25.03.2025 07:02
Neue Aufgaben für die Rundfunkgremien
epd Die Frage nach der Zusammensetzung, Effizienz und Transparenz der Aufsichtsgremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Dauerbrenner in medienpolitischen und medienjournalistischen Debatten. Allerdings muss die Diskussion darüber notgedrungen auf dürftiger Zahlengrundlage geführt werden, gibt es doch nur wenige empirische Untersuchungen. Die Kommunikationswissenschaft vernachlässigt das Thema. Medienrechtler zeigen mehr Interesse, betrachten aber eher juristische Finessen als die gelebte Praxis.
Mit der Ende Februar erschienenen Studie "Im öffentlichen Auftrag. Zusammensetzung und Arbeitsweise der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien", die der Medienjournalist Peter Stawowy im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) erstellt hat, liegt eine aktuelle Gesamtschau über alle 24 Aufsichtsgremien vor: Die Verwaltungsräte aller zwölf deutschen Rundfunkanstalten, die zehn Rundfunkräte der ARD-Anstalten und der Deutschen Welle, den ZDF-Fernsehrat und den Hörfunkrat des Deutschlandradios. Stawowy hat deren Arbeit auf Grundlage eigener Recherchen und einer Umfrage unter allen Gremienbüros untersucht.
In der bisherigen Berichterstattung und Diskussion über die Studie dominiert wenig überraschend der von Stawowy erhobene Politikeranteil in den Gremien. Er zählt dazu nicht nur die Zahl der direkt der staatlichen Sphäre zuzuordnenden Sitze für Regierungsmitglieder und Abgeordnete, sondern nimmt auch die sogenannte Schattenstaatsbank in den Blick, also Politiker, die auf dem Ticket gesellschaftlicher Organisationen in die Gremien einziehen.
Stawowy hat Daten zu allen 651 Mitgliedern der Rundfunkräte - Hörfunk- und Fernsehrat eingerechnet - wie auch den 121 Mitgliedern der Verwaltungsräte erhoben. Zwar halten demnach alle Gremien das verfassungsrechtlich gebotene Maximum von einem Drittel "offizieller" politischer Vertreter ein - mit Ausnahme der Deutschen Welle, für die allerdings als nach Bundesrecht errichtete Anstalt andere Regeln gelten.
Inklusive weiterer Mitglieder mit "Politikhintergrund" beziffert die Studie den Politikeranteil auf insgesamt 41 Prozent in den Rundfunkräten und 53 Prozent in den Verwaltungsräten. Neben prominenteren Beispielen wie ehemalige Bundes- oder Landesministern, die von gesellschaftlichen Organisationen in die Gremien entsendet werden, hat Stawowy auch recherchiert, wie viele Gremienmitglieder sich zum Beispiel durch eine Kandidatur für ein Stadtratsmandat politisch betätigt haben.
Wie nicht anders zu erwarten, setzen die Berichterstattung über die Studie sowie erste Reaktionen aus Medienpolitik und Gremien hauptsächlich an dieser Stelle an und kritisieren, was sie als pauschale Gremien- und Parteienschelte interpretieren. Klaus Sondergeld, SPD-Mitglied, Rundfunkratsvorsitzender bei Radio Bremen und derzeit Vorsitzender der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), liefert in einem auf der GVK-Website veröffentlichten "Zwischenruf" darüber hinaus auch ausführliche Kritik an Methodik und Schlussfolgerungen der OBS-Studie.
Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), bis Dezember 2024 Chef der thüringischen Statskanzlei, bemängelt in einem Blogbeitrag eine aus seiner Sicht "überdehnte Definition von Staatsnähe", der es zudem an theoretischer Untermauerung fehle.
Abgesehen von der Frage nach dem parteipolitischen Einfluss auf die Gremien trägt die OBS-Studie jedoch auch beachtenswerte Informationen zur personellen und finanziellen Ausstattung der Gremienbüros zusammen, geht auf die Transparenz der Gremienarbeit ein und fragt, inwiefern die Rundfunkräte ihrem Auftrag der Programmkontrolle nachkommen. Diese Aspekte sollen hier ebenso im Fokus stehen wie die Frage, welche Schlussfolgerungen sich daraus für mögliche Reformen ziehen lassen.
Stawowys Studie steht in der Tradition einer Untersuchung, die der 2021 verstorbene Medienjournalist und langjährige epd-Autor Fritz Wolf 2013 für die Stiftung erstellt hat (epd 17/13). Die Grundlagen der Gremienarbeit haben sich seit Wolfs Studie deutlich verändert. Mit dem ZDF-Urteil von 2014 führte das Bundesverfassungsgericht für Staatsvertreter in den Gremien das Limit von einem Drittel ein und warnte vor einer "Versteinerung" der Mitgliederstruktur.
In der Folge wurden - wenn auch nicht überall zügig - die gesetzlichen Grundlagen der Anstalten geändert, um die Staatsbänke wo nötig zu verkleinern. Neue Gruppen rückten in den Kreis der entsendungsberechtigten Organisationen auf, bei manchen Anstalten wurden die Entsendungsregeln flexibilisiert, etwa indem einzelne Sitze öffentlich ausgeschrieben werden. Nach dem RBB-Skandal 2022 wurden im vierten Medienänderungsstaatsvertrag, der am 1. Januar 2024 in Kraft trat, neue Standards für die Gremienkontrolle festgeschrieben.
Stawowy zeichnet die Entwicklungen der Gremienarbeit über die letzten zehn Jahre kursorisch nach. Unerwähnt bleibt, dass die Verfassungsrichter 2014 nicht nur eine veränderte Gremienzusammensetzung verordnet, sondern auch Mindeststandards für die Transparenz vorgegeben haben. Seither hat sich in Gesetzen und Praxis einiges getan - sei es beim ZDF, wo man sich nach dem Karlsruher Urteil wohl am eilfertigsten um die Umsetzung der neuen Leitlinien gekümmert hat, oder bei einzelnen ARD-Anstalten und ARD-Gremien, die den Rückenwind der Transparenzoffensive während des ARD-Vorsitzes des MDR von 2016/2017 nutzten. Nicht zuletzt haben einzelne Gremienmitglieder für mehr Transparenz gesorgt, am prominentesten wohl Leonhard Dobusch während seiner Zeit im ZDF-Fernsehrat.
Auch die Landesgesetzgeber haben für die Gremien ihrer Anstalten neue Transparenzregeln festgelegt. Die allerdings bleiben mancherorts hinter den Standards zurück, auf die sich alle 16 Länder in den nach dem ZDF-Urteil reformierten Staatsverträgen für ZDF und Deutschlandradio geeinigt haben. Nach dem RBB-Skandal haben die Länder zwar die Regeln für die Transparenz bei den Top-Gehältern für alle Anstalten im Vierten Medienänderungsstaatsvertrag angeglichen, die Gremientransparenz aber nicht allgemein auf das Niveau von ZDF und Deutschlandradio gehoben.
Dass beispielsweise der MDR-Verwaltungsrat anders als sein Gegenstück beim ZDF keine Tagesordnungen und keine eigenständigen Zusammenfassungen seiner Sitzungsergebnisse veröffentlicht, wie auch aus Stawowys Studie hervorgeht, liegt nicht zuletzt daran, dass er dazu nicht verpflichtet ist.
Mit Ausnahme der Deutschen Welle tagen inzwischen die Rundfunkräte aller Anstalten grundsätzlich öffentlich, 2013 waren es lediglich vier Gremien. Nicht immer mussten sie dazu vom Gesetzgeber verpflichtet werden: Der MDR-Rundfunkrat trifft sich seit 2019 auf eigene Initiative vor Publikum, erst später wurde dies im reformierten MDR-Staatsvertrag vorgeschrieben. Livestreams der Sitzungen gibt es laut OBS-Studie inzwischen bei acht Rundfunkräten, kein Gremium stellt die Streams allerdings auf Abruf bereit.
Parteizugehörigkeiten, so die Studie, werden in den Kurzbiografien der Mitglieder in den Webauftritten der Gremien häufig unterschlagen. Stawowy dürfte recht haben, wenn er urteilt, dass der Debatte über die Vereinnahmung der Gremien durch die Politik damit kein Gefallen getan wird.
Mit Blick auf parteipolitisch engagierte Gremienmitglieder argumentiert der GVK-Vorsitzende Sondergeld in seinem "Zwischenruf", wer sich etwa für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder "das Wohlergehen der Ernährungswirtschaft" einsetze, sei wahrscheinlich eher geneigt, sich auch in einer Partei zu engagieren und umgekehrt. Das mag sein, beantwortet aber nicht, wie das auch nach dem ZDF-Urteil weiterhin stark im Korporatismus der bundesdeutschen Nachkriegszeit verwurzelte Gremiensystem den Sprung ins Zeitalter der "Hyperpolitik" (Anton Jäger) schaffen kann. Zivilgesellschaftliches Engagement findet zunehmend jenseits etablierter Institutionen und Organisationen statt.
Bausteine dafür könnten - neben einer noch stärkeren Flexibilisierung der Gremienbesetzung - strukturierte Dialog- und Beteiligungsformate zwischen Gremien und Gesellschaft sein. Laut der OBS-Studie hat kein Gremium eigene Dialogangebote, nur einige wirken an entsprechenden Angeboten ihrer Sender mit.
Mit dem 2023 in Kraft getretenen Dritten Medienänderungsstaatsvertrag haben die Länder zwar ein Dialoggebot für die öffentlich-rechtlichen Anstalten eingeführt, allerdings keine konkreten Verfahren festgeschrieben. Der geplante Reformstaatsvertrag, dessen Verabschiedung durch die Länderparlamente erst nach der geplanten Unterzeichnung im Umlaufverfahren erfolgen kann, präzisiert die Dialogverpflichtung zwar, sieht aber weiterhin keine explizit festgeschriebene Rolle der Gremien vor.
Wie es anders geht, zeigt das Beispiel Schweiz: Alle vier Jahre muss die öffentliche SRG ihre Angebots- und Unternehmensstrategie evaluieren und die Ergebnisse mit der Öffentlichkeit diskutieren. Diese Dialogpflicht liegt in der Hand der Trägerschaft - die ist zwar kein Aufsichtsgremium, aber der Zusammenschluss der regionalen Mitgliedergesellschaften, die den Schweizer öffentlichen Rundfunk als Verein konstituieren. Zwar gibt es auch in der Schweiz Kritik, dass dieser Dialog nicht öffentlichkeitswirksam sei, aber immerhin wird hier ein Verfahren vorgegeben.
Freilich müssten solche Dialogformate mehr beinhalten als "die gut platzierte Teilnahme von Mitgliedern des Rundfunk- und des Verwaltungsrats am Tag der offenen Tür von Radio Bremen", die laut Sondergeld in "gepflegte Einsamkeit" mündete. Beachtenswerte Versuche eines strukturierten Gesprächs mit Publikum und Beitragszahlern gab es hierzulande etwa mit dem Projekt #meinfernsehen2021 von Grimme-Institut, Bundeszentrale für politische Bildung und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf oder mit dem ebenfalls 2021 veranstalteten ARD-Zukunftsdialog. Eine Verstetigung und stärkere Rolle der Gremien bei solchen Dialogformaten wäre wünschenswert.
Damit kommt allerdings ein weiteres Problemfeld ins Spiel, das auch Stawowy in seiner Studie umreißt: Die Frage, was ehrenamtlich tätige Gremien überhaupt leisten können. Hier haben diejenigen Gremienmitglieder Vorteile, die etwa als Politiker, Verbands-, Kirchen- oder Gewerkschaftsfunktionäre über institutionelle Ressourcen und damit auch personelle Unterstützung verfügen. Bereits in den vergangenen Jahren waren die Gremien mit einem Aufgabenzuwachs konfrontiert, immer wieder haben Gremienmitglieder selbst auf eine drohende Überforderung aufmerksam gemacht.
Aus Stawowys Daten zeichnet sich zwar ab, dass die personelle Ausstattung vieler Gremienbüros in den vergangenen Jahren verbessert wurde, direkt vergleichbar sind die von den Gremienbüros für die Studie zugelieferten Daten jedoch nicht. Seit dem 2024 in Kraft getretenen Vierten Medienänderungsstaatsvertrag ist eine "angemessene" Ausstattung der Geschäftsstellen mit Sach- und Personalmitteln vorgeschrieben. Stawowy plädiert vor diesem Hintergrund für eine Entlastung der Gremien. "Die Programmbeobachtung sollte bei der Arbeit der Rundfunkräte klar im Fokus stehen, denn die Debatte über die inhaltliche Akzeptanz der Öffentlich-Rechtlichen zu bereichern und in die Öffentlichkeit zu tragen, das können auch Ehrenamtliche leisten", sagt er dem epd.
Genau dieser Aspekt der Gremienarbeit, so die Studie, kommt bislang zu kurz. Programmbeobachtungen sind demnach wenig strukturiert und methodisch fundiert, öffentliche Ergebnisse sind kaum zu finden. Wieder ein Blick in die Schweiz: Seit diesem Jahr tagt der Publikumsrat der SRG Deutschschweiz nicht mehr hinter verschlossenen Türen, das Programmberatungsgremium will als "Resonanzraum" Dialoge mit der Gesellschaft organisieren.
Einmal mehr zeigt die OBS-Studie auch Defizite bei der Behandlung von Programmbeschwerden auf. Auch hier mangelt es an Transparenz, denn nur wenige Rundfunkräte informieren systematisch darüber. "Es wirkt so, als hätten die Gremien Angst vor Programmbeschwerden", sagt Stawowy. Er plädiert dafür, die Beschwerdeverfahren für alle Anstalten anzugleichen, inklusive einer Pflicht zur öffentlichen Dokumentation.
In Großbritannien hat die Regulierungsbehörde Ofcom die britische BBC angewiesen, alle zwei Wochen ausführliche Berichte über die erhaltenen Programmbeschwerden zu veröffentlichen, inklusive Angaben wie die, wie viele davon innerhalb der vorgegebenen Fristen beantwortet wurden. Solche kleinteiligen Berichtspflichten kann man für übertrieben halten, allerdings erhält die BBC wohl auch aufgrund der größeren Bekanntheit und Professionalität des Beschwerdeverfahrens deutlich mehr Eingaben als deutsche Rundfunkanstalten, zeigen die von Stawowy bei den Gremien erfragten, schwer vergleichbaren Zahlen.
Wie aber könnte eine Stärkung der Rundfunkräte für Gesellschaftsdialog und Programmbeobachtung funktionieren, wenn sie gleichzeitig entlastet werden sollen? Immer wieder ist die Schaffung einer gemeinsamen Medienanstalt der Länder diskutiert worden, die als "deutsche Ofcom" die Regulierung von privatem Rundfunk und Intermediären, aber auch die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Gremien zumindest teilweise übernimmt. Eine Umsetzung scheint derzeit nicht realistisch. Je nach Ausgestaltung besteht zugleich die Gefahr, eine grundsätzliche Stärke des deutschen Systems, nämlich die Einbindung der Zivilgesellschaft in plural besetzten Rundfunkgremien, auszuhöhlen.
Einfacher als eine "deutsche Ofcom" und weniger disruptiv für das bestehende Gremiengefüge könnte ein Weg sein, den auch die OBS-Studie weist: Eine stärkere Professionalisierung der Arbeit der Verwaltungsräte über die bereits im Medienstaatsvertrag geforderten Qualifikationen der Mitglieder hinaus. Laut dem neuen RBB-Staatsvertrag erhalten die Mitglieder des dann neu konstituierten Verwaltungsrats ab 2026 eine Vergütung statt wie bisher eine Aufwandsentschädigung. Sie werden also neben- statt ehrenamtlich tätig sein.
Derart gestärkte Verwaltungsräte könnten, mit sachkundigen Mitgliedern besetzt, einen Teil der Aufgaben übernehmen, die bisher bei den Rundfunkräten liegen. Die weiterhin ehrenamtlich besetzten Rundfunkräte könnten sich auf ihre Brückenfunktion zwischen Sendern und Gesellschaft konzentrieren. Damit würden sie auch den im Reformstaatsvertrag vorgesehenen Medienrat sinnvoll ergänzen, der als Sachverständigengremium die Auftragserfüllung des öffentlich-rechtlichen Systems als Ganzes im Blick behalten soll.
Die OBS-Studie liefert wichtige Impulse für weitere Gremienreformen, zeigt aber auch Forschungslücken auf. Nach wie vor fehlt es, wie der GVK-Vorsitzende Sondergeld zu Recht moniert, an empirischen Untersuchungen zum Rollenverständnis der Gremienmitglieder. Die könnten auch die weitere Ausgestaltung der Gremienarbeit befruchten.
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Text: Dominik Speck ist freier Journalist und Medienwissenschaftler. Er promoviert an der TU Dortmund.
Zuerst veröffentlicht 25.03.2025 08:02 Letzte Änderung: 25.03.2025 10:00
Schlagworte: Medien, Rundfunk, Aufsicht, Studien, Otto-Brenner-Stiftung, Speck, dsp, OBS, Stawowy, NEU
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