"Washington Post" ohne Wahlempfehlung: Jeff Bezos in Erklärungsnot - epd medien

31.10.2024 15:18

Amazon-Gründer Jeff Bezos kaufte die "Washington Post" 2013

Washington (epd). Nachdem die "Washington Post" erstmals seit Jahrzehnten auf eine Empfehlung zur US-Präsidentschaftswahl verzichtet, gerät Eigentümer Jeff Bezos in Erklärungsnot. Er habe die Glaubwürdigkeit der Redaktion stärken wollen, schrieb der Amazon-Gründer am 28. Oktober in einer von der Zeitung veröffentlichten "Notiz unseres Eigentümers" und ergänzte, viele Menschen vertrauten den Medien nicht.

Der Geschäftsführer der "Washington Post", William Lewis, hatte die Entscheidung gegen eine Empfehlung damit begründet, dass die Zeitung "der Hauptstadt des wichtigsten Landes der Welt" unabhängig sein müsse. Die Zeitung kehre zu ihrer Tradition zurück. Vor 1976 habe die "Post" - mit einer Ausnahme 1952 - keine Empfehlungen ausgesprochen. In der US-Medienwelt ist es üblich, dass das Meinungsressort in Zusammenarbeit mit dem Inhaber Wahlempfehlungen ausspricht.

Zahlreiche Abo-Kündigungen

Der Verzicht der "Washington Post" auf eine Wahlempfehlung hat für die Zeitung Folgen. Laut einem eigenen Bericht der "Post" kündigte etwa ein Zehntel der digitalen Abonnenten. Mehr als 30.000 Leser kommentierten das Thema online, die meisten empört, vor allem mit Blick auf das Timing: Die USA stünden vor einer wahrlich historischen Wahl.

Auch mehrere Redakteure protestierten gegen die Entscheidung, einige wenige kündigten ihren Job. Man gehe in die Knie vor Donald Trump, weil man Angst habe vor dem, was er tue, schrieb etwa der Kolumnist Robert Kagan und beendete die Zusammenarbeit mit der "Washington Post". Auch Molly Roberts, Redakteurin in dem für redaktionelle Kommentare verantwortliche "Editorial Board", reichte die Kündigung ein. Trump sei "noch kein Diktator", schrieb sie auf X. "Aber je ruhiger wir sind, umso näher kommt er dem".

Von einer "beunruhigenden Rückgratlosigkeit" sprach der ehemalige Chefredakteur der Zeitung, Martin Baron. "Überraschend und enttäuschend", klagten Carl Bernstein und Bob Woodward, von deren Watergate-Enthüllungen Ende der 70er Jahre das Blatt noch heute zehrt.

zitat: Marsch der mutwilligen, pausenlosen, tragischen Zerstörung

Der Eingriff in das redaktionelle Geschehen durch Jeff Bezos kommt gut zehn Jahre, nachdem der Unternehmer 2013 die kränkelnde "Post" für 250 Millionen US-Dollar erwarb. Der vermeintliche Retter versprach damals, er werde inhaltlich keinen Einfluss nehmen. Seine Zeitung stellte zeitweise neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, während andere Stellen strichen. Nach der Amtseinführung des Republikaners Trump als US-Präsident 2017 führte das Blatt den Slogan "Democracy Dies In Darkness" (Demokratie stirbt in der Dunkelheit) ein und verlieh sich damit den Eindruck journalistischer Rechtschaffenheit.

Als der amtierende US-Präsident Trump 2020 gegen den demokratischen Herausforderer Joe Biden antrat, erklärte die "Post" in ihrer Wahlempfehlung, die Geschichte werde sich an "Trumps Amtszeit als einen Marsch der mutwilligen, pausenlosen, tragische Zerstörung" erinnern. Es sei an der Zeit, dass "das amerikanische Volk Herrn Trump von seinem Amt enthebt".

Bezos versicherte nun in seiner "Notiz", er verfolge mit der Entscheidung gegen eine Wahlempfehlung keine persönlichen Interessen. Er habe nicht gewusst, dass sich der Chef seiner Weltraumfirma Blue Origin ausgerechnet am Tag der Ankündigung mit Donald Trump treffen werde. Die Datenfirma Amazon Web Services verdient Milliarden durch Aufträge von den Geheimdiensten CIA und NSA und anderen Behörden. In Washington läuft zudem eine Klage der Regierung gegen Amazon wegen angeblicher Verstöße gegen Wettbewerbsgesetze.

William Lewis ist seit Januar 2024 Herausgeber und CEO der "Washington Post". Schon bald danach herrschte Unmut über ihn unter den Beschäftigten, Kritiker machen sich Sorgen um den politischen Kurs der renommierten Zeitung.

Auch andere verzichten auf Empfehlungen

Neben der "Post" gibt unter anderem auch die "Los Angeles Times", die dem Unternehmer Patrick Soon-Shiong gehört, dieses Mal keine Wahlempfehlung. Der Journalismusprofessor Bill Grueskin von der Columbia Journalism School in New York analysierte, die beiden Milliardäre Bezos und Soon-Shiong sendeten an ihre Mitarbeiter die Botschaft, sie sollten sich auf Anpassungen bei der Berichterstattung über ein Trump-Regime vorbereiten.

Dem Medieninstitut Poynter Institute zufolge nehmen regionale Zeitungen zusehends Abstand von Empfehlungen zur Präsidentschaftswahl. Große Gruppen wie Gannett, Media News Group und Tribune Publishing hätten aus unterschiedlichen Gründen aufgehört, darunter mangelnde Ressourcen.

ege



Zuerst veröffentlicht 31.10.2024 16:18

Schlagworte: Medien, USA, Wahlen, Presse, Bezos, ege, Washington Post

zur Startseite von epd medien