserhöhung um 86 Cent ab, auf die sich die Ministerpräsidenten geeinigt hatten, daraufhin strengten ARD, ZDF und das Deutschlandradio ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht an. Das Karlsruher Gericht entschied am 20. Juli 2021, dass die Verweigerung der Erhöhung unzulässig sei und setzte den Rundfunkbeitrag auf die von der KEF empfohlene Höhe mit 18,36 Euro fest. In ihrem Urteil führten die Richter aus, die Länder bildeten eine föderale Verantwortungsgemeinschaft, die gemeinsam die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regeln müsse. Eine Ablehnung der von der KEF empfohlenen Beitragserhöhung durch einzelne Länder sei unzulässig.

Dass die Länder nun willens sind, wieder Medienpolitik zu gestalten, zeigt der vorliegende Entwurf eines Reformstaatsvertrags, mit dem Angebotsreduzierungen bei ARD und ZDF sowie strukturelle Veränderungen erfolgen sollen. Dass die Ministerpräsidenten dem aktuellen KEF-Vorschlag einer Beitragsanhebung um 58 Cent für vier Jahre folgen werden, ist allerdings eher unwahrscheinlich.

Rundfunkbeitrag aus der politischen Debatte nehmen

Wichtig wäre aber, dass sich die Länder noch im Dezember auf die in Aussicht genommene grundlegende Veränderung des Beitragsanpassungsverfahrens verständigen würden. Die in ersten Entwürfen vorgeschlagene Lösung, künftige Beitragsanpassungen unter bestimmten Voraussetzungen per Rechtsverordnung festzulegen, was das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach als Möglichkeit aufgezeigt hat, wäre ein guter Weg. Damit könnte der Rundfunkbeitrag aus der sich seit Jahrzehnten wiederholenden politischen Debatte herausgenommen werden und die verfassungsrechtliche Finanzgewährleistungsgarantie für den öffentlich- rechtlichen Rundfunk eingelöst werden.

Die Medienpolitik hat sich in den vergangenen Jahren auf Fragen der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Finanzierung mit möglichst geringen Beitragsanpassungen konzentriert. Daneben gäbe es noch viel anderes zu tun. Das Medienkonzentrationsrecht soll seit Jahren überarbeitet werden, weil die derzeitigen Regelungen keine Wirkung mehr haben, aber die Länder können sich nicht auf eine Novellierung verständigen. Und die Medienpolitiker warnen zwar vor den Gefahren, die die Social-Media-Plattformen mit ihren von Algorithmen gesteuerten, oft einseitigen Informationen und Fake News für die Medienlandschaft und den Meinungsbildungsprozess in einer Demokratie haben, doch in der Medienpolitik schlägt sich das bislang kaum nieder.

Die Macht der Technologiekonzerne

Dies muss sich dringend ändern, denn ein immer größer werdender Teil der für die Demokratie so wichtigen Meinungsbildung findet mittlerweile über das Internet und die sozialen Plattformen statt und dort wird auf subtile Weise beeinflusst. Die wenigen großen Technologiekonzerne dominieren die digitalen Medien, doch sie unterliegen keiner wirksamen Kontrolle. Zwar bemüht sich die EU mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) um eine Regulierung, dies wird aber die Macht der Technologiekonzerne nur wenig begrenzen.

Die Medienlandschaft wird sich in den kommenden Jahren auch durch Künstliche Intelligenz noch schneller und grundlegender verändern. Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, werden sich die herkömmlichen Medien im "Plattformisierungsprozess" weder ökonomisch noch publizistisch behaupten können. Daher liegt es nahe, über eine öffentliche, beitragsfinanzierte, von gesellschaftlichen Gruppen kontrollierte Public-Service-Plattform nachzudenken, in die auch private Medien, Verlage sowie Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen einbezogen werden sollten.

Jürgen Betz Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Jürgen Betz war bis Januar 2017 Justiziar des Hessischen Rundfunks (HR).



Zuerst veröffentlicht 31.10.2024 09:16

Jürgen Betz

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Medienpolitik, Duales System, Betz

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