Abbau statt Umbau - epd medien

20.05.2025 07:04

Mit dem sogenannten Reformstaatsvertrag, den die Ministerpräsidenten im Frühjahr unterschrieben haben, soll auch das Verbot "presseähnlicher" Online-Angebote für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verschärft werden. Der Medienrechtler Tomas Brinkmann zeigt in diesem Gastbeitrag auf, warum das Verbot aus seiner Sicht ARD und ZDF in ihrer Rundfunkfreiheit beschneidet.

Textverbote für den Rundfunk sind bedenklich

Gegen die "Tagesschau"-App - hier in der Version von 2016 - hatten 2012 mehrere Verlage geklagt, weil sie ihrer Meinung nach zu "presseähnlich" war

epd Netzgebundene oder drahtlose elektronische Kommunikationsdienste, also Telemedien (dazu gehört heute auch die "Tagesschau"-App) hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1987 in seiner 5. Rundfunkentscheidung als "rundfunkähnliche Dienste" und Teil der Rundfunkverbreitung eingeordnet. Bei einem entsprechenden Bedeutungszuwachs werde sich der Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch auf solche Dienste erstrecken und sie zu untersagen sei unzulässig, schrieben die Verfassungsrichter damals in der Begründung. Die Beteiligung der Rundfunkanstalten an solchen Diensten könne "nur zur Breite und Vielfalt des Angebots in diesen Diensten beitragen und publizistische Konkurrenz entstehen lassen".

Damit werde "der Rundfunkfreiheit Rechnung getragen, und zwar umso besser, je mehr der öffentlich-rechtliche Rundfunk in diesem Bereich den erwähnten klassischen Auftrag wahrnimmt." Diese Feststellung, die vor 38 Jahren getroffen wurde, hatte damals angesichts der heutigen Medienrealität geradezu seherische Qualitäten.

Verbot textlastiger Angebote

Im raschen Bedeutungszuwachs der zunächst in den Staatsverträgen von ARD und ZDF geregelten Telemedien war es ein folgerichtiger Schritt der Gesetzgebung, diese elektronischen Angebote auch in den Programmauftrag der Rundfunkanstalten im Rundfunkstaatsvertrag von 2008 zu integrieren. Weniger nachvollziehbar dagegen ist das Verbot bestimmter, textlastiger elektronischer Angebote im Rundfunkstaatsvertrag, das auch in den Medienstaatsvertrag übernommen wurde.

Da es sich um eine elektronische, sendebezogene Erweiterung des Medienangebots handelt und schon lange vor 2008 durch das Aufkommen des Internets ein folgenreicher Strukturwandel eingesetzt hatte, hätte es einer eingehenden Begründung bedurft, den Anstalten in solchen medialen Diensten die Verbreitung von Textelementen zu verbieten. Texte sind bekanntlich, was die Gesetzgebung auch selbst hervorhob, die für Massenmedien essentielle und elementare Kulturtechnik.

Fragmentierte Öffentlichkeiten

Doch an der Stelle von Erläuterungen und Begründungen findet sich lediglich der Topos der "Presseähnlichkeit". Die Gesetzgebung ging offenbar davon aus, dass ein Anknüpfen an die traditionelle Trennlinie zwischen den Vertriebsbereichen gedruckter Presseexemplare und elektronisch gesendeten Hörfunk- und Fernsehproduktionen als Begründung ausreicht und sich eine solche Trennlinie ins digitale Zeitalter fortschreiben lässt. Der Topos Presseähnlichkeit soll ein neues, von den "rundfunkähnlichen Kommunikationsdiensten" abgegrenztes, verbotenes Terrain kreieren. Inzwischen ist allerdings nicht mehr zu übersehen, dass damit Angebote beschnitten werden, die als essentieller Beitrag zur rundfunkähnlichen Grundversorgung nötiger sind denn je.

Auch der hellsichtige Blick des Bundesverfassungsgerichts auf die neuen elektronischen Publikationsformen erfasste freilich nicht die ganze Breite, die fulminante Entwicklung und die Dominanz, die die Netzangebote inzwischen für größere Teile des Publikums gewonnen haben. Und es war 1987 noch nicht vorstellbar, welche ambivalente Rolle sie bei der Versorgung mit Informationen, kulturellen Inhalten und dem, was für die öffentlichen Debatten und die Urteilsbildung der Nutzer prägend ist, spielen würden.

Dass es in dieser Netzkommunikation vielfach zu Verwerfungen und fragmentierten Öffentlichkeiten gekommen ist, mit teilweise fatalen Konsequenzen für die allgemeine Meinungsbildung und die Diskursqualität in Gesellschaft und Politik, ist inzwischen unübersehbar. In den USA, wo der digitale Strukturwandel einige Jahre früher einsetzte, ist dies schon lange zu beobachten.

Kaum zu durchschauende Informationslagen

Ein besonderes Problem in dieser Entwicklung ist insbesondere der kontinuierliche Abbau von traditionellen Medien und der Reichweitenverlust seriöser, verlässlicher Medienangebote insgesamt. Journalistische und kulturelle Qualitätsstandards erweisen sich immer deutlicher als entscheidend für die allgemeine Meinungsbildung und die demokratischen Prozesse. Denn sie sind unverzichtbare Parameter für gelingende mediale Vermittlung und Erklärungen, die in einer offenen, liberalen Gesellschaft und in einer komplexer gewordenen Welt notwendig sind, zumal sich aus der Kommunikationsflut für die Nutzer kaum zu durchschauende Informationslagen ergeben.

Es bedarf also dringend substantieller Maßnahmen der Regulierung und der Mediensicherung, um der Verdrängung von Qualitätsjournalismus und Qualitätsmedien begegnen zu können. Da irritiert eine Mediengesetzgebung, die versucht, gewissermaßen nationale Claims zwischen Presse- und Rundfunkeinrichtungen abzustecken, und meint, populistische Forderungen nach "Verschlankung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Konzessionen auf Abstand halten zu können. Statt eines konsequenten Umbaus der Anstalten zu öffentlich-rechtlichen, zivilgesellschaftlich verwalteten Medienhäusern wird der allgemeine Abbau verwaltet und bei den Telemedien das Angebot der Anstalten - ohne Nutzen auf der Presseseite - verknappt.

Systemwidriger Konkurrenzschutz

Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Textverbots liegen auf der Hand, sieht man sich seine mögliche Zielsetzung genauer an. Sollen Ertragsprobleme im Pressesektor ausgeglichen werden, weil er durch den digitalen Strukturwandel überrollt worden ist oder Anpassungsmaßnahmen versäumt hat, so beinhaltet das Textverbot schlicht einen systemwidrigen Konkurrenzschutz.

Denn die Pressehäuser, denen seit langer Zeit alle Verbreitungsbereiche, in der klassischen Rundfunkverbreitung wie auch in der diversifizierten Netzkommunikation offen stehen, sind publizistische Konkurrenten. Und ihrem Schutz sollen die Textverbote offensichtlich dienen; Beschränkungen ohne diesen Schutzzweck wären, da es sich um multiple elektronische Verbreitungsdienste einschließlich Textübertragungen handelt, sinnlose, per se verfassungswidrige Eingriffe.

Prinzip der Medienfreiheit

Das Verbreitungsverbot für die Anstalten ist auch nicht etwa durch die Europäische Kommission veranlasst worden; Textverbote sind in der von der Kommission übermittelten Negativliste für Telemedien der Rundfunkanstalten nicht enthalten. Der Konkurrenzschutz, mit dem der Gesetzgeber elementar in die Betätigungsfreiheit der Rundfunkanstalten eingreift, ist freilich aus einer Reihe von Gründen allein mit dem Topos "Presseähnlichkeit" nicht zu rechtfertigen:

In der Medienkonvergenz, die eigentlich eine Ausdifferenzierung der elektronischen Übermittlungs- und Speichermedien ist, hat die überkommene Medientypisierung der Presse (gedruckte Texte und Lesen) ihre Geltung als technisches Abgrenzungskriterium im Mediensystem verloren, da Texte inzwischen "versendet" und flüchtig perzipiert oder elektronisch gespeichert werden können. Einen proprietären Anspruch der Presseverlage auf Telemedienverbreitungen beziehungsweise ein zivil- und verfassungsrechtliches Ausschließlichkeitsrecht konkreter Unternehmen, digitale Textangebote zu verbreiten, gibt es nicht. Sie wären auch mit unserem Prinzip der Medienfreiheit nicht zu vereinbaren.

Angebotsvielfalt und Wettbewerb

Die eigentliche Prämisse des Textverbots, Publikationen der Sender würden die Presse und deren Ertragschancen beeinträchtigen, ist nicht haltbar; eine aktuelle Studie der Universität Zürich zeigt im Gegenteil auf, dass die Nutzer textlicher Online-Informationen der SRG typischerweise Zeitungsabonnenten oder Zeitungskäufer sind. Angebotsvielfalt und Wettbewerb sind zudem ein Gewinn, zumal in Zeiten des Abbaus von Qualitätsmedien.

Der Auflagen- und Ertragsrückgang im Pressesektor hat mit der Welle kostenfreier globaler Netzangebote eingesetzt, schon lange bevor im Netz Publikationen öffentlich-rechtlicher Sender in nennenswertem Umfang angeboten wurden. Schließlich ist auch die Prämisse falsch, dass es in der Netznutzung einen unmittelbaren Reaktionsverbund gäbe, der gewährleisten könnte, dass durch ein Publikationsverbot der Anstalten mehr Erträge der Presseverlage generiert werden könnten.

Verantwortung für die Grundversorgung

Gesichert ist dagegen, dass ein gesetzliches Publikationsverbot interessierten Nutzern mögliche Angebote entzieht, was besonders gravierend ist, wenn es sich um einen einfach zugänglichen und handlichen Informationsdienst handelt, wie zum Beispiel die "Tagesschau"-App. Dass es in einem für die verlässliche Informationsversorgung besonders wichtigen Mediensegment auf Anbietervielfalt ankommt, hat das Bundesverfassungsgericht frühzeitig angemahnt.

Auch den institutionellen Garantien von Presse- und Rundfunkfreiheit lassen sich nicht etwa gegeneinander gerichtete Betätigungsgrenzen oder Betätigungsverbote entnehmen. Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Betätigungsfreiheit aller Medien. Führt der digitale Strukturwandel zu einem Abbau des privatwirtschaftlichen Engagements oder zu weiterer Konzentration im Pressesektor, so legitimiert dies nicht eine Beschränkung öffentlich-rechtlicher Angebote. Im Gegenteil: diesen Angeboten kommt dann größere Verantwortung für eine umfassende Grundversorgung zu.

Mit der Ausdifferenzierung der Kommunikationswege, der Fragmentierung der Öffentlichkeit, dem Vordringen nicht journalistischer, propagandistischer oder ökonomisch interessierter Angebote und ganz generell mit der Angebotsflut ist zu beobachten, dass in der Nutzerwahrnehmung diejenigen Medien, die eine verlässliche Information und Orientierung vermitteln, zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden. Speziell den netzaffinen Nutzern sollte daher der Zugang zu solchen Medien erleichtert werden, statt das Gesamtangebot zu verringern.

Kein beständiges Bollwerk

Wird Presseschutz oder Presseförderung unumgänglich, so ist dies Aufgabe des Gemeinwesens, das vielfältige Möglichkeiten hat, Verlagsunternehmen zu entlasten und zu fördern, etwa im Zustellungsbereich, über steuerliche Erleichterungen bis hin zu konkreten, von der Öffentlichkeit kontrollierten Förderprojekten. Dies ist nicht Sache der Beitragzahler, und es ist nicht zu rechtfertigen, dass sie auf eine Informationsdienstleistung verzichten sollen, in der irrigen Annahme, dadurch seien bei Anbietern der Presse auskömmliche Umsätze zu generieren.

Der weltweite Trend zeigt, dass auch die privatwirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Medienunternehmen kein beständiges Bollwerk des unabhängigen Journalismus ist, das verlässlicher wäre oder vergleichbar mit dem des öffentlich kontrollierten Rundfunks. Im Gegenteil: Im Netz entstehen zunehmend einflussreiche Angebote potenter Träger, die weder wettbewerbsrechtlich reguliert sind, noch sich Standesregeln der traditionellen Presse oder des Journalismus verpflichtet fühlen, und solche, die offen oder verdeckt propagandistische Zwecke verfolgen.

Eingriff in die Rundfunkfreiheit

Verfassungsrechtlich betrachtet sind insbesondere die elektronischen Informationsangebote der Sender aufgrund ihrer flexiblen Nutzung inzwischen Teil der Grundversorgung, so dass ein Verbot wegen Textanteilen grundsätzlich als substantieller Eingriff in die Rundfunkfreiheit zu beurteilen ist.

Das im sogenannten Reformstaatsvertrag ausgedehnte Publikationsverbot ist ein untauglicher Versuch der Medienregulierung zum Schutz der Presse, der auf letztlich nicht substantiierten Spekulationen gründet. Nach den zurückliegenden Versäumnissen der Verlagsunternehmen und dem Verzicht einiger Häuser auf publizistisches Engagement ist es der völlig falsche Weg, Presseförderung durch eine Ausdünnung des Angebots der Anstalten versuchen zu wollen.

Medien durch Verbreitungsverbote für andere schützen zu wollen, ist paradox. Dieser Ansatz verstärkt die folgenreichen negativen Trends im digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Bedauerlicherweise ist es der Gesetzgeber selbst, der eine Institution qualifizierter journalistischer Arbeit gerade dort beschneidet, wo sie sich mit einem aussichtsreichen Medienservice gegen die Vorherrschaft der Netzoligopole stemmt.

Tomas Brinkmann Copyright: Foto: Privat Darstellung: Autorenbox Text: Tomas Brinkmann war von 1984 bis 2012 in der Juristischen Direktion des Hessischen Rundfunks tätig und lehrte an der Goethe-Universität Frankfurt Urheber- und Medienrecht.



Zuerst veröffentlicht 20.05.2025 09:04

Tomas Brinkmann

Schlagworte: Medien, Medienpolitik, Rundfunk, Internet, Medienrecht, Medienstaatsvertrag, Presseähnlichkeit, Brinkmann

zur Startseite von epd medien